Ihr Kontakt
Vor kurzem hat das Bundesgericht mehrere Urteile veröffentlicht, welche sich mit dem Zugänglichmachen von verschlüsselten Pay-TV-Sendern befassten. In den ersten beiden Fällen hatten die Beschuldigten für ihre Kunden Decoder so manipuliert, dass unter anderem der Pay-TV-Sender Canal+ ohne reguläres Abonnement empfangen werden konnte. Die kantonalen Gerichte sahen in diesen Verhaltensweisen Verletzungen des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), sprachen die Beschuldigten aber frei von Widerhandlungen gegen die Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes (URG). Das Bundesgericht hat die Verurteilungen der Händler wegen einer Verletzung des UWG aufgehoben und die URG-Freisprüche bestätigt. In einem dritten Fall hat das Bundesgericht einen Händler ebenfalls vom Vorwurf einer URG-Verletzung freigesprochen. Die Begründung war in allen drei Entscheiden ähnlich: Die Kunden der Händler hätten die Werke direkt empfangen. Deshalb lag weder ein für eine URG-Verletzung relevantes „Wahrnehmbarmachen“ bzw. „Weitersenden“ noch eine UWG-relevante Übernahme und Verwertung eines fremden Arbeitsergebnisses durch die Beschuldigten vor. Das höchste nationale Gericht hat die Fälle aus diesem Grund an die kantonalen Gerichte zurückgewiesen. Diese werden nun erneut über die Zivilansprüche der Parteien zu entscheiden haben.
Sachverhalt
Der identische Sachverhalt der Urteile 6B_167/2012 und 6B_156/2012 vom 11. Oktober 2012 lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen: Die Beschuldigten hatten in den Jahren 2006 und 2007 Manipulationen an so genannten Dreambox-Decoder-Geräten vorgenommen, die es ihren Kunden ermöglichten, verschlüsselte TV-Signale zu dekodieren und auf diese Weise gewisse Pay-TV-Sender (z.B. Canal+) zu empfangen. Die Händler hatten zu diesem Zweck regulär Abonnemente der Pay-TV-Sender erworben. Die Kunden konnten anschliessend ein Serviceabonnement mit den Händlern abschliessen, über welches sie via Internet Zugang zu Entschlüsselungscodes erhielten und so die Pay-TV-Programme „kostenlos“ empfangen konnten.
Im beschriebenen Verhalten sahen die Waadtländer Gerichte einen Verstoss gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, konkret gegen Art. 5 lit. c UWG. Die beschuldigten Geschäftspartner wurden deshalb zu bedingten Geldstrafen von 120 beziehungsweise 60 Tagessätzen zu je 30 Franken verurteilt. Darüber hinaus wurden sie verpflichtet, den Geschädigten rund 104‘000 Franken zu bezahlen. Vom Vorwurf der Verletzung des Urheberrechtsgesetzes (URG) wurden die beiden hingegen freigesprochen.
Beide Parteien ergreifen Rechtsmittel
Beide Urteile wurden weitergezogen, jedoch mit unterschiedlichen Interessen: Während die Beschuldigten einen Freispruch vom Vorwurf der UWG-Widerhandlung forderten, verlangten die Geschädigten eine zusätzliche Verurteilung zu Geldstrafen und die Verpflichtung zu Schadenersatz wegen URG-Verletzungen.
Bestätigung Freispruch: Keine URG-Verletzung gegeben
Im Urteil 6B_167/2012, welches sich mit einer möglichen URG-Verletzung befasste, bestätigte das Bundesgericht den vorinstanzlichen Freispruch. Die Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 1 lit. i und Art. 69 Abs. 1 lit. e URG seien nicht erfüllt, weil es sich bei den Handlungen der Beschuldigten nicht um ein Wahrnehmbarmachen handle (vgl. Art. 10 Abs. 2 lit. f und Art. 37 lit. b URG). Die Kunden hätten die Werke über die von den Beschuldigten manipulierten Decoder direkt empfangen. Aus diesem Grund lag kein Wahrnehmbarmachen durch die Beschuldigten und damit auch keine Widerhandlung gegen das Urheberrechtsgesetz vor. Der vorliegende Fall sei nicht mit der Situation in Coiffeursalons, Restaurants oder Hotels vergleichbar. In all diesen Räumlichkeiten mache der Besitzer eine Sendung für seine Kunden wahrnehmbar. Im vorliegenden Fall aber würden die Kunden die Signale direkt, d.h. ohne Zwischenschalten eines Dritten, empfangen.
Da die URG-Bestimmungen nicht verletzt waren, hatten die Geschädigten auch keinen Anspruch auf eine Entschädigung (vgl. Art. 126 i.V.m. Art. 433 StPO). Das Bundesgericht wies die Beschwerde der Geschädigten deshalb vollumfänglich ab. Ob allenfalls eine Weitersendung im Sinne von Art. 67 Abs. 1 lit. h URG vorgelegen hätte, prüfte das Bundesgericht nicht, da ein entsprechender Strafantrag im kantonalen Verfahren nicht gestellt worden war.
Freispruch und Rückweisung an Vorinstanz: Keine UWG-Verletzung
Das Bundesgericht sprach die Beschuldigten aber anders als die Vorinstanz auch vom Vorwurf einer Widerhandlung gegen das UWG frei (Urteil 6B_156/2012). Hier wies das Gericht darauf hin, dass für die Anwendbarkeit von Art. 5 lit. c UWG immer vorausgesetzt sei, dass ein fremdes Arbeitsergebnis durch technische Reproduktionsverfahren als solches übernommen oder verwertet werde. Das Verfahren der Beschuldigten ermöglichte es zwar, technische Massnahmen zu umgehen und so den Kunden Zugang zu den Programmen der Pay-TV-Sender zu verschaffen. Das Codierungssystem sei aber nicht übernommen, sondern nur entschlüsselt worden. Auch die TV-Programme wurden nicht übernommen: Da die Beschuldigten die Signale nicht weitergesendet, sondern deren Kunden diese über die bei ihnen installierten Dreambox-Decoder direkt empfangen hatten, fehlte es gemäss Bundesgericht an einer Übernahme und Verwertung durch die Beschuldigten.
Ob die Pay-TV-Sender ihre Investitionen bereits amortisiert hätten und deshalb ohnehin keine UWG-Verletzung vorliegen würde (vgl. BGE 131 III 384 und BGE 134 III 166), prüfte das Bundesgericht nicht, da das kantonale Urteil keine Angaben darüber enthielt. Die Voraussetzungen von Art. 5 lit. c UWG waren deshalb nicht erfüllt, sodass die UWG-Strafbestimmung Art. 23 UWG nicht zur Anwendung gelangte. Mit der Frage, ob allenfalls eine andere UWG-Bestimmung verletzt wurde, befasste sich das Bundesgericht nicht. Es sprach die Beschuldigten aus den genannten Gründen vom Vorwurf der UWG-Verletzung frei und wies die Beschwerde an das Waadtländer Kantonsgericht zurück. Dieses hat nun erneut über die Zivilansprüche und die Auflage der Verfahrenskosten zu befinden.
Weiteres Urteil: ebenfalls keine URG-Verletzungen
Am gleichen Tag hat das Bundesgericht einen weiteren ähnlich gelagerten Fall entschieden. In diesem hat es eine Verurteilung eines Händlers ebenfalls aufgehoben (Urteil 6B_584/2011 vom 11. Oktober 2012). Dieser war vom Jurassier Kantonsgericht wegen der Verletzung von Art. 150bis StGB (Herstellen und Inverkehrbringen von Materialien zur Entschlüsselung codierter Angebote) sowie Art. 67 Abs. 1 lit. h und Art. 69 URG zu einer bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 70 Franken, einer Busse von 3000 Franken sowie einer Schadenersatzzahlung von rund 98‘000 Franken verurteilt worden, weil er ebenfalls Dreambox-Decoder manipuliert und so seinen Kunden Zugang zu Pay-TV-Programmen verschaffte. Vom Vorwurf einer UWG-Verletzung und einer Verletzung von Art. 150 StGB (Erschleichen einer Leistung) war er hingegen freigesprochen worden. Das Bundesgericht hob die Verurteilung nach Art. 150bis StGB auf, da die Widerhandlung im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils bereits verjährt gewesen sei. Von einer Verletzung der URG-Strafnormen sprach das Bundesgericht den Beschuldigten frei. Anders als in den oben beschriebenen Urteilen prüfte das Bundesgericht vorliegend auch, ob eine Weitersendung im Sinne von Art. 67 Abs. 1 lit. h URG vorlag. Es verneinte dies allerdings mit der Begründung, dass der Beschuldigte die Fernsehsignale nicht an seine Kunden weitersende, sondern diesen durch so genanntes „Card Sharing“ lediglich den Zugriff auf die Signale ermögliche.
Anmerkungen
Das Bundesgericht liess in seinem Urteil diverse Fragen offen. Wie die Fälle nach der heute geltenden Rechtslage zu beurteilen gewesen wären, bleibt deshalb teilweise unklar. Offen bleibt beispielweise die Frage, ob die Handlungen allenfalls Art. 69a URG verletzt hätten. Da der genannte Artikel im Zeitpunkt der Handlungen noch nicht in Kraft war, war er auch nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar. Das Gericht wies aber im letztgenannten Urteil zumindest daraufhin, dass diese Strafbestimmung, die insbesondere die Umgehung von technischen Schutzmassnahmen unter Strafe stellt, nicht hätte erlassen werden müssen, wenn das Gesetz diese Handlungen bereits vorher mit Strafe bedroht hätte.
Auch die Frage, ob Art. 150bis StGB anwendbar gewesen wäre, hatte das Bundesgericht nicht abschliessend zu beurteilen. Zwar hielt es dazu fest, dass die vorgenommenen Handlungen unter keine der im Artikel aufgeführten Tatbestandsvarianten fallen. Da die Verjährung bereits eingetreten war, hatte es sich aber nicht weiter damit auseinanderzusetzen.
Ebenfalls nicht entschieden hat das Gericht, ob allenfalls so genannte Entitlement Control Messages (ECM) und nicht die Fernsehsignale selbst weiterversendet wurden und dadurch eine strafbare Handlung begangen worden ist. ECM sind Signale, mit denen ein autorisierter Empfänger das zur jeweiligen Zeit gültige Kennwort errechnen und an den Dekoder übermitteln kann. Dieser nimmt daraufhin das endgültige Entschlüsseln des Datenstroms vor. Da die Geschädigten erst im bundesgerichtlichen Verfahren den Standpunkt vertraten, es seien ECM und nicht die Fernsehsignale selbst übermittelt worden, konnte das Bundesgericht diese Argumentation nicht mehr berücksichtigen (vgl. Art. 99 BGG).
Alle drei Urteile sind zur Publikation in der amtlichen Sammlung der Bundesgerichtsentscheide vorgesehen.
Weitere Informationen: