BGer: Blog-Hoster sind mitverantwortlich für persönlichkeitsverletzende Blogbeiträge


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Wer Dritten auf seiner Website einen Bereich zum Betrieb eines Blogs zur Verfügung stellt, ist für persönlichkeitsverletzende Blogbeiträge mitverantwortlich und kann deshalb auf Beseitigung von Beiträgen eingeklagt werden. Dies hat das Schweizer Bundesgericht kürzlich erstmals entschieden. Da in der Schweiz anders als in der EU keine gesetzlichen Haftungsprivilegien für Internet-Service-Provider bestehen, gelten auch für sie die allgemeinen Regeln des Persönlichkeitsrechts. Diese sehen vor, dass in einem Persönlichkeitsverletzungsprozess jede Person zur Verantwortung gezogen werden kann, welche an einer Verletzung mitgewirkt hat. In seinem Urteil hat das Bundesgericht nun bestätigt, dass nicht nur der Urheber an einer Verletzung „mitwirkt“, sondern auch jede andere Person, welche dazu objektiv in irgendeiner Weise beigetragen hat. Die Mitwirkung könne dabei auch bloss untergeordneter Natur sein. So genüge insbesondere auch das Zurverfügungstellen der notwendigen technischen Infrastruktur zur Veröffentlichung eines persönlichkeitsverletzenden Beitrags. Das Grundsatzurteil hat für Host-Provider weitreichende Konsequenzen und wirft zahlreiche Fragen auf. Fest steht immerhin, dass zur Begründung von Schadenersatz- und Genugtuungsansprüchen weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

Persönlichkeitsverletzender Beitrag eines Lesers auf Website der Zeitung

Der zu beurteilende Fall betraf eine Genfer Zeitung, die ihren Nutzern auf ihrer Website (genferzeitung.ch) einen gesonderten Bereich (blog.genferzeitung.ch) für den Betrieb eines „Blogs“ zur Verfügung stellte, in welchem die Nutzer unter eigenem Namen eigene Beiträge verfassen konnten. In einem solchen Blog griff ein Genfer Politiker einen ehemaligen Direktor der Genfer Kantonalbank an und warf ihm unter anderem Bilanzfälschungen vor und wies ihm die Verantwortung für mehrere Unternehmenskonkurse zu.

Rund zwei Monate nach der Veröffentlichung des Artikels wurde die Zeitung im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen angewiesen, den genannten Beitrag von der Website zu entfernen. Dieser Anordnung kam sie wenig später nach. Im darauf folgenden ordentlichen Gerichtsverfahren bestätigte das erstinstanzliche Gericht die Widerrechtlichkeit des Beitrags und die Beseitigungsanordnung. Die Verfahrenskosten von mehreren tausend Franken wurden zu einem Viertel der Zeitung und zu drei Vierteln dem Verfasser des Artikels auferlegt.

Eine gegen diesen Entscheid gerichtete Beschwerde wies das letztinstanzliche kantonale Gericht ab. Dieses Urteil zog die Zeitung wiederum weiter an das Bundesgericht und forderte die Aufhebung des kantonalen Urteils. Das Bundesgericht hatte in der Folge aber nicht mehr zu beurteilen, ob eine Persönlichkeitsverletzung vorlag, sondern einzig, ob die Zeitung als Website-Betreiberin für den durch einen Dritten verfassten Blogbeitrag rechtlich belangt werden kann (sog. Passivlegitimation).

Kein Privileg für Internet-Service-Provider im Schweizer Recht – allgemeine Regelung des Persönlichkeitsschutzes anwendbar

Das Bundesgericht betonte in seinem Urteil (5A_792/2011) zunächst, dass in der Schweiz – anders als beispielsweise in der EU (vgl. insb. Art. 14 der sog. E-Commerce-Richtlinie der EU) – kein gesetzliches Haftungsprivileg für Blog-Hoster und andere Internet-Service-Provider besteht. Dementsprechend erklärte es die allgemeinen Regeln zum Schutz der Persönlichkeit (Art. 28 ff. ZGB) für anwendbar. Diese halten allgemein fest, dass der in seiner Persönlichkeit Verletzte gerichtlich gegen jede Person vorgehen kann, die an einer Persönlichkeitsverletzung mitwirkt (vgl. Art. 28 Abs. 1 ZGB).

Das Bundesgericht bestätigte in der Folge, dass diese Regelung nicht nur auf den Urheber einer Persönlichkeitsverletzung abziele, sondern auf alle Person, die eine Verletzung verursachen, diese dulden oder begünstigen. Dabei führe bereits die blosse Mitwirkung zu einer Verletzung, selbst wenn der Handelnde sich dessen nicht bewusst ist oder nicht bewusst sein kann. Im Medienbereich könne der Verletzte deshalb neben dem Autor auch den Redakteur und den Herausgeber sowie jede andere Person in Anspruch nehmen, die in irgendeiner Weise zur Verbreitung des fraglichen Artikels beigetragen habe. Dies gelte unabhängig davon, ob diese den Autor oder den Inhalt des Artikels kannten, und unabhängig davon, ob es sich bloss um einen untergeordneten Beitrag zur Verletzung handle.

Im vorliegenden Fall habe die Zeitung dem Urheber des persönlichkeitsverletzenden Beitrags auf ihrer Website eine Plattform und damit die notwendige technische Infrastruktur zur Verfügung gestellt, mit welcher der Beitrag erstellt und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. Auch wenn die Zeitung nicht Urheber der Persönlichkeitsverletzung sei, habe sie zu deren Entstehung beigetragen und damit im Sinne von Art. 28 Abs. 1 ZGB mitgewirkt.

Nicht massgeblich war nach Ansicht des Bundesgerichts sodann der Einwand der Zeitung, wonach es für sie – anders als bei Leserbriefen in Printzeitungen – unmöglich sei, konstant sämtliche Beiträge zu kontrollieren. Das Bundesgericht begründete dies damit, dass für Klagen, welche – wie die hier zu beurteilende – auf die Beseitigung einer Verletzung abzielen (sog. negatorische Klagen), kein Verschulden des Beklagten erforderlich sei. Die Frage, in welchem Ausmass die Zeitung eine Pflicht zur Kontrolle der Beiträge treffe, sei deshalb einzig für allfällige Schadenersatz- oder Genugtuungsansprüche relevant.

Vor diesem Hintergrund wies das Bundesgericht die Beschwerde vollumfänglich ab und auferlegte die Kosten von 6000 Franken für das bundesgerichtliche Verfahren vollständig der Zeitung.

Kommentar und Ausblick

Mit dem Urteil wurde erstmals höchstrichterlich auch für Online-Sachverhalte aufgezeigt, dass der Kreis der potentiellen Beklagten bei Persönlichkeitsverletzungen im Schweizer Recht sehr weit gefasst ist. Es kann letztlich jede Person, die in irgendeiner Weise an einem Persönlichkeitsverletzung beteiligt ist – sei es in noch so untergeordneter Weise – zur Verantwortung gezogen werden. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass beispielsweise auch die Online-Enzyklopädie Wikipedia und News-Portale wie 20 Minuten oder NZZ online für einen Beitrag bzw. Kommentar eingeklagt werden können, den ein Nutzer verfasst hat. Gleiches gilt auch für die klassischen Host-Provider, welche Website-Betreibern Speicherplatz auf ihren Webservern zur Verfügung stellen. Beim Angebot solcher Dienste besteht deshalb stets das Risiko, auf Beseitigung von persönlichkeitsverletzenden Beiträgen eingeklagt zu werden und die entsprechenden Prozesskosten bezahlen zu müssen. Sie sollten deshalb Beiträge Dritter entweder vor dem Freischalten überprüfen oder zumindest mutmasslich persönlichkeitsverletzende Beiträge sofort von ihrer Website entfernen, wenn sie dazu aufgefordert oder auf andere Weise darauf aufmerksam werden.

Auch wenn die Argumentation des Bundesgerichts in Anbetracht des Wortlauts von Art. 28 Abs. 1 ZGB nicht völlig unhaltbar erscheint, geht sie doch sehr weit. Dies insbesondere da das geltende Recht durchaus Raum zur Berücksichtigung der Interessen der Internetdienstanbieter belassen würde. So wurde – anders als im Kontext anderer Rechtsgebiete – vor allem nicht beachtet, dass die finanziellen bzw. personellen Ressourcen zur vorgängigen Kontrolle von Beiträgen und damit zur Vermeidung einer Haftung von den meisten Anbietern nicht aufgebracht werden können und deshalb unverhältnismässig erscheinen. Dies insbesondere, da einer Person, die sich in ihrer Persönlichkeit verletzt sieht, zugemutet werden kann, vor der Klageerhebung den Website-Betreiber bzw. Host-Provider aufzufordern, den betreffenden Inhalt zu entfernen. Da das Bundesgericht jedoch nicht einmal eine entsprechende Aufforderung bzw. die Kenntnis des Inhalts für die Verantwortlichkeit voraussetzt, sind die Anbieter gezwungen, „heikle“ Inhalte vorab zu zensieren, wenn sie rechtlich keine Risiken eingehen wollen.

Darüber hinaus wirft das Urteil auch zahlreiche Fragen auf. Unklar ist zunächst, ob bzw. wo das Bundesgericht letztlich die Grenzen ansetzt und damit verbunden insbesondere die Frage, ob auch von Access-Providern die „Beseitigung“ eines persönlichkeitsverletzenden Blogbeitrags verlangt werden kann. Ungewiss ist ferner, welche Konsequenzen das Urteil für die Beurteilung von immaterialgüterrechtlichen und lauterkeitsrechtlichen Sachverhalten hat. Ist die Genfer Zeitung beispielsweise auch verantwortlich für markenrechtsverletzende Beiträge ihrer Nutzer? Offen ist sodann auch, welche weiteren Voraussetzungen zur Begründung einer Schadenersatzpflicht im Einzelnen erfüllt sein müssen.

Immerhin ist nicht auszuschliessen, dass sich die Rechtslage in Zukunft ändern wird. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil unter anderem darauf verwiesen, dass es Sache des Gesetzgebers wäre, die einschneidenden Konsequenzen für Internet-Service-Provider abzuschwächen. Grundlage für eine Gesetzesänderung könnte das vom Bundesrat Ende 2011 angenommene Postulat für eine „Rechtliche Basis für Social Media“ bieten, welches das Bundesgericht bei der Darstellung der aktuellen Rechtslage explizit erwähnt. Das Postulat fordert den Bundesrat insbesondere auf, einen Bericht über die Rechtslage in Bezug auf Social Media vorzulegen. Dieser soll namentlich die Fragen beantworten, welche Lücken im schweizerischen Recht bestehen und ob der Erlass eines eigenen Social-Media-Gesetzes sinnvoll wäre. Es bleibt abzuwarten, ob der Bundesrat Handlungsbedarf sieht und eine Haftungsbeschränkung oder -befreiung für Internetdienstanbieter einführen möchte, die das europäische Ausland bereits heute kennt.

Dieser Beitrag wurde im Digitalen Rechtsprechungs-Kommentar (dRSK) veröffentlicht und erscheint mit freundlicher Genehmigung der Weblaw AG.

Update vom 15.03.2013

Im Nachgang zum Urteil hat der Branchenverband der Schweizer Internet-Wirtschaft (simsa) einen Code of Conduct für den Umgang der Host-Provider mit rechtswidrigen Inhalten veröffentlicht. Ziel dieses Codes ist es, Betroffenen die Verfolgung ihrer Rechte zu erleichtern, ohne jedoch die Host-Provider zu privaten Organen der Strafverfolgung zu machen. Der Code of Conduct umfasst sowohl die Verletzung von Urheberrechten und Persönlichkeitsrechten als auch Inhalte, welche Straftatbestände erfüllen (z.B. in den Bereichen Rassismus und Ehrverletzung). Der Code of Conduct sieht ein so genanntes „Notice and Take Down“-Verfahren vor, gemäss welchem der Host-Provider den betroffenen Kunden vorab informieren und diesen auffordern muss, die erhobenen Vorwürfe zu untersuchen und gegebenenfalls rechtswidrige Inhalte zu entfernen. In eindeutigen Fällen kann der Host-Provider vorübergehend den Zugang zur betroffenen Website sperren. Der Code of Conduct gilt seit dem 1. Februar 2013.

Updates vom 18.04.2013 und 17.05.2013

Die Aufforderung des Bundesgerichts an den Gesetzgeber, dieser müsse tätig werden, wurde von einigen Parlamentariern bereits erhört. Im Nationalrat wurde Ende März 2013 die Motion „Rechtliche Verantwortlichkeit von Internet-Providern regeln“ (13.3215) eingereicht, welche den Bundesrat beauftragt, eine Gesetzesvorlage vorzubereiten, welche die juristische Verantwortlichkeit von Internetprovidern regeln und die zivil- und strafrechtliche Verfolgung von Rechtsverletzungen erleichtern soll, die mit Hilfe des Internets begangen werden. Die Motion wurde von Nationalrätinnen und Nationalräten aus fast allen grossen Parteien mitunterzeichnet. Wann die Räte darüber befinden, ob der Motion Folge geleistet wird, ist noch nicht bekannt.

Der Bundesrat hat am 15. März 2013 beantragt, die Motion abzulehnen. Sinngemäss begründete er dies damit, dass der gesetzgebrische Handlungsbedarf im Bereich des Zivilrechts derzeit abgeklärt werde und diesen Untersuchungen nicht vorgegriffen werden solle. In Bezug auf das Strafrecht hingegen verwies er darauf, dass sich das geltende Recht als ausreichend erweise (vgl. auch Antwort des Bundesrats zur Interpellation 13.4202).

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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