BGer: Verweis auf die AGB auf einer Website kann für eine gültige Vereinbarung eines Gerichtsstands genügen


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Für die gültige Vereinbarung einer Gerichtsstandsklausel reicht es aus, wenn der AGB-Verwender der anderen Partei beim Vertragsschluss per E-Mail mitgeteilt hat, dass seine AGB im Internet abrufbar seien. Dies hat das Bundesgericht entschieden. Es hatte die Frage jedoch nicht nach Schweizer Recht, sondern nach dem Lugano-Übereinkommen zu beurteilen. Dieses war massgebend, weil ein deutsches Unternehmen seinen österreichischen Vertragspartner gestützt auf die Gerichtsstandsklausel in seinen AGB vor einem Schweizer Gericht eingeklagt hatte. Offen liess das Bundesgericht, ob eine entsprechende Vereinbarung auch dann gültig ist, wenn die Parteien den Vertrag nicht per E-Mail abschliessen. Dem Urteil zufolge ist aber jedenfalls ein Hinweis, dass die AGB per Fax angefordert werden könnten, nicht ausreichend für die gültige Vereinbarung einer Gerichtsstandsklausel.

Hintergrund

Ein österreichisches und ein deutsches Unternehmen schlossen im Herbst 2010 miteinander zwei Werkverträge ab, die die Errichtung eines Schnittholz- und Plattenlagers sowie eines Automatiklagers zum Gegenstand hatten. Die zwei Verträge sendete das deutsche Unternehmen dem österreichischen per E-Mail zu und verwies darauf, dass die AGB unter einer bestimmten Faxnummer angefordert werden könnten.

Die AGB enthielten insbesondere eine Gerichtsstandsklausel. Gemäss dieser waren die Gerichte des Kantons Zürich, namentlich das Handelsgericht, für alle sich aus dem Vertrag ergebenden Streitigkeiten zuständig.

Zu einem späteren Zeitpunkt wurde der Vertrag betreffend das Plattenlager geändert. Anlässlich dieser Änderung wies das deutsche Unternehmen darauf hin, dass seine AGB auf seiner Homepage heruntergeladen werden können.

Im Juni 2012 reichte das deutsche Unternehmen Klage beim Handelsgericht Zürich ein und forderte, das österreichische Unternehmen sei zur Zahlung von rund 670‘000 Euro zu verurteilen. Es handelte sich bei dieser Forderung um ausstehende Zahlungen für ausgeführte Arbeiten. Die Gegenpartei war jedoch der Ansicht, das Handelsgericht Zürich sei nicht zuständig, weil ihr die AGB im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorgelegen hätten. Der blosse Hinweis, dass die AGB im Internet abgerufen werden könnten, reiche ebenso wenig aus wie die Möglichkeit, die AGB per Fax anzufordern. Diese Unzuständigkeitseinrede wies das Handelsgericht in einem Beschluss ab. Das österreichische Unternehmen erhob dagegen Beschwerde ans Bundesgericht.

Frage: Ist Gerichtsstandsklausel gültig vereinbart worden?

Im bundesgerichtlichen Verfahren war zu entscheiden, ob die in den AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel Teil des Vertrags geworden und das Handelsgericht Zürich somit zur Beurteilung des Falls zuständig war. Das Bundesgericht hatte diese Frage nicht nach schweizerischem Vertragsrecht, sondern nach dem Lugano-Übereinkommen (LugÜ) zu beantworten, da dieses insbesondere im Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU massgebend ist. Eine solche Konstellation war im vorliegenden Fall gegeben, weil die beiden Unternehmen ihren Sitz in verschiedenen Abkommensstaaten hatten und gestützt auf eine Gerichtsstandsklausel in den AGB vor dem Handelsgericht Zürich Klage eingereicht wurde.

Das LugÜ stellt strenge Formerfordernisse für die gültige Vereinbarung einer Gerichtsstandsklausel auf. Insbesondere muss die Klausel schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung vereinbart werden. Um dem Schriftformerfordernis zu genügen, muss eine Gerichtsstandsklausel jedoch gemäss Bundesgericht nicht direkt in die Vertragsurkunde aufgenommen werden, sondern kann auch in den AGB einer Vertragspartei enthalten sein. In diesem Fall müsse im Vertrag auf diese AGB, nicht aber auch auf die Gerichtsstandsklausel selbst hingewiesen werden.

Umstritten ist in diesem Zusammenhang aber die Frage, ob die AGB im Zeitpunkt des Vertragsschlusses beiden Parteien tatsächlich vorliegen müssen. Das Bundesgericht erinnerte dabei daran, dass selbst bei einer Übergabe der AGB an die andere Vertragspartei nicht sichergestellt sei, dass diese die AGB tatsächlich lese und von einer darin enthaltenen Gerichtsstandsklausel Kenntnis nehme. Sogar wenn sich eine solche Klausel im Vertragsdokument selbst befinde, sei nicht ausgeschlossen, dass ein Vertragspartner den Vertrag unterzeichnet, ohne die Gerichtsstandsklausel gelesen zu haben. Es sei deshalb auch nicht vorausgesetzt, dass beide Vertragsparteien tatsächlich von der Gerichtsstandsklausel Kenntnis genommen hätten.

Nach Ansicht des Bundesgerichts muss der AGB-Verwender seinem Vertragspartner aber vor Vertragsabschluss zumindest eine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme der AGB verschaffen. Fraglich war vorliegend, ob das Zugänglichmachen der AGB mit dem Hinweis, diese könnten im Internet oder über eine Faxnummer abgerufen werden, die Voraussetzung an die „zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme“ der AGB erfüllten.

Möglichkeit der Kenntnisnahme im Internet ausreichend

Das Bundesgericht hielt dazu fest, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem die Parteien per E-Mail kommunizieren, nur ein vernachlässigbarer Unterschied bestehe zwischen dem Öffnen eines E-Mail-Attachments, das die AGB enthält, und dem Aufrufen der Internetseite des AGB-Verwenders oder gar nur dem Anklicken eines entsprechenden Links. Daraus, dass beide Parteien der Verwendung der Kommunikationsform E-Mail zum Abschluss des Vertrags zugestimmt haben, könne weiter das Einverständnis entnommen werden, das Internet für diesen Zweck zu nutzen. Darüber hinaus sei damit auch sichergestellt, dass beide Vertragspartner über die Möglichkeit der Internetnutzung verfügen.

Unter diesen Voraussetzungen ist es für den Vertragspartner gemäss Bundesgericht zumutbar, einem Hinweis der anderen Vertragspartei auf seine Internetseite nachzugehen und die AGB dort zur Kenntnis zu nehmen.

Offen liess das Gericht allerdings, ob ein blosser Verweis auf die Internetseite des Verwenders auch gereicht hätte, wenn die Parteien nicht per E-Mail kommuniziert hätten.

Möglichkeit des „Abrufens“ per Fax nicht ausreichend

Zu einem anderen Ergebnis kam das Bundesgericht jedoch bezüglich dem Hinweis, dass die AGB über eine Fax-Nummer bezogen werden können. Dies deshalb, weil die Bestellung der AGB per Fax im Vergleich mit dem Abruf auf dem Internet umständlicher sei. In diesem Fall müsse die Faxnachricht von der anderen Vertragspartei beantwortet werden, was eine Zeitverzögerung bewirke. Der Vertragspartner sei zur Nachfrage beim AGB-Verwender gezwungen und könne nicht ohne dessen Mitwirkung von den AGB Kenntnis nehmen. Hinzu komme, dass Faxgeräte heute nicht mehr so verbreitet seien wie elektronische Geräte mit Internetzugang.

Aus diesen Gründen stellte das Bundesgericht fest, dass der Hinweis, die AGB könnten unter einer bestimmten Faxnummer abgerufen werden, keine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme dar. Diese Form des „Zugänglichmachens“ genüge deshalb den gesetzlichen Erfordernissen nicht.

Fazit: teilweise Gutheissung der Beschwerde und Rückweisung an Handelsgericht

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des österreichischen Unternehmens deshalb teilweise gut und hielt fest, dass mangels Einhaltung der Formerfordernisse anlässlich der ersten beiden Vertragsabschlüsse grundsätzlich keine Gerichtsstandsvereinbarung zustande gekommen sei. Es sei aber erwiesen, dass das deutsche Unternehmen anlässlich einer späteren Vertragsänderung die Gegenpartei darüber informierte, dass ihre Bedingungen im Internet heruntergeladen werden könnten. Das Gericht wies die Sache deshalb an das Handelsgericht Zürich zurück. Dieses wird nun insbesondere abklären müssen, ob die AGB zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Internet abrufbar waren. Sollte dies der Fall gewesen sein, wäre zu prüfen, ob die Parteien anlässlich der Vertragsänderung eine Gerichtsstandsvereinbarung abgeschlossen haben.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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