BGE: Urteil zu Gebot der Sachgerechtigkeit von TV-Sendung


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Das Schweizer Bundesgericht hat sich in einem kürzlich ergangenen Urteil mit den rundfunkrechtlichen Anforderungen an TV-Sendungen über Produkte auseinander gesetzt. In den von der Bayer (Schweiz) AG beanstandeten Beiträgen des Nachrichtenmagazins «10vor10» über Gefahren von Antibabypillen sah das Bundesgericht keine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht und kein Verstoss gegen das Gebot der Sachgerechtigkeit, welche ein Eingreifen durch die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) rechtfertigen würden. Entscheidend war, dass die Zuschauer nach der Ansicht des Bundesgerichts erkennen konnten, dass und inwiefern die Gefährlichkeit der Antibabypille von Bayer (Yasmin) umstritten ist und dass die aufgezeigten gesundheitlichen Nebenwirkungen auch bei anderen neueren Antibabypillen eintreten können.

Medienberichte über bestimmte Produkte können aus Sicht der Unternehmen problematisch sein und verschiedene rechtlich geschützte Interessen der betroffenen Anbieter tangieren. Im Vordergrund stehen dabei Verstösse gegen die Gesetzgebung gegen unlauteren Wettbewerb sowie Persönlichkeitsverletzungen. Darüber hinaus bieten jedoch auch die rundfunkrechtlichen Vorgaben des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) einen indirekten Schutz gegen Berichte in diesen Medien. Bei Verletzungen der Vorgaben von Art. 4 RTVG zum Programminhalt (insb. Sachlichkeitsgebot) können sich Unternehmen innert 20 Tagen nach der Ausstrahlung der Sendung an die jeweils zuständige Ombudsstelle (in der Deutschschweiz: Ombudsstelle RTV bzw. SRG-Ombudsstelle) wenden und in einem nächsten Schritt Beschwerde bei der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) einreichen. Die UBI kann im Verfahren feststellen, dass die beanstandete Sendung gegen das RTVG verstossen hat. Anders als die Gerichte hat die UBI jedoch viel weniger weitgehende Kompetenzen und kann bspw. weder vorsorgliche Verbote noch Schadenersatz aussprechen. Vor diesem Hintergrund ist ein privatrechtliches Vorgehen (Persönlichkeitsrecht, UWG) meist vorzuziehen. Gegenstand des Verfahrens vor Bundesgericht bildete ausschliesslich die Frage nach der Einhaltung der rundfunkrechtlichen Regeln.

Nach dem Hinweis auf die verfassungsrechtliche Ausgangslage (Pressefreiheit, Verbot der Zensur, Art. 17 BV; Leistungsauftrag von Radio und TV, Art. 93 Abs. 2 BV) geht das Bundesgericht auf das Sachgerechtigkeitsgebot in Art. 4 Abs. 2 RTVG ein, wonach Sendungen mit Informationsgehalt Tatsachen und Ereignisse sachgerecht wiedergeben sollen, sodass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann. Hierzu hielt das Bundesgericht fest, es sei nicht erforderlich, dass alle Standpunkte qualitativ und quantitativ genau gleichwertig dargestellt werden. Die Vorgaben des RTVG an den Programminhalt würden auch einem «anwaltschaftlichem Journalismus» nicht entgegenstehen, bei welchem eine bestimmte These vertreten werde. Entscheidend sei jedoch stets, dass der Zuschauer erkennen kann, dass und inwiefern eine Aussage umstritten ist. Dem Zuschauer soll nicht durch angeblich objektive, tatsächlich aber unvollständige Fakten die Ansicht des Journalisten als (absolute) Wahrheit suggeriert werden. Folglich müssten auch die Gegenstandpunkte in fairer Weise dargelegt und der Betroffene mit seinem besten Argument gezeigt werden. Ein allgemeines Problem könne in diesem Rahmen – bei geeigneter Einbettung – auch anhand von Beispielen illustriert werden. Zu beachten seien jedoch die Gebote von Art. 10 EMRK, sodass bei Fragen von allgemeinem Interesse besonders strenge Anforderungen an eine Beschränkung der Rundfunkfreiheit zu stellen seien.

In der Folge analysierte das Bundesgericht die drei beanstandeten Beiträge. Die ersten beiden Beiträge seien anwaltschaftlich aufgebaut und hätten den Blickwinkel einer 16-Jährigen gewählt, welche nach der ersten Verwendung von Bayers Antibabypille Yasmin eine Lungenembolie erlitt, deren Ursache gemäss dem behandelnden Arzt höchstwahrscheinlich die Pillen-Einnahme war. Für die Zuschauer war jedoch gemäss dem Bundesgericht die Perspektive des Beitrags erkennbar. Bayer habe ferner wiederholt Gelegenheit erhalten, sich zu den Vorwürfen und der Sicherheit ihres Produkts zu äussern. Ihr Standpunkt, insbesondere, dass Studien für Yasmin kein grösseres Risiko festgestellt hätten als für andere Antibabypillen, sei genügend klar in die Berichterstattung eingeflossen. Da zudem auch Meinungen von Swissmedic und Ärzten dargestellt und verschiedene Relativierungen vorgenommen wurden, habe sich das Publikum ein eigenes Bild machen können und es sei genügend klar, dass die angebliche Gefährlichkeit von Yasmin nicht erstellt war und die Nebenwirkungen auch bei anderen neueren Antibabypillen eintreten können. Auch der dritte Beitrag, worin hauptsächlich die Reaktion von Swissmedic auf die Beiträge dargestellt wurde, habe die verschiedenen Standpunkte genügend zum Ausdruck gebracht, sodass sich die Zuschauer auch hier ein eigenes Bild machen konnten. Trotz der emotionellen Bindung des Zuschauers durch Bild und Ton, sei in den Beiträgen ein Gegengewicht geschaffen worden, welches dem Zuschauer erlaubt habe, die verschiedenen Standpunkte (Journalist, Bayer, Swissmedic) einzuordnen.

Allein die Tatsache, dass die einzelnen Beiträge als Gesamtes in einzelnen Punkten anders und möglicherweise besser hätten gestaltet werden können (z.B. Hinweis auf Konsequenzen einer Absetzung der Pille), genügt jedoch gemäss dem Bundesgericht nicht, um ein Einschreiten der UBI gestützt auf das Sachgerechtigkeitsgebot zu rechtfertigen. Das Bundesgericht erinnerte dabei an die verfassungsrechtlich garantierte Autonomie der Medienschaffenden. Der ihnen zustehende Spielraum bei der Programmgestaltung verbiete es, aufsichtsrechtlich bereits einzugreifen, wenn eine Sendung nicht in jeder Hinsicht voll befriedigt.

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