BGer: bei Verwechslungsgefahr kann Anspruch auf Übertragung widerrechtlich registrierter Domains bestehen


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Mit Urteil vom 8. August 2011 bestätigt das Schweizer Bundesgericht seine bisherige Praxis, wonach in bestimmten Fällen, wie zum Beispiel bei Vorliegen einer Verwechslungsgefahr nach Art. 3 lit. d UWG, ein Anspruch auf Übertragung widerrechtlich registrierter Domainnamen bestehen kann, wobei dies im vorliegenden Fall verneint wurde.

Zusammenfassung des Urteils

Klägerin im vorliegenden Fall war die amerikanische Getränkeherstellerin Go Fast Sports & Beverage Company, welche seit 1996 Bekleidung unter der Marke «GO FAST» und seit 2001 einen Energy Drink unter der Marke «GO FAST SPORTS» vertreibt. Beklagte waren europäische bzw. schweizerische Distributoren, u.a. die Go Fast Sports (Europe) AG. Am 31. März 2008 verbot die Klägerin den Beklagten, per 1. April 2008, die Bezeichnung «Go Fast» bzw. «Go Fast Sports» sowie entsprechende Kennzeichen weiter zu verwenden. Die Beklagten liessen sich aber nicht davon abhalten, weiterhin unter diesen Bezeichnungen Produkte zu vertreiben.

In der Folge machte die Klägerin verschiedene Unterlassungsansprüche sowie Ansprüche auf Übertragung von mehreren Marken und Domainnamen mit dem Bestandteil „GO FAST“ geltend, wobei sie für den Fall der Ablehnung dieses Begehrens, eine Löschung dieser Marken und Domainnamen verlangte. Dabei stützte sie sich vorwiegend auf drei materiellrechtliche Grundlagen: die Klägerin berief sich erstens auf die Eintragungspriorität ihrer schweizerischen Wortmarke «GO FAST» (Art. 3 MSchG); zweitens seien die Marken der Beklagten sogenannte Agentenmarken nach Art. 4 MSchG, für welche die Zustimmung der Klägerin als Markeninhaberin zur Nutzung nachträglich weggefallen sei; drittens würden die Handlungen der Beklagten infolge bestehender Verwechslungsgefahr einen Verstoss gegen Art. 3 lit. d UWG darstellen.

Mit Urteil vom 12. November 2010 hiess das Obergericht des Kantons Solothurn die Rechtsbegehren der Klägerin weitgehend gut. Zwar verneinte das Gericht den von der Klägerin behaupteten Anspruch auf Übertragung der Marken mit der Begründung, die für die Warenklassen 25 und 32 eingetragene Wortmarke „GO FAST“ (Nr. 515023) der Klägerin stelle Gemeingut dar und sei deshalb nicht schutzfähig. Dies führe nicht zur Übertragung, sondern – im Sinne des klägerischen Eventualbegehrens – zur Nichtigerklärung der Marken mit dem Bestandteil „GO FAST“.

Infolge des fortgeführten Vertriebs des Energy Drinks mit der Bezeichnung „Go Fast“ trotz Ablauf des Vertriebsvertrags mit der Klägerin bejahte das Obergericht hingegen einen Verstoss gegen das Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG) wegen der Schaffung einer Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 3 lit. d UWG. Gestützt auf das Recht des Verletzten, nach Art. 9 Abs. 1 lit. b UWG auf Beseitigung des Wettbewerbsverstosses zu klagen, wurden die Beklagten von der Vorinstanz – gemäss Eventualbegehren der Klägerin – verpflichtet, die Löschung der verschiedenen Domainnamen der Beklagten mit dem Bestandteil „GO FAST“ zu veranlassen. Eine Übertragung der Domain-Namen auf den Kläger wurde jedoch abgelehnt, weil dies für die Beseitigung der Verletzung nicht erforderlich sei.

Mit Urteil vom 8. August 2011 (4A_39/2011; 4A_47/2011) hat das Bundesgericht diesen Entscheid im Wesentlichen bestätigt. Es hatte dabei insbesondere zu prüfen, ob das auf Art. 53 MSchG gestützte Begehren auf Übertragung der Marken und Domainnamen mit dem Bestandteil „GO FAST“ von der Vorinstanz zu Recht abgelehnt wurde. Dazu hielt das Bundesgericht mit Verweis auf ein früheres Urteil (4A_39/2011 E. 8.5) fest, dass sich der Anwendungsbereich von Art. 53 MSchG einzig auf Markenanmeldungen und Markeneintragungen beziehe. Artikel 53 MSchG könne deshalb nicht als Anspruchsgrundlage für eine Übertragung von Domainnamen herangezogen werden. Unter Umständen kämen aber andere Rechtsgrundlagen für eine Übertragung von Domainnamen in Betracht, so zum Beispiel Art. 9 Abs. 1 lit. b UWG, der bei einem Wettbewerbsverstoss dem Verletzten das Recht einräumt, auf Beseitigung der Verletzung zu klagen. Diese Bestimmung sehe zwar nicht explizit einen Anspruch auf Anordnung positiver Massnahmen zur Beseitigung eines Wettbewerbsverstosses vor. Ein Teil der Lehre befürworte jedoch, dass konkrete lauterkeitsrechtliche Massnahmen gerichtlich angeordnet werden können, um Störungen des lauteren Wettbewerbs zu beseitigen. Das Bundesgericht wies darauf hin, dass es sich bereits im angeführten Urteil (4A_39/2011 E. 9.2) dieser Lehrmeinung angeschlossen und erkannt habe, dass der unlauter handelnde Verletzer gerichtlich verpflichtet werden könne, eine Erklärung gegenüber den zuständigen Registrierungsstellen im Hinblick auf die Übertragung von Domainnamen an den Drittberechtigten mit besseren Rechten abzugeben.

Im vorliegenden Fall erachtete es das Bundesgericht aber – wie vor ihm auch das Obergericht des Kantons Solothurn – als nicht erforderlich, eine Übertragung der Domainnamen an die Klägerin anzuordnen. Um die wettbewerbsrechtlichen Verletzungen zu beseitigen, genüge es, wenn die Domainnamen den Beklagten entzogen bzw. gelöscht würden. Der Wiederholungsgefahr, welche die Klägerin unter anderem als Grund für die Übertragung der Domainnamen angab, sei durch die Anordnung der Vorinstanz begegnet worden, nach welcher den Beklagten unter Strafandrohung verboten worden sei, künftig Domainnamen mit dem Bestandteil „GO FAST“ zu registrieren bzw. registrieren zu lassen. In diesem Sinne schtützte das Bundesgericht die Vorinstanz, welche die Übertragung der strittigen Domainnamen an die Klägerin mangels Rechtsschutzinteresses ablehnte.

Kommentar

Im besprochenen Urteil hat das Bundesgericht den Anspruch auf Übertragung von Domainnamen entsprechend der bisherigen Rechtsprechung im Grundsatz anerkannt (vgl. u.a. das Urteil des Bundesgerichts4C.9/2002 vom 23. Juli 2002 E. 8 [„luzern.ch“]; bestätigt in den Urteilen 4C.377/2002 vom 19. Mai 2003 E. 2.3 und 4C.341/2005 vom 6. März 2007 E. 5.5 [„swiss-life.ch“]), in casu aber verneint.

Der Drittberechtigte ist befugt, gerichtlich eine Erklärung des Verletzten auf Übertragung der widerrechtlichen Domainamen zu verlangen. Einen solchen Übertragungsanspruch des Drittberechtigten kann jedoch nicht aus Art. 53 MSchG abgeleitet werden, da sich diese Bestimmung nach dem Wortlaut nur auf Markeneintragungen bezieht. Im Sinne einer teleologischen Auslegung, d.h. vereinfacht aufgrund des Zwecks der Vorschrift, befürwortet das Bundesgericht den Übertragungsanspruch bereits im Anmeldestadium einer Marke (Urteil 4A_39/2011 E. 8.5.1). Der klare Wortlaut von Art. 53 MSchG erlaubt es gemäss Bundesgericht aber nicht, den Übertragungsanspruch auch auf Domainnamen auszudehnen. Für die Übertragung von Domainnamen sind deshalb andere Rechtsgrundlagen heranzuziehen.

Nach Ansicht des Bundesgerichts bietet das schweizerische Wettbewerbsrecht mit Art. 9 Abs. 1 lit. b UWG eine solche Rechtsgrundlage an. Zwar sieht die genannte Bestimmung nicht ausdrücklich einen Anspruch auf Anordnung von positiven Massnahmen wie die Abgabe einer Übertragungserklärung durch den Beklagten vor (Art. 9 Abs. 1 lit. b UWG statuiert eine Beseitigungsklage für den Verletzten). Das Bundesgericht und ein Teil der Rechtslehre anerkennen jedoch – wiederum im Sinne einer teleologischen Auslegung der Gesetzesnorm –, dass der Verletzte vom Gericht konkrete lauterkeitsrechtliche Massnahmen zur Beseitigung von Störungen beantragen darf, solange diese verhältnismässig erscheinen.

In der Lehre gibt es mehrere kritische Stimmen zu dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Beispielsweise wird argumentiert, dass eine gerichtliche Anordnung der Übertragung eines strittigen Domainnamens grundsätzlich nicht möglich sei, weil damit dessen Registrierung zugunsten allfälliger Drittberechtigter mit gleichem oder besserem Recht vereitelt würde. Eine Übertragung von Domainnamen durch Verpflichtung zur Abgabe einer Erklärung gegenüber den zuständigen Registrierungsstellen könne deshalb nur dann möglich sein, wenn dem Kläger ein besseres Recht am umstrittenen Domainnamen gegenüber jedem denkbaren Dritten zustehe. Das wäre beispielsweise bei berühmten Marken oder bei Gemeinde- oder Ortsnamen der Fall (Urteil 4A_39/2011 E. 9.2).

Im vorliegenden Fall sah sich das Bundesgericht nicht dazu veranlasst, sich materiell mit dem Lehrstreit zu befassen. Das ist zwar schade. Aus dem Umstand, dass das Bundesgericht in Erwägung 9.2 des besprochenenUrteils mehrere abweichende Lehrmeinungen aufführt, sich zu diesen aber inhaltlich mit keinem Wort äussert, ist wohl so zu deuten, dass das Bundesgericht derzeit nicht gewillt ist, seine Rechtsprechung zum Übertragungsanspruch von Domainnamen nach Art. 9 Abs. 1 lit. b UWG in absehbarer Zukunft zu ändern. Das Bundesgericht hätte andernfalls hier die Möglichkeit nutzen können, eine Rechtsprechungsänderung zumindest anzudeuten. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass sich Dritte, welche ein besseres Recht auf strittige Domainnamen zu haben glauben, bei vorhandener Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 3 lit. d UWGnach wie vor vom Gericht beantragen können, die unlautere Störung des Verletzers durch Übertragung des widerrechtlich registrierten Domainnamens beseitigen zu lassen.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Giuseppe Di Marco


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