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Anlässlich eines Urteils vom 16. April 2018 (4A_586/2017) hat sich das schweizerische Bundesgericht mit der Anlageberatung befasst. Dieses Urteil soll zum Anlass genommen werden, einige wesentliche Aspekte von Anlageberatungsverträgen darzustellen.
1. Welche Vertragsbeziehungen existieren gemäss der Praxis des schweizerischen Bundesgerichts für die Abwicklung von Börsengeschäften bzw. die Anlagetätigkeit?
Nach der Praxis des Bundesgerichts kommen für die Abwicklung von Börsengeschäften bzw. die Anlagetätigkeit grundsätzlich drei verschiedene Vertragsbeziehungen in Betracht: die reine Konto-/Depotbeziehung, die Anlageberatung und die eigentliche Vermögensverwaltung (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.1).
2. Wie unterscheiden sich nach der Praxis des schweizerischen Bundesgerichts Vermögensverwaltungsverträge, Anlageberatungsverträge und reine Konto-/Depot-Beziehung?
Mit dem Vermögensverwaltungsvertrag beauftragt der Kunde die Bank, die Verwaltung eines bestimmten Vermögens gegen Honorar selbständig im Rahmen der vereinbarten Anlagestrategie und zwecks Erreichens des persönlichen Anlageziels des Kunden zu besorgen (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.1.1).
Von der Vermögensverwaltung, bei der die Bank die auszuführenden Transaktionen im Rahmen der Sorgfalts- und Treuepflicht sowie der vereinbarten Anlagestrategie selbst bestimmt, unterscheidet sich die Anlageberatung durch die Zuständigkeit des Kunden für den Anlageentscheid (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.1.1).
Der Anlageberatungsvertrag zeichnet sich in Abgrenzung von der reinen Konto-/Depot-Beziehung dadurch aus, dass der Kunde die Anlageentscheide zwar selbst trifft, die Bank ihm jedoch dabei beratend zur Seite steht (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.1.1).
3. Was versteht man unter Anlageberatung?
„Anlageberatung ist das Erbringen von individuellen Beratungsdienstleistungen für Kunden in den Bereichen der Geld- und Kapitalanlage sowie die damit einhergehende Abgabe von Ratschlägen und Empfehlungen. Anlageentscheide trifft der Anlageberater nicht, sondern der Kunde entscheidet selber, ob er die erhaltenen Ratschläge und Empfehlungen umsetzen will oder nicht und erteilt – unter Umständen basierend auf diesen Ratschlägen – allenfalls konkrete Instruktionen für den Kauf oder Verkauf von Anlagen […]. Die vom Anlageberater abzugebenden Ratschläge und Empfehlungen haben objekt- und anlegergerecht zu sein, umfassen damit sowohl eine subjektive Eigenbewertung der Anlage durch den Berater als auch eine auf die persönlichen Bedürfnisse des Anlegers gerichtete Empfehlung, beispielsweise eine Kauf-, Verkauf- oder Halteempfehlung […]. Hierdurch grenzt sich die Beratung von der Auskunft und Aufklärung ab: Wer auskunftspflichtig ist, schuldet eine reine Tatsachenmitteilung; wer aufklärungspflichtig ist, schuldet neben der Tatsachenmitteilung noch deren Erläuterung; wer beratungspflichtig ist, schuldet eine auf der Aufklärung basierende zusätzliche subjektive Eigenbewertung und anlegergerechte Empfehlung […]. Anlageberatungsverträge unterstehen dem Auftragsrecht […] und liegen nicht nur vor, wenn die Parteien sie explizit vereinbaren, sondern auch – konkludent – dann, «wenn sich wegen einer andauernden Geschäftsbeziehung zwischen der Bank und dem Kunden ein besonderes Vertrauensverhältnis entwickelt hat, aus welchem der Kunde nach Treu und Glauben auch unaufgefordert Beratung und Abmahnung erwarten darf (so BGE 133 III 97 ff., 103).“ (Oliver Arter, Anlageberatungsvertrag: Informations-, Aufklärungs-, Beratungs-, Warn- und Überwachungspflicht. Schweizerisches Bundesgericht, I. Zivilabteilung, Urteil vom 3. Februar 2012 i.S. X. c. Y., (BGer 4A_525/2011), AJP 2012, 1316 ff., 1322).
4. Bestehen bei der punktuellen Ausführung von Anlagegeschäften im Rahmen einer reinen Konto-Depot-Beziehung auch Sorgfalts- und Treuepflichten?
„Führt eine Bank nur (punktuell) Börsengeschäfte für den Kunden aus (execution-only-Beziehung/reine Konto-Depot-Beziehung), ist sie nicht zu einer generellen Interessenwahrung verpflichtet […].
Sorgfalts- und Treuepflichten, welche die Bank zu einer weitergehenden Interessenwahrung verpflichten, bestehen gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bei reinen Konto-/Depot-Beziehungen ausnahmsweise aber in drei Fällen:
- Der Kunde verlangt Aufklärung oder Beratung im Vorfeld einer geplanten Transaktion;
- eine Bank muss bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit erkennen, dass der Kunde eine bestimmte, mit der Anlage verbundene Gefahr nicht erkannt hat;
- zwischen der Bank und dem Kunden hat sich in einer andauernden Geschäftsbeziehung ein besonderes Vertrauensverhältnis entwickelt, aus welchem der Kunde nach Treu und Glauben auch unaufgefordert Beratung und Abmahnung erwarten darf […].
Liegt einer dieser Tatbestände vor, treffen die Bank Sorgfalts- und Treuepflichten, deren genauer Inhalt und Umgang im Einzelfall zu bestimmen ist.“ (Arter, a.a.O., 1322).
5. Wie definiert sich der Schaden nach schweizerischem Recht?
Nach dem allgemeinen Schadensbegriff, wie er in der Praxis des Bundesgerichts verwendet wird, ist der Schaden eine unfreiwillige Vermögensverminderung, der in einer Verminderung der Aktiven, einer Vermehrung der Passiven oder im entgangenen Gewinn bestehen kann. Er entspricht der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand und dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.2).
Zu beachten ist indessen, dass der so definierte allgemeine Schadensbegriff im Einzelfall konkretisiert werden muss, damit er brauchbare Kriterien für die Schadensberechnung liefern kann. So ist für die Abwicklung von Anlagegeschäften namentlich wie folgt zu differenzieren:
- Einerseits kann eine Schädigung aufgrund sorgfaltswidriger Verwaltung eines gesamten Portfolios, durch Verfolgung einer pflichtwidrigen Anlagestrategie, erwachsen;
- Anderseits kann sich das sorgfaltswidrige Verhalten auf einzelne und damit bestimmbare pflichtwidrige Anlagen beschränken (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.2).
Im ersten Fall ist auf das gesamte zur Verwaltung übergebene Vermögen abzustellen, im zweiten Fall dagegen bloss auf den Teil des Vermögens, der für die sorgfaltswidrigen Anlagen eingesetzt wurde (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.2).
In beiden Fällen ist bei nicht gehöriger Erfüllung nach Art. 398 Abs. 2 i.V.m. Art. 97 Abs. 1 OR aufgrund der Unterstellung des Anlageberatungsvertrags unter das Auftragsrecht grundsätzlich das Erfüllungsinteresse (positives Interesse) zu ersetzen (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.2).
6. Wie bemisst sich der Schaden, wenn das gesamte Portfolio sorgfaltswidrig verwaltet wurde?
Für den Fall, dass das gesamte Portfolio sorgfaltswidrig verwaltet worden ist, bildet Grundlage der Schadensberechnung der Vergleich zwischen dem tatsächlichen Stand des verwalteten Vermögens (effektives Portfolio) und dem Vermögensstand, der bestünde, wenn das Vermögen in der gleichen Periode unter Beachtung der vertraglichen Sorgfaltspflichten verwaltet worden wäre (hypothetisches Portfolio). Diesfalls kann der Schaden bzw. das hypothetische Vergleichsportfolio nur geschätzt werden (Art. 99 Abs. 3 i.V.m. Art. 42 Abs. 2 OR). Bei der Vergleichshypothese ist im Regelfall auf die Sorgfalt eines durchschnittlich erfolgreichen Vermögensverwalters während der gleichen Periode abzustellen (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.2.1).
7. Wie bemisst sich der Schaden, wenn einzelne Anlagen vertragswidrig getätigt wurden?
Falls einzelne Anlagen vertragswidrig getätigt worden sind, beschränkt sich die Schadensberechnung auf die Ermittlung der Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert der einzelnen pflichtwidrigen Anlagen und dem hypothetischen Wert, den das konkret pflichtwidrig investierte Kapital bei vertragskonformer Anlage hätte. Nur für die pflichtwidrig getätigten Anlagen besteht eine Ersatzpflicht. Die haftpflichtige Person ist nicht befugt, Gewinne auf pflichtgemäss getätigten Anlagen mit Verlusten aus sorgfaltswidrig getätigten zu verrechnen. Ferner ist zu vermeiden, dass allfällige Verluste auf dem Teil des vertragskonform angelegten Vermögens die Ersatzpflicht erhöhen. Als Vergleichsmassstab kommen passende Alternativanlagen in Betracht, die der vertraglichen Anlagestrategie entsprechen und pflichtgemäss vom Vertragspartner oder einem durchschnittlich erfolgreichen Vermögensverwalter bzw. Anlageberater getätigt worden wären (Bundesgericht, Urteil vom 16. April 2018, 4A_586/2017, E. 2.2.2).