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Das Bundesgericht hatte sich in einen Entscheid vom 5. Juli 2010 (4A_86/2010) mit einer fristlosen Kündigung eines Vertragshändler- bzw. Alleinvertriebsvertrags auseinander zu setzen. Im Urteil wird festgehalten, dass die Einleitung einer Betreibung durch einen (Haupt-) Anteilsinhaber des Vertragshändlers gegen eine mit dem Lieferanten verbundene Person keinen wichtigen Grund darstellt, der eine fristlose Auflösung des Vertragsverhältnisses rechtfertigen würde. Kündigt der Lieferant aus diesem Grund, ist die Kündigung nicht durch den Vertragshändler verschuldet. Aufgrund einer vertraglichen Regelung über die Abfindung des Vertragshändlers erübrigte sich im vorliegenden Fall die analoge Anwendung der Vorschriften des Agenturvertragsrechts zur Kundschaftsentschädigung, wobei ein diesbezüglicher Zusatz des Bundesgerichts im Widerspruch zu seiner jüngst «präzisierten» Rechtsprechung steht.
In dem zu beurteilenden Sachverhalt hatte eine Produzentin von Düsen einen Vertragshändler- bzw. Alleinvertriebsvertrag mit einem Vertriebsunternehmen abgeschlossen. Nach einigen Jahren wollte sich die Familie, welche das Produktionsunternehmen beherrschte, aus der Geschäftstätigkeit zurückziehen und bot ihre Aktien dem Hauptanteilsinhaber des Vertriebsunternehmens zum Kauf an. Nachdem die Verkaufsverhandlungen scheiterten, verlangte der Hauptanteilsinhaber des Vertriebsunternehmens vom Geschäftsführer der Produzentin, welcher der beherrschenden Familie angehört, die Beteiligung an den Kosten der gescheiterten Übernahme und leitete sodann die Betreibung gegen ihn ein. Aus diesem Grund kündigte die Produzentin den Vertriebsvertrag fristlos.
In dem darauffolgenden Verfahren waren insbesondere die Zulässigkeit der fristlosen Kündigung und die finanziellen Konsequenzen der Kündigung zu beurteilen. Das Bundesgericht stützte sich in seinem Entscheid (4A_86/2010) im Wesentlichen auf die Sachverhaltsdarstellung und die Erwägungen der Vorinstanz. Diese beurteilte den Fall auf der Grundlage einer ausdrücklichen vertraglichen Kündigungs- und Abfindungsklausel zwischen den Parteien. Deren Auslegung durch die Vorinstanz ergab, dass die Parteien aus wichtigen Gründen fristlos kündigen können und die vertraglich vereinbarte Abfindung unabhängig von einem allfälligen Verschulden des Vertriebsunternehmens bei jeder Kündigung durch den Produzenten geschuldet sei, da Letztere den Kundenstamm nach Vertragsbeendigung weiter nutzen könne.
Die Produzentin machte in der Folge vor Bundesgericht geltend, die Vorinstanz hätte bei der Auslegung des Vertrags die Regelung des Agenturvertragsrechts (Art. 418a ff. OR) analog anwenden müssen. Sie verwies insb. auf Art. 418u Abs. 3 OR, wonach der Agent (bzw. Vertragshändler) keinen Anspruch auf eine Kundschaftsentschädigung hat, wenn die Auflösung des Vertriebsvertrags vom Agent (bzw. Vertragshändler) verschuldet wurde. Hierzu führte das Bundesgericht aus, dass der Produzentin auch die analoge Anwendung von Art. 418u Abs. 3 OR keinen Vorteil bringe. Denn allein die Tatsache, dass der Hauptanteilsinhaber des Vertriebsunternehmens gegen eine mit der Produzentin verbundene Privatperson eine Betreibung einleitete, lasse nicht den Schluss zu, die Kündigung des Vertrages sei durch das Vertriebsunternehmen verschuldet worden.
Erstaunlicherweise fügt das Bundesgericht sodann pauschal hinzu, dass überdies kein Anlass für eine analoge Anwendung von Art. 418a ff. OR bestehe, da das Vertriebsunternehmen die Produkte in eigenem Namen und auf eigene Rechnung vertreibe, nicht befugt sei, im Namen der Produzentin tätig zu werden, und kein Handelsvertreter der Produzentin sei. Diese Sachlage zeichnet allerdings gerade einen typischen Vertragshändler- bzw. Alleinvertriebsvertrag aus, sodass nach dieser Argumentation eine analoge Anwendung dieser Grundsätze im Vertragshändlerrecht stets ausgeschlossen wäre. Dies stünde in klarem Widerspruch zur kürzlich «präzisierten» Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach unter bestimmten Voraussetzungen (insb. Eingliederung in die Vertriebsorganisation) die Vorschriften zum Agenturvertrag analog auf Alleinvertriebsverträge anwendbar sind (vgl. dazu BR-News vom 22.11.2010).
In den restlichen Erwägungen bestätigte das Bundesgericht die Ausführungen der Vorinstanz, worin insbesondere auch festgehalten wird, dass bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung die Vorschriften des Arbeitsrechts und die dazu ergangene Rechtsprechung auch auf Vertriebsverträge anwendbar seien (vgl. auch Art. 418r Abs. 2 OR). Eine fristlose Kündigung dürfe demnach nur ausgesprochen werden, wenn die Fortsetzung des Vertrags von einem objektiven Standpunkt aus nicht mehr zumutbar sei. In der vorliegenden Betreibung könne jedenfalls kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gesehen werden.
Weitere Informationen:
- Urteil des Bundesgerichts 4A_86/2010
- Vorschriften des Schweizerischen Obligationenrechts zum Agenturvertrag
- BR-News vom 22.11.2010: «Die Kundschaftsentschädigung für Vertriebspartner nach schweizerischem Recht»
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann