Bundesgericht bestätigt kartellrechtliche „Busse“ für Publigroupe wegen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung


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Mit der Veröffentlichung des Urteils des Bundesgerichts Anfang Februar ist das langwierige kartellrechtliche Verfahren gegen die Publigroupe SA definitiv beendet. Nach dem Bundesverwaltungsgericht hat nun auch das höchste Schweizer Gericht die „Busse“ für den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung im schweizerischen Markt für die Vermittlung und den Verkauf von Inseraten in Printmedien bestätigt. Ausschlaggebend für die Qualifikation als marktbeherrschendes Unternehmen war vor allem der Marktanteil von 63 %. Das missbräuchliche Verhalten wurde in einzelnen Klauseln der Richtlinien für die Kommissionierung von Berufs-Inseratevermittlern gesehen. Diese Richtlinien werden vom Verein Schweizerischer Werbegesellschaften (VSW) erlassen, dessen einzige Mitglieder im massgebenden Zeitraum zwischen April 2004 und November 2005 vier 100-prozentige Tochtergesellschaften der Publigroupe SA waren. Durch die entsprechenden Klauseln seien unabhängige Vermittler von Inseraten ohne sachlichen Grund in der Aufnahme bzw. der Ausübung des Wettbewerbs behindert worden.

Sachverhalt und Vorgeschichte

Die Publigroupe SA ist ein Werbekonzern mit Sitz in Lausanne, dem die folgenden vier Tochtergesellschaften zu 100 % angehören:

  • Publicitas SA
  • Publicitas Publimag AG
  • Publicitas Publimedia AG
  • Publicitas Mosse AG

Für sogenannte Pachtregieverlage übernimmt der Konzern als Pächter exklusiv die Vermarktung des Inserate- und Werberaums. Gemäss Bundesgericht ist dies bei rund 600 Zeitungen und Zeitschriften der Fall. Unternehmen, welche in den betroffenen Zeitungen und Zeitschriften inserieren möchten, müssen sich jeweils direkt an die Publigroupe SA wenden. Werbeauftraggeber können ihre Anzeige jedoch auch über einen unabhängigen Vermittler aufgeben. Aufgrund des exklusiven Pachtvertrags kann der Vermittler nicht direkt an den Verlag gelangen, sondern muss die Anzeige zwingend über die Publigroupe weiterleiten. Für diese Vermittlungsleistung wird ihm durch Publigroupe grundsätzlich eine Kommission entrichtet.

Die Voraussetzungen, die ein unabhängiger Vermittler hierfür erfüllen muss, sind in den Richtlinien des VSW für die Kommissionierung von Berufs-Inseratevermittlern enthalten. Die vier genannten Tochtergesellschaften waren im massgebenden Zeitraum von April 2004 bis November 2005 die einzigen Mitglieder des VSW und entsprechend verantwortlich für den Inhalt der Richtlinien.

Da durch die Richtlinien gewisse Vermittler von der Kommissionierung ausgeschlossen wurden, reichte ein Vermittler eine Anzeige beim Sekretariat der Wettbewerbskommission ein, welches im Jahr 2001 eine erste Vorabklärung einleitete. Nach dem Abschluss einer einvernehmlichen Regelung erliess die WEKO im März 2007 die definitive Verfügung (RPW 2007/2, S. 190 ff.). Darin wurde der Publigroupe eine „Busse“ in der Höhe von CHF 2.5 Mio. auferlegt, weil sie ihre marktbeherrschende Stellung durch die Festlegung einzelner Kommissionierungsvoraussetzungen missbraucht habe. Der Entscheid wurde in der Folge vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27.4.2010 (B-2977/2010) bestätigt.

Urteil des Bundesgerichts: Finanzielle Sanktionen des Kartellrechts haben strafrechtsähnlichen Charakter

In seinem Urteil vom 29. Juni 2012 (2C_484/2010) geht das Bundesgericht zunächst auf diverse umstrittene verfahrensrechtliche Fragen ein. Hervorzuheben ist dabei, dass den finanziellen Sanktionen des Schweizer Kartellgesetzes (vgl. Art. 49a KG) gemäss Bundesgericht ein „strafrechtlicher bzw. strafrechtsähnlicher Charakter“ zukommt. Dementsprechend seien in kartellrechtlichen Verfahren grundsätzlich die Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 und 7 EMRK) und der Bundesverfassung (Art. 30 bzw. 32 BV) zu beachten. Das Verfahren vor der Wettbewerbskommission, welche keine richterliche Behörde sei, erfülle diese Anforderungen zwar nicht. Das Bundesgericht lässt es jedoch genügen, wenn die Vorgaben im Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingehalten werden. Erforderlich sei, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht nur die Rechtsfragen, sondern auch die Tatsachenfragen überprüfe. Entgegen dem Standpunkt der Publigroupe war das Bundesgericht der Ansicht, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht in unzulässigerweise eine Zurückhaltung in fachtechnischen Fragen, wie z.B. bei der Bestimmung des relevanten Marktes, auferlegt hatte.

Verhalten der Tochtergesellschaften wird Publigroupe zugerechnet

In dem Urteil wird sodann bestätigt, dass die Publigroupe und ihre vier Tochtergesellschaften als einheitliches Unternehmen (vgl. Art. 2 Abs. 1bis KG) aufzufassen sind. Da die Tochtergesellschaften zwar rechtlich, nicht aber wirtschaftlich selbständig seien, müsse der Publigroupe das Verhalten ihrer Tochtergesellschaften zugerechnet werden. Bekräftigt wird die mangelnde wirtschaftliche Selbständigkeit gemäss Bundesgericht durch die Organisationsstruktur, welche auf eine starke Vernetzung zwischen den einzelnen Gesellschaften schliessen lässt. Allgemein dürften die Anforderungen an die Zuordnung von kartellrechtswidrigem Verhalten an juristische Personen, welche eine Organisationseinheit bilden, nicht überzogen werden, da sonst die Bestimmung von Art. 49a KG ins Leere liefe.

Marktbeherrschende Stellung der Publigroupe

Ein Unternehmen gilt nach Schweizer Recht als marktbeherrschend, wenn es in der Lage ist, sich auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager von andern Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten (vgl. Art. 4 Abs. 2 KG). Für diese Beurteilung ist zunächst eine Definition des relevanten Marktes erforderlich. Unbestritten war dabei, dass der Markt im vorliegenden Fall das Gebiet der ganzen Schweiz umfasst. Als sachlich relevanten Markt definiert das Bundesgericht den Markt für die Vermittlung und den Verkauf von Inserate- und Werberaum in Printmedien. Aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften, Gestaltungsoptionen und der anzusprechenden Zielgruppen wurde davon ausgegangen, dass Radio-, Fernseh- und Pressewerbung separate Märkte darstellen. Gleichermassen handle es sich auch beim OnlineWerbemarkt um einen eigenständigen Markt. Das Bundesgericht betonte u.a., dass Online-und Printwerbung neben den unterschiedlichen Nachfragern auch unterschiedlichen Kosten und Produktionsbedingungen unterliegen. Daran vermochte auch der Hinweis auf die Rückläufigkeit der Werbung in den Printmedien nichts zu ändern, weil die Publigroupe nicht ausreichend dargelegt habe, inwiefern diese Entwicklung nicht auf die Pressekrise zurückzuführen sei.

In Bezug auf die Marktstellung der Publigroupe ging das Bundesgericht von einem Marktanteil von 63 % aus. Anders als in der EU werde in der Schweiz aus einem hohen Marktanteil zwar noch nicht per se auf eine Marktbeherrschung geschlossen. Jedoch sei bereits ein Marktanteil von 50 % ein Indiz für eine marktbeherrschende Stellung. Die „Vermutung“ der Marktbeherrschung bei einem Marktanteil von 63 % werde zudem auch durch die Abklärungen der WEKO bekräftigt.

Kommissionierungspraxis der Publigroupe stellt missbräuchliches Verhalten dar

In einem nächsten Schritt war deshalb zu prüfen, ob die Publigroupe ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hat. Marktbeherrschende Unternehmen verhalten sich dann unzulässig, wenn sie durch den Missbrauch ihrer Stellung auf dem Markt andere Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindern oder die Marktgegenseite benachteiligen (vgl. Art. 7 Abs. 1 KG). Solche Verhaltensweisen können insbesondere in einer Diskriminierung von Handelspartnern bei Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen bestehen (vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. b KG). Das Bundesgericht betont hierzu einleitend, dass eine Diskriminierung von Handelspartnern an sich noch nicht per se unzulässig ist. Vielmehr sei jeweils zu prüfen, ob sachliche Gründe („legitimate business reasons“) für die Benachteiligung bzw. Ausbeutung vorliegen. Diese könnten insbesondere in kaufmännischen Grundsätzen (z.B. Forderung der Zahlungsfähigkeit eines Vertragspartners), einer veränderten Nachfrage, Kosteneinsparungen, administrativen Vereinfachungen, Transport- und Vertriebskosten oder technischen Gründen bestehen.

Konkret war im vorliegenden Verfahren die Kommissionierungspraxis der Publigroupe zu beurteilen, welche in den VSW-Richtlinien festgehalten wurde. Unabhängige Vermittler, welche einem Pachtregieverlag über die Publigroupe einen Inserenten vermitteln wollten, erhielten hierfür nur dann eine Kommission, wenn sie die Voraussetzungen der Richtlinien erfüllten. Nach Ansicht der Publigroupe war dieses System vergleichbar mit einem zulässigen selektiven Vertriebssystem, das auf qualitativen Kriterien beruht. Für das Bundesgericht war dieser Vergleich jedoch nicht massgeblich. Denn im vorliegenden Fall seien nicht die Abreden unter den einzelnen Tochtergesellschaften, welche ohnehin nicht vom Kartellgesetz erfasst seien (sog. Konzernprivileg), zu untersuchen, sondern vielmehr, ob der verbleibende Wettbewerb durch ein missbräuchliches Verhalten des Konzerns beeinträchtigt wurde.

Die erste Kommissionierungsvoraussetzung, welche von der WEKO als unzulässig beurteilt wurde, bestand darin, dass nur Vermittler kommissioniert wurden, welche Inserate von mehreren juristisch und wirtschaftlich voneinander unabhängigen Auftraggebern vermitteln. Als kartellrechtlich unproblematisch wurde dabei der Umstand bezeichnet, dass dadurch Vermittler ausgeschlossen werden, welche eigene Inserate oder Inserate des sie beherrschenden Unternehmens vermitteln. Dass durch die Regelung jedoch auch Vermittler ausgeschlossen werden, die keine Eigenvermittlung betreiben oder exklusiv für einen Verlag Inserateraum anbieten, lassse sich sachlich nicht rechtfertigen. Dies stelle eine Marktzutrittsschranke auf dem vorgelagerten Vermittlungsmarkt dar und beeinträchtige die Wettbewerbspotentiale der nicht kommissionierten Vermittler in erheblichem Mass. Ferner würden dadurch Handelspartner diskriminiert, um die eigenen Vermittlungsdienste der Publigroupe gegenüber missliebigen Konkurrenten zu begünstigen.

Die zweite beanstandete Voraussetzung verlangt für die Kommissionsberechtigung, dass der Vermittler die Vermittlungstätigkeit als Haupttätigkeit und als Universalvermittler betreibt. Vermittler, die ihre Tätigkeit nur als Nebenzweck betreiben oder sich auf bestimmte Sparten oder Nischen fokussieren, waren folglich ausgeschlossen. Dabei handelt es sich gemäss Bundesgericht ebenfalls um eine erhebliche Marktzutrittsschranke und gegenüber den Universalvermittlern um Wettbewerbsbehinderungen. Ferner würden auch hier Handelspartner diskriminiert, um sich selbst als Universalvermittler gegenüber allfälligen Konkurrenten zu begünstigen. Eine sachliche Rechtfertigung dafür schloss das Bundesgericht aus.

Schliesslich wurden mit einer dritten Voraussetzung Vermittler ausgeschlossen, welche im Inserateverkauf weniger als 1 Mio. Franken Umsatz oder bei der Publigroupe einen Nettoumsatz von weniger als 100‘000 Franken pro Jahr erzielen. Vor allem im Hinblick auf das Gesamtvolumen des Schweizer Marktes und auf den Marktanteil von 5 % aller unabhängigen Vermittler stellt auch diese Voraussetzung gemäss Bundesgericht eine erhebliche Marktzutrittsschranke auf dem vorgelagerten Vermittlungsmarkt dar und beeinträchtigt die Wettbewerbspotentiale der nicht kommissionierten Vermittler in erheblichem Mass.

Konsequenz: „Busse“ in der Höhe von 2,5 Millionen Franken

Die drei Anforderungen in den Kommissionierungsrichtlinien waren somit nach Ansicht des Bundesgerichts allesamt „im Sinne eines Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchs diskriminierend“. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung waren somit gegeben. Das Verhalten war der Publigroupe sodann auch vorwerfbar, weil es ihr gemäss Bundesgericht spätestens seit der formellen Eröffnung des Untersuchungsverfahrens im Jahr 2002 bewusst sein musste, dass die Wettbewerbsbehörden ihre Kommissionierungspraxis als kartellrechtlich heikel einschätzen. Vor diesem Hintergrund bestätigte das Bundesgericht die finanzielle Sanktion in der Höhe von 2,5 Millionen Franken. Als sanktionsmildernd wurde dabei die kooperative Ausarbeitung einer einvernehmlichen Regelung berücksichtigt. Die Regelung führte insbesondere zu einer Abänderung der VSW-Richtlinien. Deren aktuelle Fassung (in Kraft seit 1.1.2009) ist auf der Website des VSW abrufbar.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Michael Schüepp


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