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Das Bundesgericht hat sich vor Kurzem – offenbar erstmals seit Inkrafttreten des neuen Markenschutzgesetzes (MSchG) ausführlich – mit diversen Fragen rund um sog. Abgrenzungsvereinbarungen auseinandergesetzt. Diese Verträge zur Behebung von markenrechtlichen Konflikten beurteilte das Bundesgericht dabei als grundsätzlich unkündbar. Denn nur so könne ein Wiederaufflammen des Konflikts verhindert werden. Allerdings hielt das Bundesgericht fest, dass die Vereinbarungen aus „wichtigen Gründen“, d.h. solchen, die die Fortsetzung des Vertrags für eine Partei unzumutbar machen, gekündigt werden können. Im ausführlichen Urteil werden verschiedene Verstösse gegen eine Vereinbarung mit der Uhrenherstellerin Swatch SA nicht als wichtige Gründe qualifiziert. Eine Kündigung, die mangels wichtiger Gründe, unwirksam ist, führt ferner gemäss Bundesgericht nur dann (doch) zu einer Auflösung der Abgrenzungsvereinbarung, wenn das Verhalten der Gegenpartei klar deren Willen zum Ausdruck bringt, auf die ihr in der Vereinbarung zugesicherten Ansprüche zu verzichten.
Vor dem Inkrafttreten des geltenden Markschutzgesetzes (MSchG) im Jahr 1993 wurde die Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. BGE 99 II 104) teilweise so interpretiert, dass Abgrenzungsvereinbarungen unzulässig sind. Unter der Herrschaft des neuen Gesetzes hat sich das Bundesgericht soweit ersichtlich noch nicht ausführlich mit diesen in der Praxis weit verbreiteten Verträgen auseinander gesetzt. Dementsprechend lohnt sich eine etwas ausführlichere Darstellung des aktuellen Urteils.
Sachverhalt: Widerspruch gegen Markeneintragung
Im Jahr 2008 hat der Schweizer Uhrenhersteller Swatch SA beim europäischen Harmonisierungsamt (HABM) Widerspruch gegen die Eintragung der Wortmarke „ICEWATCH“ erhoben. Dieser Widerspruch richtete sich gegen eine belgische Konkurrentin und war abgestützt auf die Wortmarke „SWATCH“. Zur Lösung des Konflikts über die beiden Gemeinschaftsmarken haben die Parteien in der Folge eine sog. Abgrenzungsvereinbarung abgeschlossen.
Sachverhalt: Inhalt der Abgrenzungsvereinbarung
In der Kernbestimmung der Vereinbarung verpflichtete sich das belgische Unternehmen die Marke „ICEWATCH“ nur in einer Form bzw. grafischer Ausgestaltung zu verwenden, in welcher das Wort „ICE“ und das Wort „WATCH“ auf zwei separaten Zeilen wiedergegeben sind. Sofern auf das Produkt Bezug genommen wird, z.B. in kommerziellen Prospekten oder in Fachartikeln, war es jedoch erlaubt, die Marke jeweils mit einem Bindestrich zwischen den beiden Wörtern („ICE-WATCH“ oder „ice-watch“ ) zu verwenden. Im Gegenzug für diese und weitere Verpflichtungen wurde insbesondere vereinbart, dass die Swatch SA den entsprechenden Widerspruch beim HABM zurückzieht.
Sachverhalt: Verstösse gegen die Vereinbarung und „Kündigung“
In der Folge hat die Swatch SA in einem Kündigungsschreiben die fristlose Auflösung der Abgrenzungsvereinbarung erklärt. Als Grund nannte sie verschiedene „offenkundige Verstösse“ gegen die Vereinbarung. Unter anderem hat sie vorgebracht, dass eine Kollektion der belgischen Konkurrentin mit der Marke „ICE-WATCH“ auf einer Zeile geschrieben präsentiert wird und Marktstände mit der Wortmarke „ICE-WATCH“ oder „Ice-Watches“ auf einer Zeile angeschrieben gewesen seien.
In einem Schreiben bestritt das belgische Unternehmen die Kündigung „förmlich“. Anschliessend erhob die Swatch SA gegen verschiedene Markenanmeldungen der Konkurrentin Widerspruch, auch gegen solche, die der Abgrenzungsvereinbarung auf zwei Zeilen geschrieben waren. Daraufhin reichte die belgische Herstellerin Klage beim Handelsgericht Bern ein.
Entscheid des Handelsgerichts Bern: Kündigung wirkungslos
Mit Entscheid vom 28. April 2011 stellte das Handelsgericht Bern insbesondere fest, dass die Kündigung durch die Swatch SA wirkungslos und die Abgrenzungsvereinbarung für die Parteien immer noch rechtsverbindlich sei. Ferner wurde die Swatch SA verpflichtet, verschiedene einzeln bezeichnete Widersprüche gegen Markeneintragungen der Konkurrentin zurückzuziehen. Diesen Entscheid hat die Swatch SA beim Bundesgericht angefochten.
Urteil des Bundesgerichts: typischer Inhalt einer Abgrenzungsvereinbarung
Nach der Beurteilung verschiedener prozessrechtlicher Fragen (insb. ob ein unzulässiges Prozessführungsverbot (sog. anti-suit-injunction) vorliegt), hielt das Bundesgericht in seinem Urteil vom 5. April 2011 (4A_589/2011) fest, dass die Parteien unbestrittenermassen eine sog. Abgrenzungsvereinbarung abgeschlossen haben. Denn typischerweise verzichte der Inhaber der älteren Marke in solchen Verträgen auf eine vollumfängliche Durchsetzung seines markenrechtlichen Ausschliesslichkeitsanspruchs. Im Gegenzug garantiere der Inhaber der jüngeren Marke, dass er seine Marke nie ausserhalb des vereinbarten Einsatzbereichs bzw. ausschliesslich auf die vereinbarte Art und Weise verwenden wird. Damit sei regelmässig die Zusicherung verbunden, gestützt auf das jüngere Zeichen keine Abwandlungen oder Neuanmeldungen der älteren Marke anzugreifen (sog. Vorrechtserklärung).
Mit einer solchen Vereinbarung grenzen die Parteien die Einsatzbereiche ihrer Marken ab und verpflichten sich regelmässig, die Marke des Vertragspartners in deren vertraglich festgelegtem Einsatzbereich nicht zu behindern, erklärt das Bundesgericht weiter. Damit sei regelmässig beiden Parteien gedient. Der Inhaber des jüngeren Zeichens könne sein Zeichen zumindest wie vereinbart benützen, während der Inhaber der älteren Marke den Kernbereich seines Zeichens frei halten könne, ohne sich in eine möglicherweise unsichere Auseinandersetzung einlassen zu müssen. Vor diesem Hintergrund qualifizierte das Bundesgericht die Abgrenzungsvereinbarung als „synallagmatischen Innominatkontrakt“. Das bedeutet, dass es sich um einen vollkommen zweiseitigen Vertrag handelt, welcher nicht gesetzlich geregelt ist und dessen Parteien sich gegenseitig Leistungen schulden, von denen mindestens zwei Leistungen in einem Austauschverhältnis stehen.
Urteil des Bundesgerichts: Kündigung nur aus „wichtigem Grund“
Das Bundesgericht betont in einem nächsten Schritt, dass die Zulässigkeit von Abgrenzungsvereinbarungen in der Schweiz unbestritten sei. Auch das Verbot einer übermässigen Bindung in Art. 27 ZGB steht somit dem Abschluss einer solchen Vereinbarung nicht entgegen.
Eine Abgrenzungsvereinbarung ist gemäss Bundesgericht auf eine endgültige und dauerhafte Beilegung eines bestehenden oder zumindest möglichen Konflikts ausgerichtet. Um diesen Zweck zu erfüllen, müsse sie grundsätzlich unkündbar sein. Nur so könne das Wiederaufflammen des Konflikts verhindert werden. Allerdings hält das Bundesgericht fest, dass die allgemeinen Regeln über die Auflösung von sog. Dauerschuldverhältnissen, auch auf Abgrenzungsvereinbarungen anzuwenden sind. Dies obwohl offengelassen wird, ob tatsächlich ein solches Verhältnis vorliegt.
Somit kann eine Abgrenzungsvereinbarung von einer Partei bei Vorliegen von „wichtigen Gründen“, welche die Fortsetzung bzw. Erfüllung des Vertrags für sie unzumutbar machen, vorzeitig gekündigt werden. Bei besonders schweren Vertragsverletzungen ist ein wichtiger Grund gemäss Bundesgericht regelmässig zu bejahen. Aber auch weniger gravierende Vertragsverletzungen können eine Fortsetzung des Vertrags für die Gegenpartei unzumutbar machen, wenn sie trotz Verwarnung oder Abmahnung immer wieder vorgekommen sind, so dass nicht zu erwarten ist, weitere Verwarnungen würden den Vertragspartner von neuen Vertragsverletzungen abhalten. Liegt in diesem Sinn ein wichtiger Grund vor, kann gekündigt werden, ohne der Gegenpartei zuvor eine Frist zur Behebung der Vertragsverletzung ansetzen zu müssen.
Da der umstrittenen Kündigung im vorliegenden Fall keine Verwarnung vorangegangen war, prüfte das Bundesgericht lediglich, ob die von der belgischen Herstellerin begangenen Verstösse gegen die Abgrenzungsvereinbarung so schwer waren, dass der Swatch SA die Weiterführung des Vertrags nicht mehr zumutbar und die Kündigung mit sofortiger Wirkung somit berechtigt war.
Urteil des Bundesgerichts: Prüfung der Schwere von Verstössen gegen die Vereinbarung
Bei dieser Beurteilung muss gemäss Bundesgericht eine Interessenabwägung unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls erfolgen. Die Swatch SA ging diesbezüglich davon aus, dass die Rechte und Pflichten bei Abgrenzungsvereinbarungen nicht gleichwertig verteilt sind und die Schwelle zur Beurteilung von Verletzungen durch ihre Konkurrentin, welche sie als die durch die Vereinbarung begünstigte Partei ansah, deshalb tief anzusetzen ist. Dies trifft jedoch dem Bundesgericht zufolge nicht zu, da Abgrenzungsvereinbarungen beiden Parteien dienen und es sich um „synallagmatische“ Verträge handelt. Ferner bestehe der Zweck einer Abgrenzungsvereinbarung typischerweise auch darin, eine Verwechslungsgefahr zwischen ähnlichen oder identischen Kennzeichen zu vermeiden. Somit könne bei der Beurteilung eines Verstosses gegen die Vereinbarung auch berücksichtigt werden, dass dieser keine Verwechslungsgefahr herbeigeführt hat.
In der ausführlichen Auseinandersetzung mit den beanstandeten Handlungen der belgischen Herstellerin hat das Bundesgericht zu einem wesentlichen Teil die Beurteilung des Handelsgerichts Bern gestützt. Dieses gelangte zusammenfassend zum Schluss, dass die Handlungen allesamt als leichte Verletzungen der Abgrenzungsvereinbarung zu qualifizieren sind. Es handle sich um Einzelfälle, die weder einzeln noch gemeinsam so gravierend seien, dass sie das Vertrauen in die Respektierung der Abgrenzungsvereinbarung durch die Gegenpartei derart hätten zu erschüttern vermögen, dass der Swatch SA die Weiterführung der Vereinbarung nicht mehr zugemutet werden könnte.
In einem Punkt widersprach das Bundesgericht jedoch der Vorinstanz. Denn die Erlaubnis, den Domain-Namen „www.ice-watch.com“ zu gebrauchen, bedeute in der vorliegenden Vereinbarung nicht, dass auch der Domain-Name auch markenmässig gebraucht werden dürfe. Vielmehr werde nur erlaubt, den Domain-Namen als Adresse für die Website zu benutzen und ihn unbeschränkt zu erwähnen. Nur mit diesem Verständnis könne der Zweck der Vermeidung einer Verwechslungsgefahr erfüllt werden. In diesem Punkt wurde die Beschwerde der Swatch SA gutgeheissen und zur Neubeurteilung an das Handelsgericht zurückgewiesen.
Urteil des Bundesgerichts: stillschweigende Zustimmung zur Kündigung nur mit Zurückhaltung anzunehmen
Abschliessend äusserte sich das Bundesgericht jedoch noch zur Frage, ob die „Kündigung“ durch die Swatch dennoch die Auflösung des Vertrags zur Folge haben könnte, auch wenn das Handelsgericht sie mangels wichtiger Gründe nochmals als unwirksam beurteilen würde. Das Bundesgericht hielt dazu fest, dass eine solche Kündigung nur zu einer Vertragsauflösung führen kann, wenn ein sog. Aufhebungsvertrag (Art. 115 OR) vorliegt, d.h. wenn die Kündigung als ein Angebot zur Vertragsauflösung umgedeutet wird und das anschliessende Verhalten des Vertragspartners als Annahme des Angebots gewertet werden muss. Dies sei jedoch nur der Fall, wenn das Verhalten der Vertragspartnerin klar zum Ausdruck bringt, dass sie endgültig auf die ihr in der Abgrenzungsvereinbarung zugesicherten Rechte verzichten will.
Das Bundesgericht gelangte zum Ergebnis, dass die belgische Herstellerin im Anschluss an die Kündigung kein Verhalten zeigte, aus dem auf eine Akzeptanz der Kündigung bzw. eine Zustimmung zur Aufhebung der Vereinbarung geschlossen werden kann. Dies obwohl das belgische Unternehmen nach der Kündigung während knapp einem Monat nicht geantwortet und drei Wortmarken hinterlegt hat, die der Vereinbarung widersprachen. Gemäss Bundesgericht war entscheidend, dass die Kündigung mit einem Schreiben förmlich, und damit klar und eindeutig bestritten wurde. Ferner wurden vor dem Schreiben die beanstandeten vertragswidrigen Markendarstellungen bereinigt. Auch die vertragswidrigen Markenanmeldungen waren für das Bundesgericht nicht geeignet, den insgesamt klar zum Ausdruck gebrachten Willen zur Einhaltung des Vertrages in Frage stellen.
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Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Giuseppe Di Marco