BGer urteilt in Sachen Viagogo: erfolglose Beschwerde wegen Verstoss gegen Impressumspflicht und Irreführungsverbot im UWG


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In einem aktuellen Urteil befasst sich das Bundesgericht erstmals mit den besonderen E-Commerce-Vorschriften im Schweizer Lauterkeitsrecht (UWG) sowie dem Irreführungsverbot auf der Ticketplattform Viagogo. Die Entscheidung wurde mit besonderer Spannung erwartet, ging es doch aus Sicht des SECO um einen Präzedenzfall im Online-Handel. Die Erwartungen, welche bereits durch das vorinstanzliche Urteil des Zürcher Handelsgerichts gedämpft wurden, werden allerdings enttäuscht. Ein Grossteil der Begehren des SECO scheiterte bereits aus prozessualen und formalen Gründen. Daher musste sich das Bundesgericht wie bereits das Handelsgericht bedauerlicherweise mit mehreren interessanten Aspekten nicht vertiefter auseinandersetzen. Die wenigen bundesgerichtlichen Ausführungen zum Inhalt der Vorschriften bleiben ferner vage. Es überrascht insofern auch nicht, dass das Urteil nicht Eingang in die amtliche Sammlung der Leitentscheide finden wird. Auch wenn das Bundesgericht somit gewisse Standpunkte des Handelsgerichts im Ergebnis gestützt hat, sollten sich andere Anbieter nicht vorbehaltlos darauf verlassen.

Ticketvermittlungsplattformen im Fokus der Behörden

Gegenstand des Urteils des Bundesgerichts (BGer 4A_235/2020) war eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Handelsgerichts (HG170194) (vgl. dazu MLL-News vom 30. Juli 2020). Die Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), legte gegen den Entscheid des Handelsgerichtes Beschwerde ein. Bei der Beschwerdegegnerin handelt es sich um die Viagogo AG mit Sitz in Genf. Viagogo betreibt auf verschiedenen länderspezifischen Websites eine Ticketvermittlungsplattform. Darauf können Dritte Tickets für Veranstaltungen anbieten, wobei Viagogo bei der Abwicklung eines Kaufs Abwicklungsgebühren erhebt.

Ticketvermittlungsplattformen wie Viagogo beschäftigten die Behörden bereits in der Vergangenheit mehrfach (MLL-News 27.9.2017 und MLL-News vom 25.2.2015; ferner das Urteil NP180001 des OGer ZH) und werden auch immer wieder in den Medien im Kontext von Konsumentenbeschwerden diskutiert. Ausgehend davon wurde das Verfahren vom SECO denn auch als Präzedenzfall im Bereich Online-Plattformen bezeichnet. In der Tat werden im vorliegenden Verfahren zahlreiche für die Praxis und die Lehre wichtige rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) behandelt. So geht es materiell neben der Einhaltung der besonderen E-Commerce-Vorschriften auch um die Zulässigkeit von Werbeclaims und die Anforderungen an Preisangaben im Online-Kontext. In Bezug auf die Durchsetzung steht ferner auch zur Debatte, inwieweit das SECO zur Erhebung von Klagen überhaupt ermächtigt ist.

Wie bereits das vorinstanzliche Urteil befürchten liess, erfüllt das Verfahren die hohen Erwartungen nicht. So musste sich das Bundesgericht, wie bereits das Handelsgericht leider mit vielen der aufgeworfenen Fragen aus prozessualen Gründen nicht materiell-rechtlich auseinandersetzen oder musste sich nicht abschliessend festlegen. Zu diesen Gründen zählt auch das «Rügeprinzip», wonach sich das Bundesgericht nur dann überhaupt detailliert mit einem Beschwerde-Punkt auseinandersetzen muss, wenn der Beschwerdeführer seine Kritikpunkte klar und detailliert vorbringt. An dieser Hürde scheiterte das SECO vorliegend mehrfach.

Der Praxis bleiben insoweit grösstenteils die ausführlicheren (aber teils fragwürdigen) Erwägungen der Vorinstanz erhalten, welche im Urteil des Bundesgerichts und insoweit auch im vorliegenden Beitrag wiederholt werden.

Die Schweizerische Eidgenossenschaft als Klägerin in UWG-Angelegenheiten

Strittig war im vorliegenden Verfahren zunächst, inwieweit der Bund bzw. das SECO überhaupt gegen Viagogo klagen darf (sog. Aktivlegitimation). Grundlage für das Klagerecht des Bundes bildet Art. 10 Abs. 3 UWG, wobei die Vertretung durch das SECO auf den Regeln einer besonderen Verordnung basiert. Danach kann der Bund klagen, wenn er es zum Schutz des öffentlichen Interesses als nötig erachtet, namentlich wenn:

  1. das Ansehen der Schweiz im Ausland bedroht oder verletzt ist und die in ihren wirtschaftlichen Interessen betroffenen Personen im Ausland ansässig sind; oder
  2. die Interessen mehrerer Personen oder einer Gruppe von Angehörigen einer Branche oder andere Kollektivinteressen bedroht oder verletzt sind.

Bei der Beurteilung, ob ein solches Schutzbedürfnis besteht, wird dem Bund im Grundsatz ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt. Der Bund darf das Schutzbedürfnis regelmässig als vorhanden betrachten, wenn das unlautere Verhalten eine Vielzahl von Personen betrifft oder eine gewisse Häufigkeit aufweist. Hierbei kommen den konkreten Beschwerdeschreiben von Betroffenen eine Indizwirkung zu. Während die Rechtsprechung keine konkrete Mindestanzahl an Beschwerden bzw. Verstössen vorsieht, wurde in der UWG-Botschaft 2009 die Meinung vertreten, dass eine Klageerhebung erst ab rund zwanzig Beschwerden realistisch ist.

Vor Bundesgericht rügte das SECO, dass das Handelsgericht zu hohe Anforderungen an die Aktivlegitimation gestellt hatte. In einem ersten Schritt fasste das Bundesgericht die Ausführungen des Handelsgerichtes zusammen, welche daran erinnern, dass bei gravierenden Verstössen auch bei wenigen Beschwerden bzw. Verstössen ein Klagerecht bestehen kann. Ausserdem wird darauf hingewiesen, dass die entsprechende Aktivlegitimation für jedes einzelne Rechtsbegehren separat vorliegen muss. Dies war gemäss dem Handelsgericht nicht für alle Rechtsbegehren der Fall.

In einem zweiten Schritt wies das Bundesgericht die Beschwerde bezüglich der Aktivlegitimation in allen Punkten ab. Dem SECO gelang es vor Bundesgericht nicht, darzulegen, dass das Handelsgericht zu hohe Anforderungen gestellt hatte. Umfangreiche neue Beweismittel waren sodann «verspätet» und prozessual nicht mehr verwendbar. Mehrere Beanstandungen des SECO (Fehlen einer E-Mail-Adresse im Impressum, Verwendung der Formulierung «keine Warteschlangen» und fehlende Kontaktangaben gewerbsmässiger Anbieter) scheiterten deshalb bereits aus diesen Gründen. Mit Blick auf künftige Fälle ist aber auf die Erwägung des Bundesgerichts hinzuweisen, wonach ein weltweites Internetangebot und die Erreichung einer Vielzahl von Personen allein nicht genügen, um eine Aktivlegitimation zu rechtfertigen. Die Aufgabe des Bundes bestehe im Schutz des Ansehens der Schweiz im Ausland und nicht in der voraussetzungslosen weltweiten Durchsetzung des schweizerischen UWG in Bezug auf Online-Angebote, die über in der Schweiz niedergelassene Unternehmen betrieben werden.

Kein unzulässiger Bestellprozess

Nachdem das Bundesgericht mehrere weitere Beanstandungen des SECO bereits aus prozessualen Gründen verwarf, ging es um die behaupteten Mängel in der Ausgestaltung des Bestellprozesses auf der Viagogo-Plattform. Konkret sah das SECO auch einen Verstoss gegen die Vorschrift in Art. 3 Abs. 1 lit. s Ziffer 2 UWG. Danach handelt unlauter, wer es im E-Commerce unterlässt, „auf die einzelnen technischen Schritte, die zu einem Vertragsabschluss führen, hinzuweisen.“

Das Handelsgericht bestätigte hierzu zunächst, mit dieser Vorschrift solle verhindert werden, dass der Kunde eine Willenserklärung abgibt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Erforderlich sei die Kennzeichnung der Schritte, die zum Vertragsschluss führen, sodass der Kunde jederzeit erkennen kann, in welcher Phase des Bestellvorgangs er sich befindet und wann eine rechtlich verbindliche Willenserklärung definitiv abgegeben wird. Eine Möglichkeit zur Umsetzung sieht das Handelsgericht in der eindeutigen Beschriftung der jeweiligen Buttons, wobei das Schweizer Recht im Gegensatz zum deutschen Recht keine konkreten inhaltlichen Vorgaben für die entsprechenden Beschriftungen macht. Als weitere Lösung bezeichnet das Handelsgericht die Anzeige einer Leiste mit einzelnen Bestellphasen, worin die gerade aktuelle Phase hervorgehoben wird (Flussdiagramm).

Nach Ansicht des SECO wurden Kunden auf der Viagogo-Plattform durch den Bestellbutton mit dem Text „Bestellung beenden … und Tickets sichern!“ in die Irre geführt. Der Text sei einerseits in kleiner Schriftgrösse und schlecht wahrnehmbar, andererseits würden Nutzer nicht klar verstehen können, ob sie den Bestellprozess abbrechen oder den Kauf bestätigen. Demgegenüber hielt das Handelsgericht fest, für den Durchschnittskonsumenten sei aufgrund der Platzierung des Buttons, dem Text sowie der grünen Farbe des Buttons klar, dass er durch Anklicken des Buttons die Bestellung nicht abbreche, sondern bestätige. Den Vorwurf, dass regelmässig Kaufverträge ohne Betätigung des Bestellbuttons abgeschlossen würden, wies das Gericht aufgrund fehlender Beweise ab. Darüber hinaus sei ohnehin auch die Aktivlegitimation des Bundes nicht gegeben.

Das Bundesgericht wies die Beschwerde des SECO auch in diesem Punkt ab, weil Fehler des Handelsgerichts bei der Sachverhaltsfeststellung oder in der Rechtsanwendung vom SECO nicht hinreichend begründet wurden.

Impressumspflicht: Kontaktformular statt E-Mail-Adresse ist ungenügend

Das SECO warf in seiner Klage Viagogo vor, gegen Art. 3 Abs. 1 lit. s Ziff. 1 UWG zu verstossen, da auf der Website keine E-Mail-Adresse von Viagogo angegeben wurde. Diese für den E-Commerce ebenfalls zentrale Vorschrift (vgl. MLL-News vom 2.9.2011 und MLL-News vom 13.4.2012) verlangt von einem Anbieter im elektronischen Geschäftsverkehr „klare und vollständige Angaben über seine Identität und seine Kontaktadresse einschliesslich derjenigen der elektronischen Post«.

Das Handelsgericht erinnerte in seinem Urteil zunächst daran, dass Pflichtangaben leicht ersichtlich direkt auf der Website aufzuführen sind und vor Bestellabschluss – typischerweise in den Rubriken „Impressum“, „Home“ oder „Über uns“ – abrufbar sein müssen. An anderer Stelle hielt das Gericht aber auch fest, dass kein Anspruch auf die Platzierung des Impressums an einer bestimmten Stelle bestehe. Für das vom SECO geforderte Verbot des Betriebs einer Ticketplattform, „ohne zumindest auf der Einstiegsseite eine Rubrik mit der Bezeichnung „Impressum“ vorzusehen […]“, bestehe deshalb keine Grundlage.

Darüber hinaus stützte das Handelsgericht allerdings die herrschende Meinung, dass die Bereitstellung eines Kontaktformulars auf der Website die Angabe einer E-Mail-Adresse nicht ersetzen könne. Dies wird unter anderem damit begründet, dass ein Kontaktformular nicht mit einer E-Mail-Adresse gleichgesetzt werden könne, da in Ersterem Limitationen hinsichtlich Zeichenzahl bestehen, Pflichtangaben zu machen sind, ein Besuch der Website vorausgesetzt wird und weil die Abspeicherung sowie Weiterleitung eines versandten Formulars nicht möglich seien. Folglich sei die Angabe einer E-Mail-Adresse zwingend, wobei das zusätzliche Bereitstellen eines Kontaktformulars nicht verboten sei. Obwohl das Handelsgericht in seinem Urteil festhielt, dass Viagogo gegen Art. 3 Abs. 1 lit. s Ziff. 1 UWG verstösst, indem sie keine E-Mail-Adresse auf der Website angibt bzw. angab, wurde das entsprechende Rechtsbegehren letztendlich mangels Aktivlegitimation des Bundes abgewiesen. Denn es seien bei solchen Verletzungen in der Regel kaum öffentliche Interessen betroffen und das SECO habe auch nicht hinreichend viele Kunden-Beschwerden zu diesem Punkt eingereicht.

Das Bundesgericht äusserte sich nicht zu dieser Beanstandung, da es die Beschwerde aufgrund fehlender Aktivlegitimation des SECO abwies (s. dazu oben).

Impressumspflicht gilt auch für Dritt-Anbieter auf Plattformen

In Bezug auf die Impressumspflicht im UWG vertrat das SECO weiter den Standpunkt, dass die Pflichtangaben nicht nur von Viagogo selbst zu machen sind, sondern auch von den gewerbsmässigen Anbietern von Tickets auf der Plattform von Viagogo. Während die Rechtslage in der EU durch eine Regelung in der sog. P2B-Verordnung geklärt wurde (vgl. MLL-News vom 14.5.2020), ist diese Frage in der Schweiz nach wie vor umstritten. Entgegen verschiedener Lehrmeinungen schloss sich das Handelsgericht der Auffassung des SECO an. Insofern gilt die Impressumspflicht gemäss Handelsgericht auch für gewerbsmässige Anbieter auf Plattformen. Daher müssten auch die einzelnen Ticketverkäufer, die gewerbsmässig auftreten, die entsprechenden Angaben auf Viagogo machen.

Das Handelsgericht hielt im Urteil weiter fest, dass diese Pflicht zwar die einzelnen gewerblichen Ticketanbieter treffen würde, jedoch nur Viagogo aufgrund der technischen Möglichkeiten selbst die Website so gestalten kann, dass die Angaben der professionellen Ticketverkäufer ersichtlich sind. Entsprechend könne Viagogo auch direkt verpflichtet werden, die erforderlichen Angaben auf ihren Websites zu machen.

Trotz festgestellter Verletzung des UWG wies das Handelsgericht letztendlich aber auch hier das entsprechende Rechtsbegehren ab, da die Aktivlegitimation des Bundes aus den gleichen Gründen wie oben nicht bestehe. Das Bundesgericht wies die Beschwerde des SECO in Bezug auf das Klagerecht des Bundes, wie bereits erwähnt, ab (vgl. oben), weshalb es sich zu den Vorgaben der Impressumspflicht letztlich nicht selbst geäussert hat.

Aufmerksamkeit des Durchschnittsadressaten nicht falsch bestimmt

Bevor sich das Bundesgericht mit den vom SECO vorgebrachten Verstössen gegen das Irreführungsverbot auseinandersetzte (s. dazu sogleich unten), ging es auf die Frage ein, wer überhaupt als Durchschnittsadressat der Plattform gilt und wie hoch dessen Aufmerksamkeit bei der Nutzung der Plattform ist. Denn nach Ansicht des SECO hatte das Handelsgericht hier falsche Massstäbe angewandt. Das Bundesgericht wies jedoch auch diese Rüge ab.

Das Bundesgericht begründet die Abweisung damit, dass das SECO nicht klar gemacht habe, inwiefern eine nicht «besonders grosse Investition» (d.h. der Kauf eines Tickets) zu einer geringeren Aufmerksamkeit eines Durchschnittsverbrauchers führen würde. Das Bundesgericht geht davon aus, dass ein Ticketkauf ein bewusster Entscheid ist, bei welchem ein Durchschnittsadressat zumindest eine gewisse Aufmerksamkeit an den Tag legen wird. Dieser Massstab war deshalb nach Ansicht des Bundesgerichts bei der Beurteilung der nachfolgenden Angaben und Werbeclaims anzuwenden.

Kein Verstoss gegen Irreführungsverbot

So rügte das SECO, Viagogo sei, entgegen der Auffassung des Handelsgerichtes, hinsichtlich verschiedener für die Kunden relevanter Aspekte ihres Geschäftsmodells intransparent und der Webauftritt der Plattform sei irreführend. Mit anderen Worten sah das SECO einen Verstoss gegen das Irreführungsverbot des UWG (Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG). Dieses verbietet falsche oder irreführende Angaben, namentlich über sich selber, sein Geschäftsmodell oder seine Angebote. Das Handelsgericht betont mehrfach, dass die Frage, ob eine falsche bzw. irreführende Angabe vorliegt, im Kontext einer Gesamtbetrachtung der Aussagen zu beurteilen ist und dass hierbei nicht auf die individuelle Auffassung, sondern eben auf diejenige des erwähnten Durchschnittsadressaten abzustellen ist (objektiviertes Verständnis).

Im Einzelnen beanstandete das SECO auch vor Bundesgericht unter anderem die folgenden Aspekte und forderte von Viagogo klarstellende, deutlich sichtbare und verständliche Hinweise. Das Bundesgericht wies allerdings, wie bereits das Handelsgericht, auch in diesem Zusammenhang sämtliche Begehren ab:

  • Eindruck eines Erstverkäufers: Das Bundesgericht stützt zunächst die Ansicht des Vorinstanz, wonach durch den Webauftritt von Viagogo insgesamt nicht der Eindruck erweckt werde, dass man es mit einem Erstverkäufer oder einer offiziellen Ticketplattform zu tun habe. Zu diesem Schluss kam das Handelsgericht insbesondere auch, weil Viagogo auf der Website „Ticketbörse“ genannt wird, weil ein gut erkennbarer „Tickets verkaufen“ Button vorhanden ist und weil Tickets für denselben Sektor von Veranstaltungen von verschiedenen Verkäufern zu verschiedenen Preisen angeboten werden. Zahlreiche Argumente des SECO gegen diese Schlussfolgerung genügten nicht, um das Bundesgericht vom Gegenteil zu überzeugen. Das Bundesgericht räumt zwar ein, es sei tatsächlich zweifelhaft, ob Durchschnittsadressaten mit dem «Einfluss von AdWords auf Online-Suchergebnisse bzw. die Wirkungsweise personalisierter Suchen vertraut» seien. Ausgehend von den verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen des Handelsgerichts erachtete es das Bundesgerichts als nicht einleuchtend, weshalb der Durchschnittsadressat bei der Google-Suche davon ausgehen soll, es mit dem offiziellen Ticketverkäufer zu tun zu haben, wenn er nach dem Anklicken des obersten Links auf die Online-Plattform der Beschwerdegegnerin gelangt. Denn für den Durchschnittsadressaten sei erkennbar, dass die entsprechend markierten Anzeigen bezahlte Werbung darstellen und in der Regel vor Suchergebnissen erscheinen. Die neu vom SECO vor Bundesgericht hiergegen vorgebrachten Behauptungen und Zusammenhänge waren verspätet und unbeachtlich. Das Bundesgericht weist die Beschwerde des SECO auch in diesem Punkt ab.
  • Personalisierte Tickets und Zugangsverweigerung: Gleiches gilt auch für die vom SECO geforderte Verpflichtung zulasten von Viagogo, auf ihrer Plattform darauf hinzuweisen, dass die Tickets personalisiert sein können und dass die Tickets nicht immer Zugang zur entsprechenden Veranstaltung gewähren. Das SECO hatte argumentiert, entsprechende Hinweise würden fehlen und Viagogo treffe eine Aufklärungspflicht, da die Kunden davon ausgehen würden, auf der Website eines Erstverkäufers zu sein. Da der Durchschnittsadressat nach Ansicht der Gerichte sehr wohl erkennen würde, dass Viagogo kein Erstverkäufer sei, wurde eine solche Aufklärungspflicht verneint. Der vor Bundesgericht vorgebrachte Vergleich mit der Rechtsprechung zur Providerhaftung im Persönlichkeitsrecht (vgl. dazu MLL-News vom 7.6.2013) verfing ebenso wenig. So sei vorliegend doch keine Persönlichkeitsverletzung ersichtlich und habe das SECO auch nicht dargelegt, welcher konkrete Gesetzesverstoss dem Drittverkäufer vorzuwerfen wäre. Insofern sei auch nicht ersichtlich, zu welchem unlauteren Wettbewerbsverhalten ein Tatbeitrag von Viagogo erfolgt sein soll.
  • Preisdifferenzen: Auch für eine Verpflichtung von Viagogo zum Anbringen eines Hinweises darüber, dass die Preise der angebotenen Tickets vom ursprünglichen Kaufpreis abweichen können, sah das Handelsgericht keinen Grund. Es hielt fest, dass keine Aufklärungspflicht über die Preisniveaus anderer Verkäufer besteht. Das Bundesgericht wies die Beschwerde in diesem Punkt wiederum mit der Begründung ab, dass für einen Durchschnittsadressaten klar ist, dass er sich auf einer Wiederverkaufsplattform befindet.
  • Werbeclaims „100% Garantie“ und „niedrige Preise“: Auch das vom SECO verlangte Verbot für die Verwendung der Formulierungen „100% Garantie“ sowie „niedrige Preise“ wies das Handelsgericht ab. In Bezug auf die Äusserung „100 % Garantie“ urteilte das Gericht, dass es sich um ein marktschreierisches Schlagwort und nicht um eine „wettbewerbsbezogene, tatsächliche, dem Beweis zugängliche Behauptung“ handle. Bei einem Durchschnittsadressaten löse die Äusserung keine konkrete, rationale Vorstellung aus. Das Bundesgericht befasste sich seinerseits inhaltlich aber nur noch mit dem Claim „niedrige Preise“. Diesbezüglich liess das Handelsgericht offen, ob ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung und damit eine „Angabe“ im Sinne des Irreführungsverbots vorliegt. Das Handelsgericht erläuterte, dass selbst bei einer Qualifikation als Tatsachenbehauptung eine Gutheissung des Begehrens nicht möglich wäre, da das SECO bereits an den prozessualen Hürden hinsichtlich Behauptungen und Beweiserbringung scheitert. Darüber hinaus fügt das Handelsgericht hinzu, dass das SECO fälschlicherweise die Preise auf Viagogo mit den Preisen von Erstticketverkäufern vergleicht, obwohl für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung der Äusserung ein Vergleich mit den Preisen auf anderen Sekundärmärkten relevant wäre. Das Bundesgericht wies die Beschwerde hierzu wiederum mit der Begründung ab, dass für einen Durchschnittsadressaten klar sei, dass es sich nicht um einen Erstkauf handle, ab. Im Übrigen gelinge es dem SECO auch nicht, die Sachverhaltsfeststellung des Handelsgericht als bundesrechtswidrig auszuweisen.

Keine irreführenden Preisangaben und Zuschläge

Die Beschwerde des SECO scheiterte vor Bundesgericht in Bezug auf die Verletzung der Vorschriften über die Preisbekanntgabe. Bedauerlicherweise nahm das Bundesgericht keine Stellung zu den einzelnen (teils fragwürdigen) Argumenten, sondern weist lediglich darauf hin, dass es dem SECO nicht gelungen sei, eine Bundesrechtsverletzung des Handelsgerichts aufzuzeigen. In Bezug auf den Fall von Viagogo bleibt es somit beim Urteil des Handelsgerichts. Demnach werden die Nutzer beim Bestellvorgang auf Viagogo hinsichtlich des letztendlich zu zahlenden Preises nicht in die Irre geführt, selbst wenn der vom Käufer zu zahlende Endpreis nicht von Anfang an angezeigt werde und Zuschläge wie Mehrwertsteuer, Versandkosten und Buchungsgebühr erst gegen Ende des Bestellvorgangs nach und nach zum Preis der Tickets addiert werden.

Im Einzelnen liess das Handelsgericht die Frage offen, ob die Vermittlungstätigkeit von Viagogo eine Dienstleistung darstellt, die von der Bekanntgabepflicht gemäss Preisbekanntgabeverordnung (PBV) erfasst ist. Denn bei Dienstleistungen sei – anders als bei Waren und abgesehen vom Sonderfall der Flugreisen – in der PBV nicht geregelt, wo die Preisangabe zu erfolgen hat. Bei den Preisen interessiere den Durchschnittskonsumenten aber letztlich, welchen Preis er inkl. aller Zusätze (MwSt und Abgaben) zu bezahlen hat. Zur Vermeidung von Irreführungen hat nach Ansicht des Handelsgerichts der tatsächliche Preis deshalb vor Erteilung des Konsenses zum Vertragsabschluss dem Käufer bekannt zu sein.

Gestützt auf die bei den Akten liegenden Screenshots der Bestellprozesse erachtete das Gericht diese Voraussetzung im Fall von Viagogo als gegeben. Dass nicht von Anfang an der Endpreis angezeigt wird, stellt gemäss Urteil des Handelsgerichts im vorliegenden Fall keine Irreführung des Nutzers dar. Der Durchschnittskonsument würde den auf der Website anfangs eingeblendeten Preis als Anfangspreis verstehen und aufgrund der Üblichkeit im Internet wissen, dass noch Zuschläge wie Zoll-, Versand- und Bearbeitungsgebühren anfallen können. Gegen eine Irreführung spreche auch, dass bereits am Anfang des Bestellprozesses darauf hingewiesen werde, dass noch Zuschläge zum Verkaufspreis dazukommen, selbst wenn deren Höhe zu diesem Zeitpunkt nicht ausgewiesen werde.

Keine Zwangslage und Irreführung durch Angaben wie „Tickets sind fast ausverkauft“

Zu guter Letzt hat das Bundesgericht die Beschwerde auch in Bezug auf die Claims „Tickets sind sehr nachgefragt“, „es bleiben nur noch wenige Tickets“ und „Tickets sind fast ausverkauft“ sowie der Abbildung eines Countdowns im Kaufprozess abgewiesen. Das SECO hatte vor Bundesgericht hierzu wiederum keine hinreichend begründete Beanstandung hervorgebracht. Ferner hätte das SECO bereits vor Handelsgericht die konkreten zeitlichen Abläufe im Rahmen des Bestellprozesses detailliert aufzeigen und beweisen müssen. Die Behauptung, die zur Verfügung stehende Zeit im Rahmen des Bestellprozesses sei für die vorzunehmenden Angaben (Eingabe der Adresse, Kreditkarteninformationen usw.) zu kurz bemessen, galt vor Bundesgericht deshalb als nicht nachgewiesen. Auch in Bezug auf diese Angaben auf der Viagogo-Plattform, die man dem sog. «Nudging» zuordnen kann, bleibt es somit bei den Ausführungen des Handelsgerichts.

Dieses gelangte zum Schluss, das SECO habe nicht substantiiert behauptet, dass die Angaben zur Verfügbarkeit oder Nachfrage falsch und damit irreführend sind. Ein unrichtiger Eindruck werde mit den Aussagen aber ohnehin auch nicht hervorgerufen. Namentlich gehe der Durchschnittskonsument nicht davon aus, dass sich die Aussagen auf den gesamten Markt beziehen, sondern nur auf die Viagogo-Plattform. Darüber hinaus fehle die besondere Aggressivität, die erforderlich ist, um als unlautere Verkaufsmethode im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. h UWG zu gelten.

Die Methoden könnten gemäss dem Handelsgericht den Kunden zwar dazu bringen, im Kaufprozess nicht zu trödeln, aber nicht zuletzt aufgrund der Branchenüblichkeit seien sich Durchschnittskonsumenten solche Angaben gewohnt. Sie würden den Vertrag letztlich nicht wegen den genannten Methoden abschliessen, sondern aufgrund einer Abwägung von Produkt und Preis. Von einer Zwangslage, in der die Entscheidungsfreiheit des Kunden spürbar eingeschränkt wird, könne daher nicht die Rede sein. Eine Drucksituation bzw. Überrumpelung, wie sie bei Haustürgeschäften, Telefonverkäufen oder Verkäufen im öffentlichen Raum vorkommen können, liege nicht vor.

Fazit und Anmerkungen

Aus den dargelegten Gründen wurde die Beschwerde des SECO vom Bundesgericht vollumfänglich abgewiesen und das Urteil der Vorinstanz im Ergebnis bestätigt. In dem Verfahren werden eine Vielzahl von interessanten Aspekten behandelt, insbesondere im Zusammenhang mit den E-Commerce-Vorschriften des Schweizer UWG. Bedauerlicherweise äusserte sich das Bundesgericht kaum inhaltlich zu diesen Themen. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass gewisse Begehren und Vorwürfe bereits aus prozessualen Gründen nicht abschliessend geprüft werden mussten. So trat das Bundesgericht auf einen Teil der Beschwerde gar nicht erst ein. Zum anderen lässt sich dem Urteil teilweise auch nicht hinreichend klar entnehmen, wie die Plattform im für das Urteil massgebenden Zeitpunkt ausgestaltet war. Denn die jeweiligen Screenshots werden bereits im Urteil des Handelsgerichts nicht aufgeführt. Seit der Klageerhebung hat Viagogo auf der Plattform jedenfalls mehrere Anpassungen vorgenommen. Diese dürften zumindest teilweise auch auf die Klage des SECO zurückzuführen sein. Auch wenn die Beschwerde vom Bundesgericht abgewiesen worden ist, verbleiben dem SECO im vorliegenden „Präzedenzfall“ zumindest diese kleinen Teilerfolge.

Für die Praxis und andere Anbieter verbleiben aus dem vorliegenden Verfahren somit im Wesentlichen nur die Ausführungen des Handelsgerichts. Diese enthalten zwar teilweise relativ liberale und aus Unternehmersicht erfreuliche Standpunkte. Zu beachten ist dabei aber zum einen der Umstand, dass die meisten Fragen mangels Stellungnahme des Bundesgerichts nach wie vor nicht höchstrichterlich geklärt sind. Zum anderen vermag die Argumentation des Handelsgerichts zum Teil auch nicht zu überzeugen. Dies gilt namentlich für die Ausführungen rund um die Preisangaben. So wird doch z.B. mit keinem Wort erwähnt, dass die PBV nicht nur Vorschriften für das „Angebot“ (von bestimmten Dienstleistungen) enthält, sondern auch für die (preisbezogene) Werbung (für sämtliche Dienstleistungen). Ferner wird von der Üblichkeit nachträglicher Preiszuschläge gesprochen, ohne dies näher zu belegen. Selbst wenn man solche Preiszuschläge als üblich betrachten würde («Ist-Zustand»), erscheint jedenfalls zweifelhaft, inwiefern dies in die Beurteilung einfliessen soll, welche Anforderungen aus der Preisbekanntgabeverordnung folgen («Soll-Zustand»). Aus diesen Gründen ist somit Vorsicht geboten. Jedenfalls sollten die Reaktionen auf das Urteil, insbesondere seitens des SECO, mit in die Beurteilung einbezogen werden.

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