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Ein Transportunternehmen, das nicht oder unrichtig angemeldete Waren über die Grenze transportiert hat, haftet im vollen Umfang für die Abgaben, die von der Zollverwaltung nachbezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn ein Strafverfahren gegen das Unternehmen eingestellt wurde. Auf eine Haftungserleichterung, wie sie für Speditionsfirmen vorgesehen ist, können sich reine Warenführer nicht berufen. Dies entschied das Bundesgericht vor kurzem. Da der klare Gesetzestext keinen Raum für eine abweichende Interpretation lasse, müsse das Bundesgericht die Bestimmung, wonach der Warenführer Zollschuldner werde, anwenden. Ob dies einen verfassungswidrigen Verstoss gegen die Wirtschaftsfreiheit oder das Gleichbehandlungsgebot darstellen könnte, liess das Gericht deshalb offen.
Einfuhr von Obst und Gemüse nicht bzw. unrichtig angemeldet
In einer Strafuntersuchung stellte die Zollverwaltung fest, dass drei Unternehmen in den Jahren 2006 bis 2008 von einer in Italien ansässigen Lieferantin frisches Obst und Gemüse bezogen, welches unrichtig oder gar nicht zur Einfuhrverzollung angemeldet wurde. Ein grosser Teil dieser Sendungen wurde von demselben Transportunternehmen aus Italien in die Schweiz transportiert. Die Zollverwaltung leitete deshalb ein Strafverfahren gegen das Unternehmen ein, welches allerdings im Jahr 2010 wieder eingestellt wurde.
Kurz nach der Einstellung des Strafverfahrens forderte die Zollverwaltung vom genannten Transportunternehmen jedoch Zoll- und Mehrwertsteuerabgaben im Totalbetrag von über einer Million Franken ein. Die Beschwerden gegen diese Verfügungen wies die Oberzolldirektion ab, nachdem sie den Nachbezugsbetrag um rund 700 Franken reduziert hatte. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte den Entscheid der Oberzolldirektion. Deshalb gelangte das Transportunternehmen an das Bundesgericht und forderte von diesem, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und auf die Abgabennachforderung zu verzichten.
Keine Prüfung einer möglichen Verletzung der Wirtschaftsfreiheit
Das Transportunternehmen wehrte sich dagegen, dass es als Zollschuldner qualifiziert wurde. Dies verstosse gegen die von der Bundesverfassung (BV) garantierte Wirtschaftsfreiheit, da das sich daraus ergebende Haftungsrisiko eine prohibitive Wirkung habe. Wenn der Frachtführer als Zollschuldner betrachtet werde, trage er im Grunde genommen das Risiko für die Bonität seines Auftraggebers. Ein solches Risiko sei nicht kalkulierbar und stehe in keinem angemessenen Verhältnis zum Transportentgelt. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass der Frachtführer jede Deklaration auf ihre Übereinstimmung mit dem effektiven Transportgut überprüfen müsste. Die Kosten für ein solches Vorgehen als auch für eine Versicherung, die das Risiko dieser Haftung decken würden, seien zu hoch. Der vorliegende Fall, in welchem das Transportunternehmen ohne eigenes Verschulden mit Nachforderungen von rund einer Million zuzüglich Zinsen konfrontiert sei, zeige, dass ihm die Ausübung des Transportgewerbes faktisch verunmöglicht werde. Die Qualifikation des Frachtführers unter den Begriff des Zollschuldners verstosse deshalb gegen die Wirtschaftsfreiheit.
Das Bundesgericht ging auf diese Argumentation nicht weiter ein, da gemäss (altem und neuem) Zollgesetz insbesondere zollzahlungspflichtig bzw. Zollschuldner werde, „wer eine Ware über die (Zoll-)Grenze bringt“. Damit seien zweifellos die Frachtführer gemeint. Der Gesetzestext sei deshalb eindeutig und der Gesetzgeber habe sich bewusst für diese Lösung entschieden. Es bestehe deshalb kein Raum für eine Interpretation, nach welcher die Warenführer nicht zu Zollschuldnern würden. Das Bundesgericht sei an den Gesetzestext gebunden (vgl. Art. 190 BV).
Eine Überprüfung, ob sich die Bestimmung mit der Wirtschaftsfreiheit vereinbaren lässt, nahm das Bundesgericht nicht vor. Das öffentliche Interesse an der Einbringlichkeit der Zollschuld werde höher gewichtet als eine allenfalls prohibitive Wirkung der solidarischen Haftung des Frachtführers. Zudem bestehe kein allgemeines, einen wesentlichen Teil der Bevölkerung betreffendes Interesse an der Feststellung einer allfälligen Verfassungswidrigkeit, weshalb eine weitere Prüfung nicht vorzunehmen sei.
Keine Prüfung einer möglichen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots
Das Zollgesetz sieht für gewisse Berufsgruppen die Möglichkeit vor, sich von der solidarischen Haftung zu befreien (vgl. Art. 70 Abs. 4 ZG). Nicht solidarisch haftbar für die Zollschuld sind Personen, die gewerbsmässig Zollanmeldungen ausstellen, wenn
- die Zollschuld über das ZAZ-Konto des Importeurs bezahlt wird oder
- mit einer verwaltungsstrafrechtlichen Nachbezugsverfügung erhoben wird und die Person, welche die Zollanmeldung gewerbsmässig ausgestellt hat, an der Widerhandlung kein Verschulden trifft.
Nicht von dieser Erleichterung profitieren können die reinen Frachtführer, also Unternehmen, die zwar Waren transportieren, aber die Zollanmeldungen nicht selbst ausstellen.
Das Transportunternehmen erblickte in dieser Ungleichbehandlung einen Verstoss gegen das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot. Es bestehe kein sachlicher Grund, warum Personen, die gewerbsmässig Zollanmeldungen vornehmen, von der Zollhaftung ausgenommen würden, nicht aber die Frachtführer.
Auch in dieser Frage wies das Bundesgericht aber darauf hin, dass der Gesetzgeber diese Ungleichbehandlung bewusst in Kauf genommen habe. Nach dem eindeutigen Gesetzestext bestehe deshalb auch hier kein Raum für eine abweichende Interpretation.
Kommentar
Ein Abgabennachbezug von über einer Million Franken kann ein Unternehmen hart treffen und unter Umständen sogar in seiner Existenz bedrohen. Besonders ärgerlich ist es für ein betroffenes Unternehmen, wenn ein solcher Nachbezug – wie im dargestellten Fall – auf das Verschulden Dritter zurückzuführen ist. Das Bundesgericht hat aber deutlich gemacht, dass es an den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes gebunden ist und keine Möglichkeit hat, die darin genannten Personen vom Kreis der Zollschuldner auszunehmen und deren Haftbarkeit aufzuheben.
Von einer Haftungserleichterung profitieren können nur diejenigen Personen, die gewerbsmässig Zollanmeldungen ausstellen. Bedauerlich ist, dass sich das Bundesgericht nicht dazu äussern konnte, ob die einschlägige Gesetzesbestimmung gegen das Gleichbehandlungsgebot verstösst. Denn in der Tat ist es nur schwierig zu rechtfertigen, weshalb die Spediteure anders als die reinen Warenführer von einer Haftungserleichterung profitieren sollen. Auch die Warenführer wissen häufig nicht genau, was sie geladen haben und verlassen sich – wie auch die Spediteure, die gewerbsmässig Zollanmeldungen ausstellen – auf die Angaben der Auftraggeber und die Begleitdokumente. Sie tragen deshalb bei ähnlicher Tätigkeit ein ungleich höheres Risiko.
Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in naher Zukunft eine Anpassung des Gesetzestextes vornehmen wird. Somit bleibt nach geltender Rechtslage als einzige Möglichkeit eine vertragliche Absicherung, in welcher der Rückgriff auf die anderen Beteiligten klar geregelt wird.
Weitere Informationen:
- Urteil 2C_185/2013 des Bundesgerichts vom 16.07.2013
- Urteil A-6492/2011 des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.01.2013
- Art. 70 ZG
- Botschaft zum Zollgesetz von 2005 (relevante Stellen: S. 641–643, im PDF S. 75–77)
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann