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Der von der ETH Zürich betriebene Dokumentenlieferdienst verstösst nicht gegen das Urheberrecht, zu diesem Schluss ist das Bundesgericht in einem jüngst veröffentlichten Urteil (4A_295/20104) gekommen. Berechtigte Benutzer können bei der Bibliothek einzelne Aufsätze aus wissenschaftlichen Zeitschriften bestellen, worauf diese eingescannt oder kopiert und dem Besteller per Post oder E-Mail zugesandt werden. Verschiedene Verlage sahen durch das Vorgehen der Bibliothek ihre Urheberrechte verletzt und reichten beim Handelsgericht Zürich Klage ein. Im erstinstanzlichen Entscheid des Handelsgerichts (HG110271-O) folgte man der Argumentation der Verlage und beurteilte den Dokumentenlieferdienst als unzulässig, weil er ausserhalb des urheberrechtlich gestatteten Eigengebrauchs liege. Dieses Urteil hat das Bundesgericht (BGer) nun aufgehoben. Die höchstrichterliche Urteilsfindung bringt zutage, dass eine auszugsweise erstellte Kopie eines Zeitschriftenaritkels und deren Versand durch die Bibliothek an den Besteller, sich im Rahmen des zulässigen urheberrechtlichen Eigengebrauchs bewegt.
Ausgangslage
Die Bibliothek der ETH Zürich betreibt einen Dokumentenlieferdienst. Für Berechtigte ist es dank dieses Dienstes möglich, bspw. nach einer Online-Recherche, einen bestimmten Aufsatz aus einer wissenschaftlichen Zeitschrift bei der Bibliothek zu bestellen, anstatt diesen selber in der Bibliothek zu kopieren. Die Bibliothek ihrerseits sucht den Aufsatz in einer von ihr abonnierten Zeitschrift oder einem Sammelband auf, kopiert oder scannt diesen und verschickt ihn per Post oder E-Mail an den jeweiligen Besteller. Gegen dieses Vorgehen wehrten sich verschiedene Verlage mit Klage beim Zürcher Handelsgericht, welches ihnen vorerst Recht gab. Beim Handelsgericht sah man die Urheberrechte der Verlage durch den Dokumentenversand der ETH Bibliothek verletzt, da dieser Versand sich ausserhalb des zulässigen Eigengebrauchs befinde. Gegen dieses Urteil reichte die ETH Beschwerde beim Bundesgericht ein. Dieses hiess die Beschwerde gut und wies die Klage der Verlage ab.
Verwendung zum Eigengebrauch
Das Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (URG) beschränkt die Rechte des Urhebers in Art. 19 URG, indem es besagt, dass veröffentlichte Werke grundsätzlich zum Eigengebrauch verwendet werden dürfen. Es ist demnach zulässig, für den persönlichen Gebrauch und im Kreis von Verwandten und Freunden Kopien zu erstellen (Art. 19 Abs. 1 lit. a URG). Das Gesetz sieht weiter vor, dass die zum Eigengebrauch berechtigten Personen Kopien (Vervielfältigungen) durch Dritte, wie namentlich Bibliotheken, herstellen lassen können (Art. 19 Abs. 2 URG). Die Vervielfältigung durch Dritte ausserhalb des privaten Kreises, ist jedoch nur unter Beachtung der in Art. 19 Abs. 3 URG enthaltenen Vorbehalte zulässig. Zum privaten Kreis gehören wie erwähnt Verwandte und Freunde. Bibliotheken gehören klar nicht dazu und werden zudem in Abs. 2 ausdrücklich als Dritte bezeichnet. Der Eigengebrauch ist beispielsweise dann nicht mehr zulässig, wenn dadurch im Handel erhältliche Werkexemplare vollständig oder weitgehend vollständig durch Dritte vervielfältigt werden (Art. 19 Abs. 3 lit. a UWG). Das Bundesgericht hatte folgende Fragen zu klären:
- Ist die Bibliothek befugt Kopien einzelner Aufsätze zu erstellen?
- Ist der einzelne Aufsatz als Werk oder als ein im Handel erhältliches Werkexemplar einzustufen?
Zeitschriftenartikel als Werkexemplar eingestuft
Das Handelsgericht Zürich stellte sich in der Begründung des Urteils auf den Standpunkt, dass wissenschaftliche Aufsätze selber, und nicht erst die ganze Zeitschrift, als Werkexemplare im Sinne von Art. 19 Abs. 3 lit. a URG zu betrachten sind. Es sei aus heutiger Sicht nicht mehr haltbar, einen einzelnen Aufsatz einer Zeitschrift nicht als Werkexemplar einzustufen. Im Zuge des technologischen Wandels liege es heute an der Tagesordnung, dass Konsumenten einzelne Zeitschriftenartikel auf elektronischem Weg bei den Verlagen beziehen können. Eine Kopie eines ebensolchen Artikels stehe in unmittelbarer Konkurrenz zu dem vom Verlag angebotenen Handelsgut. Das Gericht räumte gleichzeitig ein, dass, im Hinblick auf das öffentliche Informationsinteresse, Private selber oder mit Hilfe von Dritten Kopien für den eigenen Gebrauch herstellen dürfen. Jedoch sei der Versand solcher Kopien nicht zulässig. Das Handelsgericht Zürich legte Art. 19 Abs. 3 lit. a UWG am Ende so aus, dass, im Ergebnis, die einzelnen Aufsätze als Werkexemplare im Sinne des gesetzlichen Vorbehaltes zu werten sind, weshalb es sich beim Dokumentenlieferdienst der ETH Bibliothek um eine unerlaubte Dienstleistung handelt, weil das Werkexemplar vollständig durch Dritte vervielfältigt wird. Diese Auffassung wird im Anschluss vom Bundesgericht widerlegt.
Keine urheberrechtliche Nutzungshandlung – Versand zulässig
Das Bundesgericht teilt die Meinung des Zürcher Handelsgerichts nicht und lässt zunächst verlauten, dass der Eigengebrauch, wie grundsätzlich das ganze Urheberrecht technologieneutral ausgestaltet ist. Dementsprechend spielt es keine Rolle ob Kopien analog oder digital hergestellt werden. In einem ersten Punkt widerspricht es dem Handelsgericht insoweit, als es den Versand der kopierten Zeitschriftenartikel durch die Bibliothek als zulässig beurteilt, weil durch diese Handlung nicht in fremde Urheberrechte eingegriffen wird. Insbesondere stellt das Versenden der Kopien an Personen die zum Eigengebrauch berechtigt sind keine Verletzung des Rechts des Urhebers auf die Herstellung von Werkexemplaren dar (Art. 10 Abs. 2 lit. a URG). Denn das Kopieren des Artikels durch die Bibliothek wird dem zum Eigengebrauch berechtigten Besteller zugerechnet, an welchen die Kopie notwendigerweise weitergeleitet werden muss. Das Versenden unterscheidet sich im Hinblick auf Art. 19 Abs. 2 URG nicht von der persönlichen Übergabe einer Kopie durch das Bibliothekspersonal nach dem Ausführen eines Druckauftrags in der Bibliothek. Auch die Übergabe ist technologieneutral ausgestaltet. Anders verhielte sich die Sache natürlich dann, wenn die Bibliothek Kopien auf Vorrat herstellen und anbieten würde.
Keine vollständigen Kopien von Werkexemplaren durch Dritte
Das Handelsgericht vertritt die Meinung, dass im Rahmen der Eigengebrauchsregelung «es nach wie vor erlaubt sein muss, in Bibliotheken Kopien von Werkexemplaren anzufertigen». Folgte man dieser Ansicht, wird laut Bundesgericht der Wille des Gesetzgebers nicht korrekt umgesetzt. Dem Gesetz ist ausdrücklich zu entnehmen, dass die Vervielfältigung von vollständigen Werkexemplaren ausschliesslich im Rahmen des privaten Kreises zulässig ist (Art. 19 Abs. 3 lit. a UWG). Eine andere Ansicht rechtfertigt sich schon deshalb nicht, weil die aus dem Eigengebrauch hervorgehende Beschränkung nicht so weit gehen darf, dass der Urheber in der normalen Auswertung des Werks gestört wird. Man stelle sich vor, Bibliotheken könnten im Auftrag von Privatpersonen vollständige Kopien von Büchern herstellen und abgeben – eine normale Werkauswertung wäre nicht mehr möglich.
Das vollständige Kopieren eines Werkexemplars ist nur einer natürlichen Person gestattet, die diese Kopie zum eigenen Gebrauch verwendet und darf nur von ihr selbst oder einer Person vorgenommen werden, die zum Verwandten- oder Freundschaftskreis gehört. Der Grund für die nach Ansicht des Bundesgerichts verfehlte Einschätzung der Rechtslage durch das Handelsgericht liegt in der Qualifikation des einzelnen Aufsatzes selber als vollständiges Werkexemplar. Dass nämlich das Kopieren von Artikeln aus Zeitschriften in Bibliotheken «nach wie vor erlaubt sein muss, (…) kann nicht ernsthaft bestritten werden, ansonsten die Kommunikationsgrundrechte ausgehöhlt würden (…)», so das Handelsgericht. Diese Ansicht führt jedoch in eine Sackgasse, denn es ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetztes, das unter Mithilfe von Dritten keine vollständigen Kopien von Werkexemplaren erstellt werden dürfen. Sieht man den einzelnen Aufsatz als Werkexemplar, darf dieser nicht in der Bibliothek (Dritte) vervielfältigt werden. Das Bundesgericht legt in aller Klarheit dar, dass als Werkexemplar einzig die Zeitschrift als ganzes gilt und die auszugsweise Kopie eines einzelnen Aufsatzes durch Dritte angefertigt werden darf.
Die Kopiervorlage ist das Werkexemplar
In seiner Beurteilung wollte das Zürcher Handelsgericht Wert darauf legen, den Begriff des Werkexemplars zeitgemäss auszulegen. Es führte dazu aus, dass sich das Handelsgut in den letzten Jahren spezifiziert habe. Konsumenten verlangen demnach viel eher einen einzelnen Artikel als eine ganze Zeitschrift, dies sei schon aus finanzieller Sicht vorteilhafter.
Das Bundesgericht macht zunächst klar, dass der Begriff der Werkexemplare nicht mit dem Werkbegriff gleichzusetzen ist. So ist nicht die einzelne Kurzgeschichte aus einem Sammelband, nicht ein einzelner Song eines Albums und nicht der einzelne Zeitschriftenartikel einer wissenschaftlichen Zeitschrift als Werkexemplar zu qualifizieren, sondern das im Handel erhältliche Exemplar des Sammelbandes, des Buches oder des Albums. Als Werkvorlage im Sinne von Art. 19 Abs. 3 lit. a URG gilt die konkret als Kopiervorlage verwendete Verkörperung des Werks. Dies gilt auch dann, wenn bspw. in einem Online-Archiv eines Verlags die einzelnen Artikel einer Zeitschrift erworben werden können. Würde ein solches Angebot das Kopieren des entsprechenden Artikels aus einer Zeitschrift verbieten, würde das gesetzliche Vervielfältigungsrecht im Rahmen des Eigengebrauchs ins Leere laufen, was nicht mit dem Informationsinteresse der Allgemeinheit in Einklang gebracht werden könnte. Dies umso mehr, als die Verlage selber entscheiden, in welchen Verkaufseinheiten sie Werke auf den Markt bringen. Den Verlagen steht es hiernach frei, entsprechend der Nachfrage auf dem Markt, Zeitschriftenartikel ausschliesslich als einzelne Verkaufseinheiten anzubieten. Ein solcher Artikel wäre ein selbstständiges Werkexemplar und dürfte nicht gleichermassen kopiert werden.
Fazit
Dem Handelsgericht kann zugutegehalten werden, dass es versucht hat, den Begriff des Werkexemplars in zeitgenössischer Weise auszulegen und dabei den Wandel vom analogen hin zum digitalen Marktplatz zu berücksichtigen. Das Bundesgericht wies diesen Versuch jedoch in die Schranken indem es klar machte, dass, auch bei gleichzeitigem digitalen Angebot der einzelnen Aufsätze, die in der Bibliothek verfügbare einzelne Zeitschrift als Werkexemplar gilt und Auszüge (einzelne Artikel) daraus kopiert werden dürfen.
Die zunehmende Digitalisierung stellt das Urheberrecht generell vor neue Herausforderungen und wirft die Frage der Notwendigkeit einer Gesetzesanpassung auf. Der Bundesrat hat eigens für die Fortentwicklung des Urheberrechts die Arbeitsgruppe Urheberrecht (AGUR12) eingesetzt. Sowohl in dem von der AGUR12 veröffentlichten Schlussbericht zur Modernisierung des Urheberrechts als auch in der bundesrätlichen Stellungnahme dazu spricht man sich klar für das heutige System der Eigengebrauchsregelung aus. Mit seinem Urteil zeigt das Bundesgericht also nicht nur die geltende gesetzliche Lage auf, sondern bestätigt die Modernisierungsbestrebungen auf gesetzgeberischer Seite. Konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung des Urheberrechts plant der Bundesrat gegen Ende 2015 in Form einer Vorlage zur Gesetzesrevision zu veröffentlichen.
Weitere Informationen:
- Entscheid des Bundesgerichts (4A-295/2014)
- Entscheid des Handelsgerichts (HG110271-O)
- BR-News: „Nach AGUR12 – Bundesrat will Urheberrecht modernisieren“
- BR-News:”AGUR12 Schlussbericht: Vorschläge zur Modernisierung des Urheberrechts und Anpassung an das Internetzeitalter”
- Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (URG)