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Das Schweizer Bundesgericht hat sich in einem Urteil vom 27. März 2012 mit einem Rechtsstreit zwischen dem Fussballspieler Francelino da Silva Matuzalem und dem Weltfussballverband FIFA auseinandergesetzt. Im August 2010 hatte die FIFA-Disziplinarkommission Matuzalem zu einer Busse verurteilt und für den Fall der Nichtbezahlung ein unbegrenztes Berufsverbot angedroht. Nachdem Matuzalem, der die Busse nicht bezahlen konnte, vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) gescheitert war, hat das Bundesgericht nun die Beschwerde des Fussballers gutgeheissen. Das höchste Schweizer Gericht sah in dem Berufsverbot einen Verstoss gegen fundamentale Grundsätze der Schweizer Rechtsordnung (sog. Ordre Public) und hat in der Folge den Entscheid des CAS aufgehoben.
Ausgangslage: fristlose Auflösung des Vertrags mit Shakhtar Donetsk
Matuzalém Francelino da Silva (bekannt als „Matuzalem“) ist ein professioneller Fussballspieler brasilianischer Nationalität. Im Juli 2007 löste er seinen Arbeitsvertrag mit dem FC Shakhtar Donetsk fristlos und weder aus wichtigem Grund („just cause“) noch aus sportlich triftigen Gründen („sporting just cause“) auf. In der Folge unterzeichnete er einen neuen Arbeitsvertrag mit dem spanischen Verein Real Saragossa. Der neue Arbeitgeber verpflichtete sich dabei gegenüber Matuzalem, ihn für Schadenersatzansprüche aufgrund der vorzeitigen Vertragsauflösung schadlos zu halten. Am Ende der Saison 2007/2008 stieg die Mannschaft von Real Saragossa in die zweite spanische Liga ab, weshalb Matuzalem – zunächst nur vorübergehend – an den italienischen Verein Lazio Rom transferiert wurde. Gegen Real Saragossa, das nach der Saison 2008/2009 wieder in die erste Liga aufstieg, wurde derweil im Jahr 2011 ein Insolvenzverfahren eröffnet.
Entscheid der FIFA-Streitbeilegungskammer vom 2. November 2007
Aufgrund der vertragswidrigen Kündigung hat die Kammer zur Beilegung von Streitigkeiten der FIFA („Dispute Resolution Chamber“) am 2. November 2007 Shakhtar Donetsk Schadenersatz in der Höhe von rund 7 Millionen Euro zugesprochen. Der Court of Arbitration for Sport (CAS) hat den Enscheid in der Folge teilweise aufgehoben und verpflichtete Matuzalem sowie Real Saragossa solidarisch zur Zahlung von rund 12 Millionen Euro. Eine dagegen eingereichte Beschwerde beim Bundesgericht blieb ohne Erfolg.
Entscheid der FIFA-Disziplinarkommission vom 31. August 2010
Da Matuzalem und Real Saragossa dem Entscheid des CAS keine Folge leisteten und den Betrag nicht bezahlten, leitete die FIFA im Juli 2010 ein Disziplinarverfahren ein. Mit Entscheid vom 31. August 2010 sprach die Disziplinarkommission der FIFA Matuzalem und Real Saragossa schuldig, ihre Verpflichtungen gemäss dem CAS-Schiedsentscheid nicht erfüllt zu haben. Darüber hinaus wurden die beiden solidarisch zur Bezahlung einer Busse von Fr. 30‘000 verurteilt. Diese Busse wurde mit der Androhung verbunden, im Falle des Ausbleibens der Zahlung werde Matuzalem „auf einfache Aufforderung des Gläubigers FC Shakhtar Donetsk hin, jegliche in Zusammenhang mit dem Fussball stehende Tätigkeit verboten“. Die Busse und die Androhung des Berufsverbots stützten sich dabei auf Artikel 64 (insb. Ziff.1 und 4) des FIFA-Disziplinarreglements („Disciplinary Code“).
Eine Beschwerde von Matuzalem und Real Saragossa gegen diesen Entscheid wurde in der Folge vom CAS im Wesentlichen abgewiesen. Dementsprechend wurde die Busse und die Androhung des Berufsverbots durch das CAS bestätigt. Hiergegen erhob Matuzalem Beschwerde an das Bundesgericht.
Entscheid des Bundesgerichts vom 27. März 2012
In seinem Urteil vom 27. März 2012 (4A_558/2011) gelangt das Bundesgericht zunächst zum Schluss, dass im vorliegenden Fall die Artikel 176 ff. des Schweizer Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) zur Anwendung kommen. Anschliessend wird festgehalten, dass eine Aufhebung des Entscheids des CAS nur gestützt auf die in Art. 190 Abs. 2 IPRG aufgezählten Gründe erfolgen kann. Matuzalem hat denn auch vorgebracht, dass der Entscheid des CAS den sog. Ordre Public verletze (vgl. Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG). Er begründete dies folgendermassen: da er Shakhtar Donetsk den Schadenersatz von 11 Millionen Euro nicht zahlen könne, werde ihm als professioneller Fussballspieler faktisch ein unbefristetes und weltweites Berufsverbot auferlegt, sofern der Gläubiger dies verlange.
Das Bundesgericht hält hierzu allgemein fest, dass die Beurteilung eines streitigen Anspruchs nur dann gegen den Ordre Public verstosse, wenn sie fundamentale Rechtsgrundsätze missachte und daher mit der wesentlichen, weitgehend anerkannten Wertordnung schlechthin unvereinbar sei, die nach in der Schweiz herrschender Auffassung Grundlage jeder Rechtsordnung bilden sollte. In der Folge geht das Bundesgericht konkret auf Artikel 27 des Schweizer Zivilgesetzbuches (ZGB) ein, welcher eine Person vor einer übermässigen Beschränkung ihrer Freiheit schützt.
Eine vertragliche Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit wird gemäss Bundesgericht nach schweizerischem Verständnis dann als übermässig betrachtet, wenn sie eine Person der Willkür eines anderen ausliefert, seine wirtschaftliche Freiheit aufhebt oder in einem Masse einschränkt, dass die Grundlagen seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sind. Eine derart übermässige Bindung könne dabei auch gegen den Ordre Public verstossen, wenn sie eine offensichtliche und schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung darstelle.
Diese Grundsätze gelten gemäss Bundesgericht sodann auch für Beschränkungen der Freiheit, die wie im vorliegenden Fall aus Statuten bzw. Beschlüssen von Sport-Vereinen resultieren. Eine Vereinsstrafe, welche nicht bloss den korrekten Ablauf der Spiele sichert, sondern in die rechtlichen Interessen der Betroffen eingreift, sei einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Bei schwerwiegenden Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht auf wirtschaftliche Entfaltung ist gemäss Bundesgericht die Autonomie eines Vereins zum Ausschluss von Mitgliedern durch deren Persönlichkeitsrecht beschränkt, wenn der Verein als massgebende Organisation des betreffenden Berufsstands auftrete. Massnahmen von Verbänden wie der FIFA, als Verein des Schweizer Rechts, welche die wirtschaftliche Entfaltung von professionellen Sportlern schwerwiegend beeinträchtigen, seien deshalb nur zulässig, wenn das Gewicht der Verbandsinteressen den Eingriff in die Persönlichkeit überwiege.
In der anschliessenden Interessenabwägung gelangt das Bundesgericht zum Schluss, dass das Interesse der FIFA an der Durchsetzung der Schadenersatzforderung von Shakhtar Donetsk den schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von Matuzalem nicht rechtfertigt. Das abstrakte Ziel der Durchsetzung der Vertragstreue der Fusssballspieler gegenüber ihren Arbeitgebern sei eindeutig weniger gewichtig als das faktisch in zeitlicher und örtlicher Hinsicht unbegrenzte Berufsverbot von Matuzalem für alle im Zusammenhang mit dem Fussballsport stehenden Betätigungen. Das Bundesgericht verweist dabei auch darauf, dass für die Durchsetzung der Schadenersatzforderung auch der Weg des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche offen stehe, welches auch für Italien, dem aktuellen Wohnsitzstaat von Matuzalem, gelte.
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung des Bundesgerichts vom 29.3.2012
- Urteil des Bundesgerichts vom 27. März 2012 (4A_558/2011)
- BR-News: „CAS: Europa League findet definitiv ohne den FC Sion statt“
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Ansprechpartner: Giuseppe Di Marco