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Wer durch einen Blog-Beitrag in seiner Ehre verletzt wird, kann den Host-Provider der Website gerichtlich zur Beseitigung des Beitrags verpflichten, auch wenn dieser nicht von der Unzulässigkeit wusste oder hätte wissen müssen. Dies hat das Schweizer Bundesgericht Anfang des Jahres in einem Grundsatzurteil entschieden (vgl. BR-News vom 20.02.2013). Internet-Service-Provider müssen deshalb potenziell ehrverletzende Inhalte ihrer Kunden präventiv blockieren bzw. entfernen, wenn sie nicht vor Gericht auf Beseitigung oder Unterlassung eingeklagt werden wollen. Nicht geklärt hat das Bundesgericht jedoch, ob dieses folgenschwere Fazit auch gilt, wenn ein Online-Inhalt Immaterialgüterrechte verletzt oder unlauteren Wettbewerb darstellt. Dieser Frage gehen Nik Schoch und Michael Schüepp in einem Aufsatz für die juristische Online-Zeitschrift Jusletter nach. Sie gelangen zur Erkenntnis, dass die geltende Rechtslage auch in diesen Rechtsgebieten praktisch keinen Raum für eine andere Interpretation zulässt und fordern deshalb eine klare rechtsgebietsübergreifende Regelung der Provider-Haftung.
Persönlichkeitsrecht: strenge Provider-Haftung nach Bundesgerichtsentscheid
Laut dem grundlegenden Bundesgerichtsentscheid in Sachen Tribune de Genève (5A_792/2011) ist eine Haftung für Persönlichkeitsverletzungen bereits gegeben, wenn jemand seinen Kunden die notwendige technische Infrastruktur für die Veröffentlichung eines persönlichkeitsverletzenden Inhalts zur Verfügung stellt. Damit steht jedenfalls für Host-Provider bzw. Blog-Hoster wie die Tribune de Genève (blog.tdg.ch), fest, dass sie vor Gericht zur Beseitigung ehrverletzender Beiträge eingeklagt werden können und in diesem Fall letztlich auch die Gerichtskosten und die Anwaltskosten der Gegenpartei bezahlen müssen. Dies gilt anders als beispielsweise in Deutschland (vgl. BR-News vom 14.05.2013) selbst wenn der Provider nicht auf den unzulässigen Beitrag hingewiesen wurde und deshalb von der Unzulässigkeit auch nicht wusste oder hätte wissen müssen. Diese Aspekte sind gemäss Bundesgericht nur relevant, wenn ein Provider zur Zahlung von Schadensersatz oder einer Genugtuung eingeklagt wird, nicht aber wenn „bloss“ die Beseitigung eines Beitrags zur Debatte steht (vgl. zum Ganzen BR-News vom 20.02.2013).
In ihrem Aufsatz für die Online-Zeitschrift Jusletter (Ausgabe vom 13. Mai 2013) gelangen Nik Schoch und Michael Schüepp in einem ersten Schritt zum Schluss, dass dieser Entscheid des Bundesgerichts aus juristischer Sicht richtig ist. Der geltende Rechtsrahmen im Persönlichkeitsrecht lässt nach Ansicht der Autoren keinen Raum für eine andere, weniger folgenschwere Interpretation.
Fragestellung: Providerhaftung im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht?
Ausgehend davon wird im Aufsatz in einem nächsten Schritt der Frage nachgegangen, ob die Grundsätze des Bundesgerichtsentscheids auch dann gelten, wenn Internet-Provider wegen eines Inhalts verklagt werden, der nicht ehrverletzend ist, sondern unlauteren Wettbewerb darstellt oder Immaterialgüterrechte verletzt: Muss etwa der Betreiber einer Online-Auktionsbörse, auf welcher ohne dessen Wissen gefälschte Marken-T-Shirts angeboten werden, damit rechnen, ohne vorgängige Abmahnung gerichtlich zur Beseitigung des Angebots sowie zur Tragung der Prozesskosten verpflichtet zu werden? Drohen dem Suchmaschinenbetreiber, der in der ganzen Flut von Informationen unbewusst auch auf die Urheberrechte Dritter verletzende Bilder, Texte oder Musikdateien verweist, massenweise Abwehrklagen?
Grundsätzlich einheitliches Ergebnis in allen Rechtsgebieten
Zusammenfassend ergab die Analyse der Autoren, dass auch im Immaterialgüter- und im Wettbewerbsrecht keine hohen Anforderungen an die Haftung der Provider gestellt werden. Es genüge auch in diesen Rechtsgebieten ein bloss untergeordneter Beitrag, um als „Teilnehmer“ an einer Rechtsverletzung ihrer Kunden (mit)-verantwortlich zu sein und deshalb gerichtlich zur Beseitigung eines unzulässigen Inhalts verpflichtet zu werden. Dies gelte ferner ebenfalls unabhängig vom Wissen um die Unzulässigkeit eines Inhalts. Eine vorgängige Abmahnung ist also auch hier nicht erforderlich für die Haftung des Providers. Ein gewisser, wenn auch mit erheblichen Unsicherheiten behafteter Ansatzpunkt könne es jedoch unter Umständen erlauben, zumindest Access-Provider vom Kreis der möglichen Beklagten auszuschliessen.
Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass das Bundesgericht die Klage gegen die Tribune de Genève ebenfalls gutgeheissen hätte, wenn der beanstandete Blog-Beitrag nicht ehrverletzend gewesen wäre, sondern unlauteren Wettbewerb dargestellt oder Immaterialgüterrechte verletzt hätte. Nach geltendem Recht wäre es demnach grundsätzlich auch ohne Weiteres möglich, gegenüber Suchmaschinenbetreibern wie Google die Beseitigung eines bestimmten Suchergebnisses klageweise durchzusetzen.
Wollen die Provider vermeiden, von Dritten auf Beseitigung oder Unterlassung eingeklagt zu werden, seien sie daher gezwungen, Inhalte, die möglicherweise unlauteren Wettbewerb darstellen oder gegen Immaterialgüterrechte verstossen, präventiv vom Netz zu nehmen. Dies dürfte gemäss den Autoren auch dazu führen, dass Inhalte, die an sich zulässig wären, in vorauseilendem Gehorsam entfernt werden und birgt deshalb auch ein entsprechendes Missbrauchspotential in sich.
Forderung nach einer klaren rechtsgebietsübergreifenden Regelung
Da Internet-Provider somit grundsätzlich auch im geltenden Immaterialgüter- und im Lauterkeitsrecht relativ rasch für unzulässige Handlungen ihrer Kunden eingeklagt werden können, zeigen die Autoren Ansatzpunkte auf, wie die daraus resultierenden Konsequenzen bereits im Rahmen des geltenden Rechts zumindest abgefedert werden können. Angesichts der insgesamt unbefriedigenden geltenden Rechtslage und der bestehenden Rechtsunsicherheiten erachten die Autoren letztlich aber eine klare rechtsgebietsübergreifende gesetzliche Regelung der Provider-Haftung für angebracht.
Weitere Informationen:
- BR-News: „BGer: Blog-Hoster sind mitverantwortlich für persönlichkeitsverletzende Blogbeiträge“
- BR-News: „BGH DE: Google haftet bei Kenntnis von persönlichkeitsverletzenden „autocomplete“-Suchvorschlägen“
Ansprechpartner: Michael Schüepp