Bedenken betreffend die geplante Patentbefreiung für Ärzte und Apotheker in der Schweiz


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Der Schweizer Gesetzgeber plant die Einführung einer neuen Ausnahme vom Patentschutz für Ärzte und Apotheken. Die neuen Ausnahmen sollen Ärzte und Apotheker vor Patentverletzungsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Ansprüchen für zweite medizinische Indikationen nach dem Europäischen Patentübereinkommen 2000 (EPÜ 2000) schützen.

Von Swiss-type claims zu zweckgebundenen Stoffansprüchen

Die Grosse Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hielt in einer ausführlichen Entscheidung vor mehreren Jahren fest, dass unter dem EPÜ in der Version, die am 13. Dezember 2007 in Kraft trat, Ansprüche einer zweiten oder weiteren Indikation bekannter pharmazeutischer Stoffe nicht mehr in der Form „Verwendung des Stoffes X zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von Y“ (allgemein „Swiss type claim“ oder „Swiss type of use claim“) gewährt werden können. Patentanmeldungen, die beim Europäischen Patentamt nach dem 29. April 2011 eingereicht wurden, müssen Ansprüche auf zweite und weitere Indikationen als zweckgebundenen Stoffschutz beanspruchen, d.h. in folgender Anspruchsform: „Stoff X zur Behandlung von Y“ (siehe G2/08).

Bedenken betreffend die Behandlungs- und Therapiefreiheit der Ärzte

Die neue Anspruchsform (zweckgebundene Stoffansprüche) führte zu Bedenken, ob Ärzte Patentansprüche einer zweiten oder weiteren Indikation verletzen würden, wenn sie ein Arzneimittel für die Behandlung einer Indikation verschreiben, welche von einem solchen Patentanspruch geschützt ist. Die Grosse Beschwerdekammer erkannte dieses Risiko, sah darin aber keinen Grund, um zweckgebundene Stoffansprüche für zweite oder weitere Indikationen zu verweigern. Die Grosse Beschwerdekammer hielt fest, dass die Freiheit der Ärzte, falls notwendig, auf andere Weise durch die nationalen Gesetzgeber gewährt werden muss (G2/08, Erwägung 6.5).

Das Bundesgericht teilte die Bedenken der Grossen Beschwerdekammer und machte eine ausdrückliche Empfehlung an den schweizerischen Gesetzgeber: Sollte im Zusammenhang mit dem Schutz der ärztlichen Behandlungs- und Therapiefreiheit tatsächlich Handlungsbedarf bestehen, so wäre auf dem Gesetzgebungsweg eine entsprechende Ausnahme von der Wirkung des Patents vorzusehen (BGE 137 III 170 E 2.2.12).

Nach diesem Bundesgerichtsurteil beauftragte der Bundesrat das Institut für Geistiges Eigentum (IGE) mit der Prüfung, ob unter Berücksichtigung der Standpunkte der betroffenen Ärzte und Pharmaunternehmen eine besondere Ausnahme vom Patentschutz für das medizinische Personal in Betracht gezogen werden soll.

Das IGE schlug eine Ergänzung des Art. 9 des Schweizer Patentgesetzes vor, welche folgende Ausnahmen von den Wirkungen des Patents vorsieht:

„Die Wirkung des Patents erstreckt sich nicht auf

  • Handlungen im Rahmen einer medizinischen Tätigkeit, die sich auf eine einzelne Person oder ein einzelnes Tier bezieht und Arzneimittel betrifft, insbesondere die Verschreibung, Abgabe oder Anwendung von Arzneimitteln durch gesetzlich dazu berechtigte Personen;
  • die unmittelbare Einzelzubereitung von Arzneimitteln in Apotheken in Ausführung einer ärztlichen Verschreibung sowie auf Handlungen, welche die auf diese Weise zubereiteten Arzneimittel betreffen.»

Bedenken um den Schutzumfang der Patente für zweite und weitere Indikationen

Die vorgeschlagene Änderung des Schweizer Patentgesetzes geht allerdings weiter als ursprünglich beabsichtigt: Statt nur Ärzte und Apotheker vor einer patentrechtlichen Haftung zu schützen, werden nun grundsätzlich auch kommerzielle Anbieter von Nachahmerprodukten von einer Haftung für die Herstellung und Lieferung ihrer off-label und cross-label Produkte befreit. Der Grund dafür liegt in der Schweizer Konzeption der indirekten Patentverletzung, welche eine mittelbare Verletzung darstellt. Personen, die sich an einer Patentverletzung durch Beihilfe, Mittäterschaft, Erleichterung oder Anstiftung beteiligen, haften aufgrund mittelbarer Patentverletzung (Art. 66 lit. d Patentgesetz). Wenn allerdings keine Haupttat in der Schweiz vorliegt, also keine direkte Patentverletzung in der Schweiz gegeben ist, kann man argumentieren, dass auch keine mittelbare Verletzung gegeben sein kann, da die Förderung, Erleichterung und Unterstützung einer rechtmässigen Handlung nicht unrechtmässig sein kann.

Da die vorgeschlagene Änderung des Patentgesetzes die Handlungen der Ärzte und Apotheker aus dem Schutzbereich des Patents ausnimmt, sind ihre Handlungen legal und nicht rechtswidrig. Somit liegt wohl in Zukunft keine indirekte Verletzung des zweckgebundenen Stoffanspruchs mehr vor, wenn ein Pharmaunternehmen einem Arzt ein Medikament liefert, das für eine patentgeschützte Indikation zwar nicht zugelassen ist, das Unternehmen aber weiss oder Grund zur Annahme hat, dass der Arzt das Medikament für eine patentierte medizinische Indikation benutzen wird („zur Behandlung von Y“): Das betreffende Pharmaunternehmen verwendet den Stoff nicht, um Y zu behandeln, weshalb seine Handlungen nicht in den Anwendungsbereich des zweckgebundenen Stoffanspruchs fallen. Der Arzt, welcher den Stoff zur Behandlung von Y verwendet, nimmt keine unrechtmässige Handlung vor, da seine Handlung durch den vorgeschlagenen Art. 9 lit. g Patentgesetz ausgenommen sind.

Alternativer rechtlicher Weg: Schutz der Ärzte vor der Haftung

Alternativ wurde vorgeschlagen, dass die Ärzte und Apotheker nicht vom Schutzumfang des Patents herausgenommen werden sollten, sondern dass bloss festgehalten werden soll, dass sie für ihre (rechtswidrigen) Handlungen nicht belangt werden können, ähnlich zu der Situation in den Vereinigten Staaten. Mit anderen Worten würde dies bedeuten, dass wenn Ärzte ein Patent verletzen würden, ihre Handlungen dann immer noch rechtswidrig wären, aber sie dafür nicht verantwortlich gemacht werden könnten. Der Vorteil dieses Ansatzes wäre, dass ein Pharmaunternehmen, welches ein pharmazeutisches Produkt vertreibt, das für die Behandlung einer patentierten medizinischen Indikation eingesetzt wird, aufgrund einer mittelbaren Patentverletzung haften würde.

Aktueller Stand des Gesetzgebungsentwurfs

Diese Alternative wurde allerdings verworfen und das Schweizer Parlament hat den Gesetzgebungsentwurf des IGE angenommen. Obwohl die Gesetzesrevision noch nicht definitiv verabschiedet ist, gibt es in diesem Punkt keine Differenzen mehr zwischen Ständerat und Nationalrat, weshalb diesbezüglich grundsätzlich keine Änderungen mehr zu erwarten sind.

Verantwortlichkeit für Bewerbung der patentierten medizinischen Indikation

Das Bewerben eines Stoffs für eine patentierte zweite oder weitere Indikation (“zur Behandlung von Y“) durch einen Hersteller oder Vertreiber eines Generikums verletzt den in der Schweiz beanspruchten Schutz eines europäischen Patents in Bezug auf die Verwendung des Stoffs für die Behandlung von Y.

Im Schweizer Patentrecht fallen auch das Anbieten zum Verkauf und das Vermarkten einer patentierten Erfindung unter den Schutz eines Patents. Und das Bewerben eines Medikaments für eine patentgeschützte Verwendung kann nicht anders betrachtet werden als das Anbieten zum Verkauf oder Vermarkten von “X zur Behandlung von Y“, was durch das Patent geschützt wird. Daher begeht eine Partei, welche ihr Medikament mit Gebrauchsanweisungen herstellt oder vermarktet, welche die Verwendung eines zweiten medizinischen Indikationsanspruchs vorsehen, eine unabhängige (d.h. direkte) Patentverletzung.


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