BGH: enge Bestpreisklauseln doch kartellrechtswidrig – Hotels dürfen Booking.com auf eigener Website unterbieten


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Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) schaffte kürzlich in der Frage der Zulässigkeit von sogenannten «engen» Bestpreisklauseln Klarheit. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf sorgte zunächst mit einer Kehrtwende bei der kartellrechtlichen Einordnung solcher Klauseln für Aufsehen, indem es entschied, dass es sich dabei um notwendige Nebenabreden handle und deshalb zulässig seien. Der BGH revidierte dieses Urteil und entschied, dass Booking.com den darauf gelisteten Hotels nicht mehr verbieten darf, ihre Hotelzimmer auf der eignen Website günstiger anzubieten. Geht es nach dem Entwurf der EU Vertikal-GVO 2022, dem künftigen Regelwerk für vertikale Wettbewerbsabreden, ist das Urteil auch in Zukunft noch relevant. Denn der Entwurf bezeichnet nur «weite» Bestpreisklauseln als «nicht freigestellte Beschränkungen» und lässt «enge» Bestpreisklauseln ungeregelt.

Enge vs. weite Bestpreisklauseln

Hotelbuchungsportale wie Booking.com ermöglichen den Nutzern den Vergleich und die Buchung von Reiseunterkünften über eine Suchmaschine. Während Buchungen auf der Plattform für die Nutzer kostenlos sind, verlangt die Plattform von den darauf gelisteten Hotelunternehmen für jede Buchung eine Vermittlungsgebühr. Da dieser Provisionsanspruch aber nur entsteht, wenn die Kunden die Buchung direkt über das Hotelportal – und nicht auf anderen Portalen oder auf der Website des Hotels – tätigen, wurden die gelisteten Hotels regelmässig vertraglich dazu verpflichtet, auf anderen Vertriebskanälen oder ihrer eigenen Website keine günstigeren Preise oder besseren Konditionen anzubieten als auf der Buchungsplattform (sog. Bestpreis- bzw. Meistbegünstigungsklauseln oder engl. „most favoured nation clauses“ (MFN-Klauseln).

Bei diesen MFN-Klauseln gilt es zwei Formen zu unterscheiden: Die sogenannten „weiten“ MFN-Klauseln verbieten den teilnehmenden Hotelbetreibern, auf anderen Portalen oder Vertriebskanälen und/oder auf der eigenen Website bessere Preise oder Konditionen anzubieten, während „enge“ MFN-Klauseln sich auf das Verbot von Preis- oder Konditionenunterbietungen auf der hoteleigenen Website beschränken.

Einheitliche Rechtlage in Europa – zumindest in Zukunft?

In unserem Beitrag zum Entscheid des OLG Düsseldorf (vgl. MLL- News vom 10. August 2019) wiesen wir auf die uneinheitliche Rechtslage in Europa hin. Frankreich und Österreich schufen z.B. explizite gesetzliche Regelungen, die enge MFN-Klauseln untersagen; ähnliche Bestimmungen finden sich auch im belgischen und italienischen Recht wieder. Durch den Entscheid des BGH ist die Rechtslage in Deutschland nun auch mit den genannten Ländern vergleichbar. In anderen Ländern wie z.B. Schweden ist die Beurteilung von engen MFN-Klauseln noch offen.

In Fachkreisen erhoffte man sich zumindest für die Zukunft eine einheitliche Klärung dieser Frage durch die Überarbeitung der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO), die in der europäischen Kartellrechtspraxis von grosser Bedeutung ist. In dem Anfang Juli 2021 veröffentlichten Entwurf der neuen Vertikal-GVO wurden weite MFN-Klauseln in den Katalog der nicht-freistellungsfähigen Beschränkungen aufgenommen. Demgegenüber können enge MFN-Klauseln laut dieser vorläufigen Neufassung nach wie vor zulässig sein. Ob dies in der finalen Version auch so bleibt, ist noch offen. Im nächsten Schritt werden die von den betroffenen Stakeholdern bis zum 17. September 2021 eingebrachten Stellungnahmen evaluiert und im Folgenden die Verordnungsentwürfe überarbeitet. Die Neufassung soll bis zum Ende der Geltungsdauer der bisherigen Vertikal-GVO am 31. Mai 2022 vorliegen.

Enge Bestpreisklauseln sind keine notwendigen Nebenbestimmungen

Das vorliegende Verfahren zu den engen MFN-Klauseln würde demnach auch unter der künftigen Regelung der Vertikal-GVO relevant bleiben, sollte der Entwurf in diesem Punkt nicht doch noch geändert werden. Die Vorinstanz – das OLG Düsseldorf – vertrat dabei zwar die Auffassung, dass enge Bestpreisklauseln den Wettbewerb beeinträchtigen würden, jedoch handle es sich um notwendige Nebenabreden, die nicht vom Kartellverbot umfasst seien. Ohne die engen MFN-Klauseln könne kein fairer und ausgewogener Leistungsaustausch zwischen dem Buchungsportal Booking.com und den vertragsgebundenen Hotels als Abnehmer der Vermittlungsdienstleistung gewährleistet werden. Die enge Bestpreisklausel sei insbesondere notwendig, um das «Trittbrettfahrerproblem» zu lösen, weil die Hotels ansonsten interessierte Nutzer auf ihre unternehmenseigene Website verweisen würden, um sich die von Booking.com erhobenen Vermittlungsgebühren zu ersparen (vgl. MLL- News vom 10. August 2019).

Der BGH widersprach der Rechtsansicht des OLG Düsseldorf und hob dessen Beschluss auf. Die Wettbewerbsbeschränkung liege darin, dass den Hotels die naheliegende Möglichkeit genommen werde, die eingesparte Vermittlungsprovision vollständig oder teilweise in Form von Preissenkungen weiterzugeben und dadurch Kunden zu werben. Die wettbewerbsbeschränkenden Aspekte müssten sorgfältig gegen die wettbewerbsfördernden Aspekte (Sicherung angemessener Gegenleistungen für Buchungsplattformen, erhöhte Markttransparenz für Verbraucher) abgewogen werden. Eine Ausnahme vom Kartellrechtsverbot der engen MFN-Klausel wäre nur dann möglich, wenn sie zur Erfüllung des Plattformvertrags objektiv notwendig wäre. Der Zweck des Vertrags zwischen Booking.com und den Hotels ist die Online-Vermittlung von Hotelzimmern. Laut BGH ist die Verwendung der engen Bestpreisklausel für die Erreichung dieses Vertragszwecks nicht unerlässlich. Eine Untersuchung des Bundeskartellamts, die nach Aufgabe der engen Bestpreisklausel im Jahr 2016 durchgeführt wurde, zeigte, dass Booking.com auch ohne die MFN-Klausel seine Marktstellung in Deutschland nach allen massgeblichen Parametern (Umsatz, Buchungen, Zahl der Hotelpartner, etc.) stärken konnte.

Des Weiteren komme eine Gruppenfreistellung im Sinne der (geltenden) Vertikal-GVO nicht in Frage, da Booking.com mit über 30% Marktanteil im relevanten Markt nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung falle. Darüber hinaus sei auch eine Einzelfreistellung vom Kartellverbot ausgeschlossen, da schon die erste Voraussetzung, dass durch die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung Effizienzvorteile erzielt werden, nicht erfüllt sei. Zwar erleichtere der Betrieb von Buchungsplattformen das Anbieten von Hotelzimmern und führe zu einer höheren Markttransparenz für Verbraucher, jedoch gefährde das durch die MFN-Klausel verhinderte Trittbrettfahrerproblem diesen Effizienzzuwachs nicht gravierend. Demgegenüber behindere die enge Bestpreisklausel den plattformunabhängigen Onlinevertrieb der Hotels erheblich.

Rechtslage in der Schweiz und Ausblick

Der Beschluss des BGH bietet Anlass, sich die Rechtslage in der Schweiz in Erinnerung zu rufen. Mit Entscheid vom 19. Oktober 2015 stellte die Eidg. Wettbewerbskommission (WEKO) zumindest ein Verbot der Verwendung weiter MFN-Klauseln durch Buchungsplattformen auf, liess dabei die Einschätzung enger Paritätsklauseln aber ausdrücklich offen und behielt sich vor, bei Bedarf erneut aktiv zu werden (vgl. MLL-News vom 22. November 2015). Im Falle einer behördlichen Untersuchung der engen MFN-Klauseln könnten Buchungsplattformen wie Booking.com zwar auch nach schweizerischem Kartellrecht im Rahmen der in Art. 5 Abs. 2 KG genannten Rechtfertigungsgründe die Bekämpfung der Trittbrettfahrerproblematik geltend machen. In einem jüngeren Entscheid im Zusammenhang mit einer Preisbindung zweiter Hand verneinte das Bundesgericht jedoch die Notwendigkeit der Wettbewerbsbeschränkung zur Bekämpfung von Trittbrettfahrern mangels überzeugender Darlegung durch die involvierten Parteien (siehe MLL-News vom 2. September 2018). Insofern bestehen jedenfalls hohe Anforderungen, um mit dieser Argumentation durchzudringen.

Die bislang ausgebliebene rechtliche Würdigung der engen MFN-Klauseln durch die WEKO hat mittlerweile auch in der Schweiz den Gesetzgeber auf den Plan gerufen. Im Jahr 2017 haben National- und Ständerat die von CVP-Ständerat Pirmin Bischof eingereichte Motion für ein „Verbot von Knebelverträgen der Online-Buchungsplattformen gegen die Hotellerie“ angenommen. Nach einer Regulierungsfolgeabschätzung im April 2020 und der Vorlage eines Umsetzungsvorschlags durch den Bundesrat im November 2020, wurde das Vernehmlassungsverfahren im Februar 2021 beendet. Ob das Verbot von MFN-Klauseln durch Buchungsplattformen nun tatsächlich vom Parlament verabschiedet wird, ist noch offen. Mit Blick auf ein weitgehendes Verbot von MFN-Klauseln hat sich der Bundesrat bereits im Vorfeld der Annahme der Motion durch die beiden Kammern eher kritisch geäussert und vor voreiligen Massnahmen gewarnt (siehe MLL-News vom 30. Oktober 2017). Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des BGH zu einem Umdenken führt.

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