BGer: Quellenschutz für Blog-Kommentare: Keine Herausgabe von IP-Adressen bei Mindestinformationsgehalt


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Das Schweizer Bundesgericht hat im November 2010 einen Grundsatzentscheid gefällt, wonach Medienhäuser die Herausgabe von IP-Adressen des Verfassers eines Blog-Kommentars unter Berufung auf den Quellenschutz (Art. 28 StGB) verweigern können, sofern der Blog-Beitrag ein Minimum an Information beinhaltet (vgl. BR-News vom 11.11.2010). Mittlerweile ist die schriftliche Urteilsbegründung veröffentlicht worden. Daraus wird insbesondere ersichtlich, dass keine hohen Anforderungen an den Begriff der Information gestellt werden und auch Belanglosigkeiten davon erfasst sein können.

Zur Erinnerung: In diesem Fall handelte es sich um einen Kommentar zum Blog des Schweizer Fernsehens SF im Zusammenhang mit dem Living-History-Projekt «Alpenfestung-Leben im Réduit». Aufgrund des (möglicherweise) ehrverletzenden Inhalts wurde bei der Zuger Staatsanwaltschaft eine Anzeige eingereicht. In der Folge verlangte die Staatsanwaltschaft vom Schweizer Fernsehen insbesondere die Herausgabe der IP-Adresse des beschuldigten Kommentators. Eine vom Schweizer Fernsehen gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wurde von der Justizkommission des Zuger Obergerichts abgelehnt, da im vorliegenden Fall der Quellenschutz im Sinne von Art. 28a des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) nicht greife. Dieser Entscheid und die Verfügung der Staatsanwaltschaft wurden nun mit dem Urteil des Bundesgerichts vom 10. November 2010 (1B_44/2010) aufgehoben.

In der Urteilsbegründung wird zunächst die Bedeutung des Redaktionsgeheimnisses betont, welches unter dem Titel der Medienfreiheit verfassungsrechtlich geschützt wird (Art. 17 Abs. 3 BV). Der daraus abgeleitete Schutz journalistischer Quellen, der den für eine demokratische Auseinandersetzung erforderlichen Informationsfluss gewährleistet, gilt jedoch – wie das Bundesgericht festhält- nicht absolut. Die Tragweite des Quellenschutzes und deren Einschränkungen sind im Wesentlichen in Art. 28a StGB umschrieben und konkretisiert. Nur unter den darin festgehaltenen Voraussetzungen greift der Schutz vor Strafen und prozessualen Zwangsmassnahmen.

Gemäss dem Bundesgericht sind im vorliegenden Fall die ersten drei Voraussetzungen klar erfüllt. Zunächst handle es sich beim Schweizer Fernsehen um ein periodisch erscheinendes Medium. Dies gelte nicht nur für die Fernsehsendungen, sondern auch für die Blogs, welche auf der Website in regelmässiger Zeitfolge an einen grossen Personenkreis und an die Öffentlichkeit gerichtet werden. Ferner übe das Schweizer Fernsehen unbestrittenermassen eine berufliche Tätigkeit aus. Dabei sei es unerheblich, dass der Blog-Kommentator nicht beruflich tätig ist, weil sich dieser ohnehin nicht (direkt) auf den Quellenschutz berufen könne. Schliesslich handle es sich bei den Blog-Kommentaren auch um Informationen im redaktionellen Teil (nicht im «Anzeigeteil») der Website, da sie vom Schweizer Fernsehen verantwortet werden und einen Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Sendung aufweisen.

In der Folge widmete sich das Bundesgericht ausführlich der vierten Voraussetzung des Quellenschutzes und damit der Frage, ob der Blogkommentar als Information oder lediglich als (nicht geschützte) Unterhaltung, die keinen Zusammenhang mit der Informationsfreiheit aufweist, zu qualifizieren ist. Zunächst wird unter Hinweis auf das sog. Infotainment und die «Dokufiction» betont, dass keine klare Unterscheidung möglich ist und Überschneidungen bestehen. Aufgrund der Bedeutung der Medienfreiheit und des Redaktionsgeheimnisses in einer demokratischen Gesellschaft müsse der Begriff der Information jedoch weit ausgelegt werden. Deshalb würden nicht nur «seriöse Botschaften» dazu gehören, sondern auch Belanglosigkeiten. Nicht entscheidend sei dabei der Wahrheitsgehalt und die Ernsthaftigkeit der Information oder ob die Information von allgemeinem und öffentlichen Interesse ist. Vor diesem Hintergrund sei der Begriff der Unterhaltung restriktiv auszulegen.

Bei der Anwendung auf den im vorliegenden Fall zu beurteilenden Blogkommentar ging das Bundesgericht in einem ersten Schritt auf die Sendung «Alpenfestung- Leben im Réduit» und den Blog auf der Website ein. Die Sendung diente gemäss dem Bundesgericht klar nicht reinen Unterhaltungszwecken, sondern setzte sich mit einem bestimmten Aspekt aus der Zeit des zweiten Weltkriegs auseinander, sodass sie eine Information im Sinne von Art. 28a Abs.1 StGB darstelle. Gleiches gelte auch für den Blog. Denn dieser stehe nicht nur in einem unmittelbaren Zusammenhang zu der Sendung, sondern habe diese ergänzt durch Schilderungen einer Person, die in der Sendung mitwirkt. In einem zweiten Schritt hält das Bundesgericht fest, dass die Kommentare zu diesem Blog persönliche Wahrnehmungen wiedergeben sollen, wie der Blogger und seine Beiträge empfunden werden. Der Blog und die Kommentare bilden gemäss dem Bundesgericht eine sich bedingende Einheit, sodass sie nicht voneinander getrennt werden können. Dies und der konkrete Inhalt des Kommentars sprachen im vorliegenden Fall für die Zuordnung als Information.

Anschaulich sind in der Urteilsbegründung auch die Anmerkungen zu den Folgen, die sich aus der Anwendbarkeit des Quellenschutzes ergeben. Es wird festgehalten, dass der Quellenschutz nicht zu einem strafrechtlichen Freipass führt, sondern zu einer Verlagerung. Denn anstelle des Autors bzw. Kommentar kann in diesem Fall der verantwortliche Redaktor bestraft werden (vgl. Art. 28 StGB und 322 StGB). Ferner ist ein Medienunternehmen bei Vorliegen der Voraussetzungen des Quellenschutzes nicht verpflichtet, sich darauf zu berufen, sondern kann frei entscheiden, ob sie Informationen über Informanten bzw. Kommentatoren herausgeben will. Dies führt auch dazu, dass eine Person, die ehrverletzende Äusserungen in Blog-Kommentaren verbreitet, keine Gewähr dafür hat, dass das Medienunternehmen deren Identität bzw. IP-Adresse nicht bekannt geben wird.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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