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Die vom Bundesrat angeordnete Pflicht, öffentlich zugängliche Einrichtungen für das Publikum zu schliessen führt für diverse Unternehmen verschiedenster Branchen zu einer faktischen Betriebseinstellung. Sowohl für die betroffenen Mieter als auch für deren Vermieter stellt sich die Frage, ob diese behördlich angeordnete Schliessung Auswirkungen auf den bestehenden Mietvertrag hat.
Die vom Bundesrat am 13. März erlassene und schon am 16. und 18. März 2020 angepasste Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) (COVID-19-Verordnung 2) beinhaltet in Art. 6 Abs. 2 unter anderem die Pflicht, öffentlich zugängliche Einrichtungen für das Publikum zu schliessen. Dies führt dazu, dass diverse Geschäfte verschiedenster Branchen ihre Betriebe faktisch einstellen müssen. So namentlich Einkaufsläden, Restaurationsbetriebe oder Coiffeur-Salons.
Ist der Mietzins weiterhin geschuldet?
Viele betroffene Mieter fragen sich deshalb derzeit, ob sie den Mietzins nun weiter bezahlen müssen. Gleichzeitig sehen sich auch Vermieter mit diversen entsprechende Anfragen von betroffenen Mietern konfrontiert, welche nach Antworten verlangen. Klar ist derzeit einzig, dass es keine Präzedenzfälle für die seit dem 17. März 2020 geltende ausserordentliche Situation gibt.
Konkret stellt sich jeweils insbesondere die Frage, ob die behördlich angeordnete Schliessung des Betriebes einen Mangel im Sinne des Mietrechts darstellt, welcher dem Mieter entsprechende Rechte einräumt (vgl. Art. 259a ff. OR). Zumindest höchstrichterlich ist diese Frage derzeit nicht geklärt, weshalb eine erhebliche Rechtsunsicherheit sowohl für Mieter als auch für Vermieter besteht. Sofern ein Mangel bejaht wird, hat der Mieter gestützt auf Art. 259d OR die Möglichkeit, eine Herabsetzung des Mietzinses (im Einzelfall bis zu 100% denkbar) zu verlangen, was dem Vermieter angezeigt werden sollte. Zumindest ist in dieser Hinsicht klar, dass betroffenen Mietern die Möglichkeit nach Art. 259g OR (Hinterlegung des Mietzinses) nicht zusteht, da der «Mangel» – falls die Situation von Gerichten überhaupt als Mangel qualifiziert würde – vom Vermieter nicht beseitigt werden kann.
Zudem wirft die aktuelle Situation auch die Frage auf, ob der Mieter sich auf anderweitige Rechtsgrundlagen stützen kann, um im Resultat den Mietzins – zumindest teilweise – nicht bezahlen zu müssen. Zu denken ist insbesondere an eine (richterliche) Vertragsanpassung via die sogenannte clausula rebus sic stantibus. Vorausgesetzt wird dafür (i) dass sich die Umstände nach Vertragsabschluss so grundlegend ändern, dass eine gravierende Äquivalenzstörung eintritt und dass (ii) diese Verhältnisänderung beim Abschluss des Vertrags weder voraussehbar noch vermeidbar war (vgl. dazu auch BGE 135 III 1 E. 2.4, mit Hinweisen).
Je nach weiterer Entwicklung könnte sich für Mieter mittelfristig auch die Möglichkeit ergeben, den Mietvertrag ausserordentlich vorzeitig gestützt auf Art. 266g OR zu kündigen. Ob dieses Instrument für Mieter überhaupt in Frage kommt, wird aber letztlich insbesondere von wirtschaftlichen Überlegungen abhängen. Zu betonen ist diesbezüglich, dass selbst in diesem Fall die gesetzliche Kündigungsfrist einzuhalten ist. Da diese bei Geschäftsraummieten grundsätzlich sechs Monate beträgt (Art. 266d OR), ist ein Vorgehen über diese Bestimmung für betroffene Mieter in der bestehenden Situation in vielen Fällen wohl keine Lösung.
Einzelfallbetrachtung dürfte massgebend sein
Die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen muss in jedem Einzelfall und gestützt auf den jeweils bestehenden Mietvertrag separat beurteilt werden. Eine Rolle spielt unter anderem, ob der Mietvertrag eine Regelung für die bestehende Situation (z.B. eine Klausel betreffend höherer Gewalt) beinhaltet – was in der Praxis selten der Fall sein dürfte, aber nicht ausgeschlossen ist. Sofern Mietverträge gar eine Betriebspflicht für den Mieter beinhalten – was u.a. in Shopping-Centern verbreitet ist – verkompliziert sich die Situation zusätzlich.
Prüfung einer allfälligen Versicherung ist in jedem Fall angezeigt
In jedem Fall empfiehlt es sich sowohl für Mieter als auch für Vermieter dringend zu prüfen, ob für eine solche Betriebsunterbrechung Versicherungsleistungen geltend gemacht werden können. Dabei kommt es auf die konkrete Situation und namentlich den anwendbaren Versicherungsvertrag an. Die Vertragsunterlagen müssen deshalb in jedem Einzelfall separat konsultiert und beurteilt werden. Um eine allfällige Deckung oder sonstige Unterstützung durch die Versicherungsgesellschaft zu prüfen, empfiehlt es sich, direkt mit der Versicherungsgesellschaft in Kontakt zu treten.
Gespräche zwischen den Parteien sind ratsam
Offensichtlich kann die bestehende Lage nicht nur die Existenz von Mietern, sondern auch von Vermietern gefährden – denn auch der Vermieter muss seinerseits seine Rechnungen bezahlen. Angesichts der aufgezeigten Rechtsunsicherheit – und auch angesichts der globalen und nationalen Dimension des Problems – ist es sehr ratsam, dass sich die Parteien des Mietvertrages untereinander verständigen und wenn irgendwie möglich einen Kompromiss suchen. Zu Bedenken ist dabei insbesondere, dass mögliche Rechtsstreitigkeiten Monate, wenn nicht gar Jahre dauern können. Lösungen braucht es aber jetzt, weshalb objektiv betrachtet keine Partei ein Interesse an einem Gerichtsverfahren haben kann. Eine denkbare pragmatische Lösung könnte auch eine vorläufige Stundung der Mietzinsen sein, vorausgesetzt der Vermieter kann sich dies leisten. Damit sich keine der Parteien etwas verwirkt, ist es unabhängig von der konkreten möglichen Vereinbarung zu empfehlen, dass beide Parteien ihre möglichen Eingeständnisse unter einem Vorbehalt erbringen (d.h. der Mieter bezahlt den Mietzins bspw. unter dem Vorbehalt einer weiteren Herabsetzung oder aber der Vermieter gewährt einen möglichen Zahlungsaufschub ohne Eingeständnis eines Mangels).
Absehbare Regelungen/Lösungen durch die Politik?
Unter geltendem Recht besteht keine staatliche Unterstützung für Mietzinszahlungen, wie es sie etwa für Lohnzahlungen im Arbeitsrecht über die Kurzarbeit gibt.
Am 27. März 2020 beschloss der Bundesrat jedoch, die Zahlungsfristen in den Fällen zu verlängern, in denen die Mieter mit der Zahlung von Mietzinsen oder Nebenkosten aufgrund der COVID-19-Verordnung 2 im Rückstand sind. Dies, um das Risiko einer Kündigung des Mietvertrags durch den Vermieter zu reduzieren. Will ein Vermieter einen Wohn- oder Geschäftsraum infolge von Zahlungsverzug kündigen, ist er daher verpflichtet, dem Mieter eine Frist von mindestens 90 Tagen für die Zahlung der Rückstände einzuräumen (anstelle der in Art. 257d OR vorgesehenen 30-Tage-Frist). Ebenso kann der Vermieter das Mietverhältnis über möblierte Zimmer, Parkplätze oder andere vergleichbare Einrichtungen nur noch mit einer Frist von 30 Tagen (anstatt der in Art. 266e OR vorgesehenen 2-Wochen Frist) kündigen. Darüber hinaus wurde auch in Pachtverträgen im Sinne von Art. 275 ff. OR die Frist für die Zahlung fälliger Pachtzinse gemäss Art. 282 Abs. 1 OR unter den gleichen Bedingungen von 60 auf 120 Tage verlängert.
Neben diesen Massnahmen hat der Bundesrat bereits am 20. März 2020 weitere weitreichende Massnahmen beschlossen, u.a. Liquiditätshilfe für Unternehmen. So sollen betroffene Unternehmen rasch und unkompliziert Kreditbeträge bis zu 10% des Umsatzes erhalten, wobei Beträge bis zu CHF 500’000 von den Banken sofort ausbezahlt werden sollen.
Am 24. März setzte der Bundesrat schliesslich eine Task Force unter der Leitung des Direktors des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) ein. Diese vereinigt die führenden Akteure des Immobiliensektors und hat das Ziel, Lösungen für diese schwierige Situation zu finden. Es ist somit denkbar, dass die Politik – zumindest für einen Teil der aufgeworfenen Fragen – kurzfristig Lösungen präsentieren wird, bevor sich die Gerichte damit auseinandersetzen können/müssen. Jedoch hat der Bundesrat am 8. April nun bekannt gegeben, davon abzusehen, in die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Mietern und Vermietern einzugreifen. Vielmehr ruft er die betroffenen Mietparteien eindringlich dazu auf, «im Dialog konstruktive und pragmatische Lösungen» zu finden. Gleichzeitig hat der Bundesrat das Departement für Wirtschaft Bildung und Forschung (WBF) beauftragt, zusammen mit dem Finanzdepartement (EFD) mit einem Monitoring die Situation im Bereich der Geschäftsmieten zu beobachten und dem Bundesrat bis im Herbst 2020 Bericht zu erstatten.
Daneben sind auch die Kantone aufgefordert, ad-hoc-Lösungen zu finden. So haben beispielsweise die Genfer Vermieterorganisationen (USPI Genève und die Genfer Immobilienkammer Chambre genevoise immobilière) am 6. April ein Abkommen mit dem Kanton Genf und der ASLOCA (Mieterverband der Romandie) abgeschlossen, das ein freiwilliges Hilfsprogramm für Vermieter vorsieht, die ihre Geschäftsraum-Mieter unterstützen wollen. So verpflichtet sich der Kanton Genf, diejenigen Vermieter, die sich bereit erklären, den Mieter für den Monat April 2020 ganz oder teilweise vom Mietzins zu befreien (und die Nebenkosten zu stunden) zu entschädigen. Die Entschädigung beträgt 50% des vom Vermieter erlassenen Betrages und wird innert 30 Tagen an den Vermieter ausbezahlt. Diese Massnahme richtet sich an sehr kleine Unternehmen und Selbständige, deren Miete 3’500 CHF (ohne Nebenkosten) pro Monat nicht übersteigt und die nicht über ausreichende Reserven oder liquide Mittel verfügen. Vorausgesetzt ist zudem, dass sie nicht bereits vor dem 17. März 2020 mit der Zahlung der Miete im Rückstand waren. Die Kantone Waadt und Freiburg haben für KMUs ähnliche Lösungen entwickelt. Konkret erklärten sich diese beiden Kantone bereit, für die Monate Mai und Juni 2020 bis zu 2’500 CHF pro Geschäftsraummiete (im Kanton Freiburg für Restaurants sogar bis zu 3’500 CHF) zu zahlen, sofern der Vermieter während dieser Zeit auf eine Monatsmiete verzichtet.