Bundesrat will kein Spezialgesetz für soziale Netzwerke, sieht aber möglichen Regelungsbedarf bei Providerhaftung


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Gemäss einem Bericht des Bundesrats genügen die allgemeinen Regelungen des Schweizer Rechts, um dem Grossteil der neuen Herausforderungen im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken begegnen zu können. Grössere Regelungslücken seien keine vorhanden und ein eigenes Spezialgesetz für Social Media sei deshalb nicht erforderlich. Wie bereits in früheren Entscheidungen spricht sich der Bundesrat insofern gegen spezifische, auf den Online-Kontext zugeschnittene Regelungen aus. Allerdings erachtet er die Rechtslage zur zivilrechtlichen Haftung der Plattformbetreiber und Internetprovider als „weniger klar“. Er hat deshalb das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zu vertieften Abklärungen über den allfälligen gesetzgeberischen Handlungsbedarf beauftragt. Im Übrigen verweist der Bundesrat auch auf die entsprechenden Untersuchungen, die derzeit namentlich im Bereich des Datenschutzrechts durchgeführt werden.

Hintergrund: Ablehnung spezifischer Regelungen für Online-Kontext

Anders als beispielsweise in der EU bestehen in der Schweiz nur wenige gesetzliche Vorschriften, welche spezifisch auf Online-Sachverhalte zugeschnitten sind. Entsprechende Vorstösse hat der Bundesrat verschiedentlich abgelehnt. Beispielsweise sah er im Jahre 2005 keinen Bedarf für eine Anpassung des Schweizerischen Vertragsrechts und des Datenschutzrechts an die Entwicklungen im elektronischen Geschäftsverkehr (vgl. dazu auch BR-News vom 2.9.2011). Im Jahre 2008 gelangte er ferner zum Schluss, dass die geltende Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Internetprovidern genügt, um die Kriminalität im Internet wirksam bekämpfen zu können. In der Folge hat der Bundesrat wiederholt festgehalten, eine Spezialregelung der Verantwortlichkeit von Access- und Hostprovidern sei weder im Straf- noch im Zivilrecht angezeigt (vgl. bspw. die Stellungnahme von 5.3.2010 zur Motion 09.4222).

Kein Bedarf für Social-Media-Spezialgesetz

Vor diesem Hintergrund gelten für Online-Sachverhalte wie im Zusammenhang mit Social Media meist die gleichen Regeln wie im Offline-Kontext. In einem Vorstoss aus dem Nationalrat wurde der Bundesrat deshalb insbesondere aufgefordert, bestehende Lücken im geltenden Recht in Bezug auf Social Media aufzuzeigen und zu prüfen, ob ein besonderes Social-Media-Gesetz geschaffen werden müsste.

In Beantwortung dieses Vorstosses hat der Bundesrat am 9. September 2013 den ausführlichen Bericht „Rechtliche Basis für Social Media“ veröffentlicht. Er gelangt darin zum Schluss, dass aufgrund der bisherigen Erfahrungen keine grösseren Regelungslücken im schweizerischen Recht vorhanden sind. Dem Bericht zufolge geben die allgemeinen Regelungen in bestehenden Gesetzen wie dem Datenschutzgesetz, dem Zivilgesetzbuch oder dem Strafgesetzbuch „bei umsichtiger Anwendung“ eine angemessene Antwort auf die meisten Probleme, welche die Plattformen für Betroffene und die Allgemeinheit schaffen oder schaffen könnten. Analysiert wurden im Bericht beispielsweise Phänomene wie das sog. Cybermobbing, das Cyberstalking, den Identitätsdiebstahl oder die Massenmobilisierung in sozialen Netzwerken. Zusammenfassend sieht der Bundesrat deshalb im Unterschied zu anderen Bereichen wie etwa dem Radio und Fernsehen gegenwärtig keinen Bedarf für die Schaffung eines eigenen Spezialgesetzes. Viele der Probleme im Zusammenhang mit Social Media seien auch in anderen Bereichen anzutreffen und deshalb im Sinne der Kohärenz der Rechtsordnung durch allgemeine Vorschriften zu regeln.

Im Bericht wird allerdings festgehalten, dass die Durchsetzung bestehender Rechtsansprüche im Konfliktfall oftmals schwierig sein dürfte. Begründet wird dies unter anderem mit der internationalen Ausrichtung der Plattformen, der oft anonymen Kommunikation und der teilweise schwierig zuzuordnenden Verantwortlichkeit verschiedener Beteiligter (Nutzer, Plattformbetreiber, Provider usw.). Insbesondere die grenzüberschreitende Ausgangslage bringe es aber mit sich, dass der Schweizer Gesetzgeber und die Schweizer Behörden meist nur beschränkte Einflussmöglichkeiten haben.

Ferner wird im Bericht eingeräumt, es sei denkbar – wenn auch aufgrund der spärlichen Gerichtspraxis nicht gewiss –, dass die geltenden Rechtsvorschriften und ihre (gerichtliche) Anwendung im einzelnen Streitfall keine befriedigenden Antworten auf die durch soziale Medien aufgeworfenen Fragen geben. Es wird deshalb nicht ausgeschlossen, dass punktueller Regelungsbedarf besteht und eine Anpassung bestehender Gesetze in einzelnen Bereichen eine Verbesserung bringen kann. Es wird aber auch vor unbeabsichtigten Folgen von gesetzgeberischem Aktivismus und Überregulierung gewarnt, die in diesem durch raschen Wandel gekennzeichneten Umfeld auftreten können.

Regelungsbedarf bei zivilrechtlicher Haftung von Internet-Providern und Plattformbetreibern

Einer der Bereiche, in dem Regelungsbedarf bestehen könnte, ist dem Bundesrat zufolge die zivilrechtliche Haftung von Internetprovidern und Plattformbetreibern. Was die zivilrechtliche Providerhaftung angelangt, ist der Bundesrat somit – anders als bei der strafrechtlichen Verantwortlichkeit – von seinem früheren Standpunkt abgewichen.

Im Bericht wird diesbezüglich auch auf den ersten Bundesgerichtsentscheid zur zivilrechtlichen Providerhaftung Bezug genommen, welcher darauf hindeute, dass die Justiz die geltenden Regeln als unzureichend empfinde. Es wird auch auf Stellungnahmen in der Rechtswissenschaft hingewiesen, welche nahe legen, den gesetzgeberischen Handlungsbedarf vertieft zu prüfen. Dabei soll auch der Regelungsbedarf hinsichtlich der Haftung der Betreiber von Social Media Plattformen, die man nicht in die gängigen Providerkategorien einordnen könne, geklärt werden.

Der Bundesrat erachtet die allgemeinen Regeln in diesem Bereich als weniger klar. Dabei weist der Bericht darauf hin, dass eine unklare Regelung der Haftung von Providern und von Plattformbetreibern für die von ihren Kunden verbreiteten Inhalte dazu führen könne, dass die Unternehmen im Zweifelsfalle auch rechtlich unproblematische Beiträge löschen, um befürchteten rechtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen. Folglich könne die unklare Rechtslage eine unerwünschte Zensur von Inhalten im Internet bewirken.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat das EJPD mit der Abklärung beauftragt, ob in Bezug auf die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Internet-Dienstleistern gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe. Sollte dies der Fall sein, werde das EJPD bis Ende 2015 eine Vernehmlassungsvorlage ausarbeiten.

Prüfung weiteren Regelungsbedarfs im Datenschutz- und im Fernmelderecht

Neben der Providerhaftung werden im Bericht auch verschiedene datenschutzrechtliche Probleme im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken identifiziert. Diese betreffen namentlich die mangelnde Kontrolle der Nutzer über ihre Daten, das „Recht auf Vergessenwerden“ sowie die Bearbeitung von Persönlichkeitsprofilen. Auch hier handelt es sich nach Ansicht des Bundesrats jedoch um Aspekte, die nicht nur in sozialen Netzwerken von Bedeutung sind. Deshalb werden diese Fragen im Rahmen der laufenden Revisionsarbeiten zum DSG vertieft geprüft. Die Expertengruppe unter Federführung des EJPD habe den Auftrag, bis Ende 2014 Vorschläge zum weiteren Vorgehen zu unterbreiten.

Darüber hinaus will der Bundesrat auch prüfen, welche Regeln des Fernmelderechts künftig für Social-Media-Plattformen gelten sollen. Die Plattformbetreiber seien den Vorschriften des Fernmeldegesetzes (z.B. Meldepflicht, transparente Preisgestaltung, Bekämpfung von Spam) bisher nur ausnahmsweise unterworfen. Diese Aspekte sollen im Rahmen der Vernehmlassungsvorlage zur Revision des FMG geklärt werden, welche der Bundesrat gemäss aktueller Planung in der laufenden Legislaturperiode in Auftrag geben werde. Dabei soll auch untersucht werden, ob Betreiber von sozialen Netzwerken dazu verpflichtet werden müssten, ihren Nutzern die Mitnahme von Daten zu einem anderen Netzwerk zu ermöglichen („Recht auf Datenmitnahme“).

Schliesslich wird im Rahmen des Projekts „Jugend und Medien“ gegenwärtig bis 2015 analysiert, ob neue rechtliche Grundlagen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen nötig sind. Auch über Massnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet (z.B. durch den Austausch nicht lizenzierter Musik-, Film- und Textdateien mittels Filesharing und Streaming) wird derzeit im Rahmen der vom EJPD eingesetzten Arbeitsgruppe AGUR12 diskutiert.

Sobald die Ergebnisse der einzelnen Abklärungen vorliegen, ist es nach Ansicht des Bundesrats angezeigt, im Sinne einer Zwischenbilanz bis Ende 2016 eine erneute Standortbestimmung zur rechtlichen Basis von Social Media vorzunehmen.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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