Bundesgericht beurteilt Vorgehen von Logistep gegen «Internet-Piraten» als unzulässig


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Das Schweizerische Bundesgericht hat heute entschieden, dass das Vorgehen der Logistep AG bei der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Internet gegen das schweizerische Datenschutzgesetz verstösst. Das Urteil folgt damit der Auffassung des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB), der einen gegenteiligen Entscheid an das höchste Schweizer Gericht weiterzog. Das Bundesgericht erachtet zum Einen das Datenschutzgesetz für anwendbar, weil es IP-Adressen, welche durch Logistep gesammelt und aufbereitet werden, als Personendaten qualifiziert. Dadurch herrscht nun Klarheit in dieser höchst umstrittenen Frage. Zum Anderen stellt die Bearbeitung der IP-Adressen von potentiellen Urheberrechtsverletzern nach der Auffassung des Bundesgerichts eine Persönlichkeitsverletzung dar, weil dies ohne Wissen der betroffenen Personen und in einer für diese nicht erkennbaren Weise erfolge. Schliesslich entschied die Mehrheit der Bundesrichter – anders als noch die Vorinstanz -, dass das Interesse der Inhaber von Urheberrechten gegenüber dem Interesse der betroffenen Internet-User an Privatsphäre nicht überwiege.

Die schweizerische Logistep AG sucht mit Hilfe einer speziellen Software in Internet-Tauschbörsen (Peer-to-Peer-Netzwerken) nach urheberrechtlich geschützten Werken (insb. Film- und Musiktitel) ihrer Auftraggeber. Durch das Herunterladen eines solchen Werks kann dank der Software insbesondere die IP-Adresse des Anbieters aufgezeichnet werden. Im Anschluss daran werden die gespeicherten Daten an die in- und ausländischen Auftraggeber weitergeleitet, welche auf der Grundlage dieser Daten letztendlich Strafanzeigen und Schadenersatzforderungen gegen die so identifizierten User erheben.

Dieses Vorgehen des Schweizer Unternehmens beanstandete der Eidg. Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) und empfahl der Logistep im Januar 2008 dessen unverzügliche Einstellung. Nachdem der Empfehlung nicht Folge geleistet wurde, gelangte der EDÖB an das Bundesverwaltungsgericht, welches jedoch mit Urteil vom 27. Mai 2009 das Vorgehen der Logistep für zulässig erklärt hat (vgl. hierzu die BR-News vom 31.08.2009). Die Beschwerde des EDÖB gegen dieses Urteil wurde nun durch das Schweizerische Bundesgericht (1C_285/2009) gutgeheissen.

Das höchste Schweizer Gericht hat in der heute veröffentlichten Pressemitteilung zu der nicht nur in der Schweiz mit Spannung erwarteten öffentlichen Urteilsberatung die ersten Einzelheiten des Urteils bekannt gegeben. Die Urteilsbegründung steht noch aus. Brisant an dem zu beurteilenden Fall ist insbesondere die höchst umstrittene Frage, ob IP-Adressen Personendaten im Sinne des Datenschutzgesetzes darstellen. Das Bundesgericht folgt hierbei im Ergebnis den Auffassungen des Bundesverwaltungsgerichts sowie des EDÖBs und bejahte dies. Dementsprechend erklärte es das Datenschutzgesetz auf den vorliegenden Fall für anwendbar. Das Geschäftsmodell der Logistep AG, bei dem IP-Adressen gesammelt und aufbereitet werden, stellt schliesslich gemäss dem Urteil eine Persönlichkeitsverletzung dar, weil diese Bearbeitung im Regelfall ohne Wissen der betroffenen Personen und in einer für diese nicht erkennbaren Weise erfolge. Auch in diesem Punkt stimmt das Urteil noch mit demjenigen der Vorinstanz überein, welche im Vorgehen der Logistep AG einen Verstoss gegen das Zweckbindungs- und Erkennbarkeitsprinzip und damit letztlich gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erblickte.

Demgegenüber entschied das Bundesgericht in Abweichung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, dass diese Persönlichkeitsverletzung nicht durch ein überwiegendes Interesse gerechtfertigt sei, zumal ein solches Interesse nur zurückhaltend bejaht werden dürfe. Die knappe Mehrheit (3) der fünf Bundesrichter anerkannte zwar die Erschwerung der wirtschaftlichen Verwertung von Urheberrechten durch die Möglichkeiten der digitalen Vervielfältigung. Jedoch müsse berücksichtigt werden, dass das Vorgehen von Logistep einen bedeutsamen Eingriff in die Privatsphäre von jedem betroffenen Benutzer mit sich bringe, welcher der Staat zu schützen habe. Im Vergleich hierzu könne das Interesse der Logistep AG und ihrer Auftraggeber nicht als überwiegend betrachtet werden.

In der Medienmitteilung des EDÖB wird das Urteil des Bundesgerichts selbstverständlich begrüsst und als ein Zeichen gewertet gegen die in einigen Bereichen erkennbare Tendenz von Privaten, Aufgaben an sich zu ziehen, die klar dem Rechtsstaat obliegen würden. Andererseits steht die Entscheidung aber im Widerspruch zu verschiedensten Gerichtsentscheidungen im Ausland, bspw. des deutschen Bundesgerichtshofs. Für Vertreter der Logistep AG bedeutet die Entscheidung, dass nun Behörden mit den gleichen technischen Mitteln gegen die Urheberrechtsverletzungen vorzugehen hätten, weil andernfalls eine massive unkontrollierte illegale Verbreitung urheberrechtliche geschützter Inhalte in der Schweiz drohe, welche so zu einer Art rechtsfreiem Raum werde.

Update:

BR-News vom 5.12.2010: «Logistep-Urteil: Bundesgericht qualifiziert IP-Adressen NICHT grundsätzlich als Personendaten»

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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