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Am 26. November 2015 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Urteilen, dass Access-Provider dazu verpflichtet werden können, den Zugriff auf einer Internetseite mit urheberrechtswidrigen Inhalten zu sperren (siehe auch BR-News vom 10.04.2014). Damit ein Access-Provider aber auch tatsächlich haftet, müssen Rechtsinhaber strenge Voraussetzungen erfüllen. Da der BGH dies in den vorliegenden Fällen als nicht gegeben erachtete, wies er in beiden Fällen die jeweilige Revision zurück.
Ausgangslage Urteil Az. I ZR 3/14: Klage der GEMA gegen Access-Provider
Im ersten dargestellten Urteil befasste sich der BGH mit einem Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) und Deutschlands grösstem Telekommunikationsunternehmen. Konkret sah sich die GEMA durch die Internetseite „3.dl.am“ in ihren Rechten verletzt, weil sich dort unzählige Hyperlinks befanden, die zu rechtswidrigen Kopien von Musikwerken führten. Die Aufnahmekopien seien von Personen ohne Berechtigung bei „Sharehostern“ (RapidShare, Netload oder Uploaded.to) hochgeladen worden, monierte die GEMA.
Die Klägerin verlangte vom Access-Provider für die bestimmten Musikwerke die Unterbindung des Herunterladens. Als Inhaberin des ausschliesslichen Rechts des öffentlichen Zugänglichmachens der Musikwerke habe sie niemandem das Recht eigeräumt, Kopien von den Musikaufnahmen hoch- oder herunterzuladen. Somit war sie der Ansicht, dass die Beklagte als Störerin für die widerrechtliche Veröffentlichung der Downloadlinks durch ihre Kunden einzustehen hat. Die Beklagte ihrerseits vertrat die Meinung, als Access-Provider die Rolle eines neutralen technischen Vermittlers innezuhaben, der Inhalte des Internets weder kontrollieren könne noch dürfe.
Vorinstanz legt Grundstein für Urteil des BGH
Das LG Hamburg (erste Instanz) war der Auffassung, dass dem Dienst „3.dl.am“ „im Wesentlichen[…] ein auf Urheberrechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell zugrunde liegt“. Die Verantwortlichen für den Dienst waren nicht bekannt, „weil diese sich in dem Wissen ihres verbotenen Tuns verbergen“, so die Hamburger Richter. Dennoch verneinte das Gericht eine Haftung der Beklagten als Täterin oder Teilnehmerin. Diese sei nicht begründet gewesen, weil sich die Dienste des Access-Providers auf das passive automatische Verfahren der Durchleitung von fremden Informationen beschränken. Kurz gefasst bedeutet dies, dass der Access-Provider seinen Kunden nur den Zugang zu allen im Internet vorhandenen Angeboten vermittelt. Darüber hinausgehend fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, welche die Voraussetzungen einer Verpflichtung des Access-Providers zu einer Sperrung des Website-Zugangs statuiert. In Betracht kam im vorliegenden Fall also nur eine Verpflichtung der Beklagten nach den Regeln der Störerhaftung (gemäss § 1004 BGB in Verbindung mit den § 97 Abs. 1, § 19a UrhG), obwohl dies in der Lehre nicht unumstritten ist.
Das LG Hamburg präzisierte, dass die Frage der Störerhaftung des Access-Providers sich im Einzelfall bei den Voraussetzungen der Möglichkeit und der Zumutbarkeit der mit der begehrten Anordnung verbundenen Pflichten entscheidet. So verlangte die Klägerin die Filterung des Datenverkehrs, eine URL-Sperre, eine IP-Sperre und eine DNS-Sperre. Diese aufgelisteten Massnahmen sind zwar technisch möglich, rechtlich aber nicht zulässig. Sie setzen nämlich voraus, dass sich der Access-Provider profunde Kenntnisse von Umständen der Telekommunikation zunutze macht. Dies greift in das Fernmeldegeheimnis ein, was nur bei einer gesetzlichen Beschränkung i.S. des Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG erlaubt ist, die den Anforderungen des Art. 19 GG genügt. Eine solche Beschränkung ist für zivilrechtliche Filter- oder Sperrmassnahmen allerdings nicht zulässig und kam somit in diesem Fall nicht in Frage. Weil die verlangten Massnahmen ohne gesetzliche Grundlage nicht zulässig sind, war das Begehren der Klägerin eben auf eine rechtlich nicht mögliche Leistung gerichtet, so das LG Hamburg.
Dem Gericht zufolge war die Voraussetzung der Zumutbarkeit ebenfalls nicht erfüllt, weil die verlangten Massnahmen nicht geeignet seien, das erwünschte Ziel herbeizuführen. Je leichter eine Erschwerungsmassnahme umgangen werden kann, desto weniger kann von der Beklagten die Einrichtung einer solchen Sperre verlangt werden. Weil die Gesellschaft, insbesondere junge Erwachsene, die neuen Technologien sehr gut beherrschen, können praktisch alle Erschwerungsmassnahmen umgangen werden. Ausserdem waren die Richter der Meinung, dass sich eine Sperre, welche vom Gesetzgeber als geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Kinderpornographie betrachtet wird, nicht automatisch auch zum Schutz zivilrechtlicher Rechte eigne. Damit erwies sich die Klage in erster Instanz als unbegründet und wurde folglich abgewiesen.
In zweiter Instanz (OLG Hamburg) wurde die Berufung der Klägerin ebenfalls zurückgewiesen. Das Gericht folgte der Argumentation der Vorinstanz, indem es sowohl einen Anspruch auf eine Haftung als Täter oder Teilnehmer, als auch eine Haftung als Störer verneinte. Der Hauptantrag wurde zwar als zulässig erachtet, die Sperrung des Zugangs zur Internetseite der Betreiber gestaltete sich laut den Richtern aufgrund der Umgehungsmöglichkeiten jedoch objektiv unmöglich. Die Haftung als Störer dagegen scheiterte an der Unzumutbarkeit der verlangten Sperrung.
Ausgangslage Urteil Az. I ZR 74/14: Führende Tonträgerherstellern gegen Access-Provider
Im zweiten Fall befassten sich die Gerichte mit einem Rechtsstreit zwischen mehreren Tonträgerherstellern und der Betreiberin eines Telekommunikationsnetzes (Access-Provider). Der Access-Provider vermittelte im Vorfeld seinen Kunden den Zugang zu der Internetseite „goldesel.to“. Die Klägerinnen führten an, dass sich auf dieser Webseite eine Vielzahl von Links zu urheberrechtlich geschützten Musikwerken befanden, die widerrechtlich hochgeladen worden waren. Konkret machten sie als Inhaberinnen der ausschliesslichen Nutzungsrechte an den kopierten Musikstücken (Ausführliche Liste in LG Köln – Urteil vom 31. August 2011 – 28 O 362/10) eine Verletzung ihrer urheberrechtlichen Leistungsschutzrechte gemäss § 85 UrhG (Artikel 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG) geltend.
Wie im ersten Fall beantragten die Klägerinnen die Unterlassung der Zugangsvermittlung zu rechtsverletzenden Inhalten. Die Kammer betrachtete die Klage allerdings als unbegründet. Sie führte an, dass die Sperrung unzumutbar sei und auch kein taugliches Mittel zur Vorsorge weiterer Rechtsverletzungen darstelle.
In zweiter Instanz (OLG Köln) wurde die Berufung der Klägerinnen ebenfalls zurückgewiesen, die Revision jedoch zugelassen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) bejaht Urheberrechtsverletzungen Dritter
Gemäss BGH kann ein Access-Provider von einem Rechteinhaber im Prinzip als Störer dazu in Anspruch genommen werden, den Zugang zu Internetseiten zu sperren, auf denen urheberrechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht worden sind. Weil das deutsche Recht richtlinienenkonform (Anlehnung an Art. 8 Abs. 3 2001/29/EG) auszulegen ist, muss es eine Möglichkeit vorsehen, gegen Vermittler von Internetzugängen solche Sperrmassnahmen anzuordnen.
Demnach haftet als Störer bei der Verletzung von Urheberrechten oder Leistungsschutzrechten, wer zumutbare Prüfungspflichten verletzt, indem er sie unterlässt und dadurch in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines Urheberrechts beiträgt.
Einen adäquat kausalen Beitrag der Access-Provider zu den Urheberrechtsverletzungen der Website-Betreiber sieht der BGH namentlich in der Vermittlung des Zugangs zu Webseiten mit urheberrechtsverletzendem Content.
Zumutbarkeitsprüfung erfordert Grundrechtsabwägung
Obwohl Grundrechte nicht unmittelbar zwischen Privaten gelten, verkörpern sie eine objektive Wertordnung auf die Auslegung des Privatrechts (die sog. mittelbare Drittwirkung der Grundrechte). Somit musste bei der Zumutbarkeitsprüfung der Störerhaftung zwischen den EU-rechtlichen und deutschen Grundrechten des Eigentumsschutzes der Urheberrechtsinhaber, der Berufsfreiheit der Access-Provider und der Informationsfreiheit und informationellen Selbstbestimmung der Internetuser abgewogen werden. Aus dieser Prüfung resultierte, dass die Zumutbarkeit einer Sperrung bereits angenommen werden kann, sobald nach dem Gesamtverhältnis rechtmässige gegenüber rechtswidrigen Inhalten nicht von Bedeutung sind. Demnach ist eine Sperrung klar zumutbar, wenn einzig rechtsverletzende Inhalte auf der Webseite bereitgestellt wurden. Darüber hinaus kann die Sperrung als zumutbare Massnahme qualifiziert werden, sofern sie den Zugriff auf urheberrechtsverletzende Inhalte erschwert bzw. verhindert.
Die Verhältnismässigkeit wird durch die Annahme einer Störerhaftung der Access-Provider hingegen nur gewahrt, wenn der Rechteinhaber zumutbare Anstrengungen unternommen hat, gegen die Urheberrechtsverletzer vorzugehen. Erst wenn der Versuch, die Beteiligten zu ergreifen, scheitert und aufgrund dessen eine Rechtslücke entstehen würde, ist die Inanspruchnahme des Access-Providers als Störer zumutbar. So sind der Website-Betreiber und der Host-Provider gemäss BGH bedeutend näher an der Rechtsverletzung als der Access-Provider. Beim Ausfindigmachen der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten hat der Rechtsinhaber in zumutbarem Umfang Nachforschungen vorzunehmen (was z.B. die Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden oder sogar die Beauftragung eines Privatdetektivs beinhalten kann).
In casu Voraussetzungen nicht erfüllt
Im ersten Fall (Urteil Az. I ZR 3/14) hatte die Rechtsinhaberin eine einstweilige Verfügung gegen die Website-Betreiberin vom „3dl.am“ erwirkt. Die Verfügung konnte aber nicht zugestellt werden, weil die angegebene Adresse des Website-Betreibers falsch war. Darüber hinaus wurde der Verfügungsantrag gegen den Host-Provider von der Klägerin zurückgezogen, weil seine Adresse ebenfalls unrichtig war. Gemäss BGH wären hier weitere Nachforschungen zumutbar gewesen.
Im anderen Verfahren (Urteil Az. I ZR 74/14) sind die Klägerinnen nicht gegen den Website-Betreiber von „goldesel.to“ vorgegangen, weil ihre Identität auf der Webseite nicht ohne weiteres entnommen werden konnte. Weitere zumutbare Massnahmen zur Ermittlung der Identität wurden auch hier nicht ergriffen. In Anbetracht der Rechtsprechung des BGH waren hier die Voraussetzungen für die Störerhaftung dementsprechend klar nicht erfüllt.
Weil die Rechtsinhaber die zumutbaren Nachforschungen also nicht vorgenommen haben, wurde die Revision vom BGH in beiden Verfahren zurückgewiesen.
Fazit und Anmerkungen
Zusammengefasst eröffnen die Urteile prinzipiell den Weg zur Sperrung von Webseiten durch den Access-Provider. Dies könnte gravierende Konsequenzen für deutsche Unternehmen zur Folge haben, die sich in der Branche bewegen. Und dennoch: So folgenreich die Urteile sein könnten – gänzlich überraschend sind sie nicht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte die Sperrung einer Website in seinem Urteil vom 27.03.2014 (C-314/12) nämlich grundsätzlich bereits für zulässig erklärt (vgl. BR-News vom 10.04.2014). Nichtsdestotrotz sind die Hürden, wie oben geschildert, sehr hoch angesetzt, damit die Sperrung durch einen Access-Provider als zulässig erachtet wird.
Bedeutung für die Schweiz
In der Schweiz gibt es (zurzeit) noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung bezüglich der Frage der Haftung von Access-Providern. Zu beachten ist aber, dass das schweizerische Urheberrecht (URG) viele Parallelen zu den urheberrechtlichen Regeln der europäischen Union aufweist und es sich deshalb auch aus schweizerischer Sicht lohnt, die Rechtsprechung des EuGH sowie des BGH aufmerksam zu verfolgen.
Weitere Informationen:
- BGH vom 26. November I ZR 3/14
- BGH vom 26. November I ZR 174/14
- LG Hamburg – Urteil vom 12. März 2010 – 308 O 640/08
- OLG Hamburg – Urteil vom 21. November 2013 – 5 U 6810
- LG Köln – Urteil vom 31. 08 2011 – 28 O 362/10
- OLG Köln – Urteil vom 18. Juli 2014 – 6 U 192/11
- Richtlinie 2001/29/EG
- BR-News vom 10.04.2014: EuGH zu „Netzsperren“: Access-Provider können zur Sperrung des Zugangs zu Websites mit urheberrechtsverletzendem Inhalt verpflichtet werden
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann