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In seinem aktuellen Entscheid behandelte das Bundesgericht ein Revisionsgesuch gegen einen Schiedsentscheid. Die Revisionsklägerin hatte geltend gemacht, dass einer der Schiedsrichter die Gegenpartei teilweise zeitgleich in einem Verfahren in England vertreten habe. Wie bereits in seinem unlängst ergangenen Entscheid im Fall Sun Yang bestätigte das Bundesgericht, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens hinsichtlich allfälliger Ablehnungsgründe einer Nachforschungspflicht unterliegen und Ablehnungsgründe unverzüglich vortragen müssen. Der Umfang und die Tiefe dieser Nachforschungspflicht bleiben allerdings schwierig abzuschätzen.
Der Entscheid
Der vorliegend besprochene Entscheid des Bundesgerichts betrifft ein Revisionsgesuch gegen einen Schiedsentscheid aus dem Jahr 2014. In jenem Schiedsverfahren hatte die Schiedsbeklagte einen englischen Barrister als den von ihr zu ernennenden Parteischiedsrichter bezeichnet. Mit Schiedsspruch vom 23. Dezember 2014 hiess das Schiedsgericht mit Sitz in Zürich die Schiedsklage gut und verurteilte die Schiedsbeklagte zur Zahlung der geforderten Summe.
Mehrere Jahre später wurde ein Konkursverfahren über die damalige Schiedsbeklagte eröffnet. Die im vorliegend besprochenen Bundesgerichtsentscheid um Revision ersuchende Gesuchstellerin liess sich als Gläubigerin nach Art. 260 SchKG zur Geltendmachung des von ihr behaupteten Revisionsanspruchs ermächtigen. Sie ersuchte im Anschluss im Februar 2022 das Bundesgericht unter Berufung auf die nachträgliche Entdeckung eines Ablehnungsgrunds (Art. 190a Abs. 1 lit. c IPRG) um Revision des Schiedsspruchs.
Konkret beantragte die Gesuchstellerin, der Schiedsspruch sei aufzuheben und die Streitsache zu neuer Beurteilung an das (ganz oder teilweise neu zu konstituierende) Schiedsgericht zurückzuweisen. Dabei sei festzustellen, dass der damals von der Schiedsbeklagten ernannte Schiedsrichter einem Interessenkonflikt unterliege und nicht mehr Teil des neu zu konstituierenden Schiedsgerichts sein dürfe. Die Gesuchstellerin begründete ihr Revisionsgesuch damit, sie habe Umstände entdeckt, die Anlass zu berechtigten Zweifeln an der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit des damals bezeichneten Schiedsrichters gäben.
Nach Art. 190a Abs. 1 lit. c IPRG kann eine Partei die Revision eines Schiedsentscheids verlangen, wenn ein Ablehnungsgrund gemäss Art. 180 Abs. 1 lit. c IPRG trotz gehöriger Aufmerksamkeit erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens entdeckt worden ist und kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht.
Vorab erläuterte das Bundesgericht, dass das revidierte und per 1. Januar 2021 in Kraft getretene IPRG in Art. 190a f. IPRG eigene Bestimmungen zur Revision von Schiedsentscheiden enthalte. Diese würden für Revisionsverfahren, die nach dem 1. Januar 2021 eingereicht werden, gelten, auch wenn der angefochtene Schiedsspruch vorher erlassen worden sei.
Im Weiteren erläuterte das Bundesgericht, dass eine Partei einen Ablehnungsgrund gegen einen Schiedsrichter geltend machen müsse, sobald sie davon Kenntnis habe. Diese Regel beziehe sich sowohl auf Ablehnungsgründe, die der Partei tatsächlich bekannt waren, als auch auf solche, von denen sie bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte Kenntnis erlangen können. Dabei könne der Entscheid der Partei, in Unkenntnis zu bleiben, je nach Fall als missbräuchliches Verhalten betrachtet werden. Der Einwand der vorschriftswidrigen Zusammensetzung sei nach Treu und Glauben verwirkt, wenn er nicht unverzüglich geltend gemacht werde.
Eine Revision wegen angeblicher Befangenheit eines Schiedsrichters komme aus diesen Gründen nur in Betracht, wenn die gesuchstellende Partei den Ablehnungsgrund während des Schiedsverfahrens trotz gebotener Sorgfalt nicht habe entdecken können. Die Parteien seien nach den Umständen des konkreten Einzelfalls gehalten, Nachforschungen – insbesondere im Internet – anzustellen, um Elemente zu ermitteln, die ein mögliches Risiko der Abhängigkeit oder Parteilichkeit eines Schiedsrichters aufdecken könnten. Das IPRG setze daher nicht nur voraus, dass ein Ablehnungsgrund gemäss Art. 180 Abs. 1 lit. c IPRG erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens entdeckt wurde, sondern die gesuchstellende Partei habe aufzuzeigen, dass der Ablehnungsgrund trotz gehöriger Aufmerksamkeit nicht rechtzeitig entdeckt und bereits im Schiedsverfahren geltend gemacht werden konnte.
Die Gesuchstellerin trug vor, in dem zu Beginn des Schiedsverfahrens vorliegenden CV des von der Schiedsbeklagten bezeichneten Schiedsrichters habe sich kein Hinweis auf eine mögliche Verbindung zwischen diesem und der Gesuchsgegnerin, der damaligen Gegenpartei im Schiedsverfahren, gefunden. Der Schiedsrichter habe im Rahmen seiner Nominierung auch keinen möglichen Interessenkonflikt offengelegt. Es bestünden jedoch «klare Hinweise» darauf, dass es zur damaligen Zeit eine enge Beziehung zwischen dem Schiedsrichter und der Gesuchsgegnerin gegeben habe. So führe dieser in seinem aktuellen CV unter anderem einen Fall vor dem High Court of England and Wales auf, in dem er die Gesuchsgegnerin vertreten habe. Jenes Verfahren habe von August 2013 bis Februar 2015 gedauert. Die vom High Court beigezogene Klageschrift sei zwar nicht von ihm unterzeichnet worden; der aktuelle Eintrag in seinem CV gebe jedoch Anlass zur Annahme, dass er zumindest in beratender Funktion in jenes Verfahren involviert gewesen sei. Aus dem entsprechenden Urteil des High Court ergebe sich zudem, dass zwischen den Parteien des dortigen Verfahrens auch ein Schiedsverfahren vor dem London Court of International Arbitration (LCIA) anhängig gemacht worden sei. Aufgrund der Angaben des Schiedsrichters in seinem CV sei – obwohl keine Parteien genannt werden – davon auszugehen, dass er die Gesuchsgegnerin auch im betreffenden LCIA Schiedsverfahren vertreten habe. Ausserdem ergebe sich aus online verfügbaren Datenbanken, dass zwischen dem Schiedsrichter bzw. dessen Chamber und den Rechtsvertretern (Solicitors) der Gesuchsgegnerin im strittigen Schiedsverfahren in der Schweiz, enge Verbindungen bestanden hätten.
Das Bundesgericht befand, dass aufgrund der Ausführungen im Revisionsgesuch nicht einleuchte, inwiefern die behaupteten Verbindungen zwischen dem von der Schiedsbeklagten bezeichneten Schiedsrichter bzw. dessen Chamber und den Solicitors der Gesuchsgegnerin bei gehöriger Aufmerksamkeit nicht bereits im Schiedsverfahren hätten geltend gemacht werden können. Die Gesuchstellerin trage selber vor, dass sich diese Informationen aus allgemein verfügbaren Datenbanken über englische Gerichtsentscheide ergäben. Entsprechende Nachforschungen über bisherige Vertretungsverhältnisse hätten demnach bereits im Schiedsverfahren nahegelegen. Es gehe nicht an, diese Gründe erst nach Jahren in einem Revisionsverfahrens vorzubringen.
Zudem habe die Gesuchstellerin vorgetragen, der Schiedsrichter habe den Rechtsvertreter der Schiedsbeklagten per E-Mail im November 2013 angefragt, ob er die Schiedsklägerin in einer Sache ohne Bezug zum Schiedsverfahren vertreten dürfe. Darüber sei die Schiedsbeklagte ebenfalls informiert worden. Der Rechtsvertreter habe daraufhin mitgeteilt, die Schiedsbeklagte sei «nicht glücklich» darüber, dass der Schiedsrichter Instruktionen der Schiedsklägerin entgegennehmen soll, während er gleichzeitig Mitschiedsrichter im fraglichen Schiedsverfahren bleibe. Daraufhin habe der Rechtsvertreter der Schiedsbeklagten am gleichen Tag eine E-Mail betreffend die Swiss Rules und die Möglichkeit der Ablehnung des Schiedsrichters verfasst. Es sei der Schiedsbeklagten demnach klar gewesen, dass ein Interessenkonflikt vorlag bzw. entstehen könnte. Sie wäre daher gehalten gewesen, das Verhalten des bezeichneten Schiedsrichters und dessen Verhältnis zu den Verfahrensparteien genauer abzuklären und gegebenenfalls im Schiedsverfahren ein Ablehnungsgesuch zu stellen. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Gesuchstellerin nicht aufgezeigt habe, dass der angebliche Ablehnungsgrund trotz gehöriger Aufmerksamkeit erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens entdeckt worden sei. In der Folge wies das Bundesgericht wies das Revisionsgesuch ab, soweit es darauf eintrat.
Diskussion
Bereits im 2021 ergangenen Entscheid 4A_318/2020 (Fall Sun Yang) beschäftigte sich das Bundesgericht mit einem Revisionsbegehren betreffend einen Schiedsrichter, der problematische Tweets veröffentlicht hatte, welche nachträglich entdeckt wurden.
Im Fall Sun Yang hielt das Bundesgericht fest, dass eine Partei trotz des Vorliegens einer Unabhängigkeitserklärung Nachforschungen hinsichtlich der Unabhängigkeit eines Schiedsrichters anstrengen müsse, jedoch nicht in unbegrenztem Ausmasse. Es seien die wichtigsten Internet-Suchmaschinen zu verwenden und auch weitere Quellen zu konsultieren, wie beispielsweise die Websites der wichtigsten Schiedsgerichtsinstitutionen, der Parteien, deren Rechtsvertreter und der zugehörigen Kanzleien. Auch Social Media Accounts seien gegebenenfalls zu prüfen, allerdings könne einer Partei nicht vorgeworfen werden, wenn sie fast zehn Monate zurückliegende Tweets eines viel-«tweetenden» Schiedsrichters nicht kenne.
Der vorliegend diskutierte Entscheid steht in Einklang mit dem Fall Sun Yang. Die Erkenntnis, dass bei einem englischen Schiedsrichter öffentliche Datenbanken zu englischen Gerichtsentscheiden konsultiert werden sollten, bewegt sich grundsätzlich in einem ähnlichen Bereich, wie der Schluss des Bundesgerichts im Fall Sun Yang, wonach die Websites der wichtigsten Schiedsgerichtsinstitutionen zu prüfen seien. Allerdings gilt es vorliegend zu beachten, dass der LCIA im Gegensatz zum TAS eben gerade keine Schiedsrichtermandate veröffentlicht. Unklar scheint sodann, inwiefern die Schiedsbeklagte ein Mandat eines Schiedsrichters vor dem englischen High Court hätte ausfindig machen sollen, wenn dieser nicht einmal die eingereichten Rechtsschriften unterzeichnet hat und offenbar erst auf späteren CVs entsprechende Hinweise publizierte. Vermutungsweise wird vorliegend insbesondere entscheidend gewesen sein, dass der Schiedsrichter die Schiedsbeklagte per E-Mail über die beabsichtigte Vertretung der Schiedsklägerin in einem anderen Verfahren informiert hatte, die Schiedsbeklagte aber trotzdem weder hiergegen Einspruch erhob, noch einen Ablehnungsgrund vortrug.
Nach wie vor unklar bleibt sodann, in welcher Tiefe und über welchen zeitlichen Horizont Abklärungen und Nachforschungen anzustellen sind. Nach den vorstehend erwähnten Entscheiden sind vertiefte Abklärungen, insbesondere bei den grösseren Schiedsinstitutionen und bei Datenbanken aus der Jurisdiktion, in welcher der betreffende Schiedsrichter vornehmlich tätig ist, zu empfehlen. Vorliegend bestätigt und sicher ist, dass bei Bekanntwerden von Ablehnungsgründen unverzüglich gehandelt werden muss, ansonsten eine Revision vor Bundesgericht erfolglos bleiben wird.