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Das schweizerische Zollgebiet ist nicht deckungsgleich mit dem schweizerischen Staatsgebiet. Es bestehen diverse Zollanschluss- und Zollausschlussgebiete. Das wohl bekannteste davon ist das Fürstentum Liechtenstein, das seit dem Jahr 1924 zum schweizerischen Zollgebiet gehört. Der seither geltende Zollvertrag hat zur Folge, dass sowohl die Zollgesetzgebung als auch zahlreiche weitere Bundesgesetze und -verordnungen auch im Gebiet des Fürstentums anwendbar sind. Seit dem EWR-Beitritt Liechtensteins ist neben dem schweizerischen Recht das EWR-Recht parallel anwendbar, was auf den ersten Blick immer wieder für Unsicherheiten sorgt. Der nachfolgende Beitrag fasst deshalb die Hintergründe sowie die wichtigsten Auswirkungen des Zollvertrags kurz zusammen.
Staatsgebiet ≠ Zollgebiet
In der Schweiz unterscheidet sich das Zollgebiet vom Staatsgebiet. Dies hat zur Folge, dass die schweizerische Zollgesetzgebung auch in gewissen ausländischen Staatsgebieten anwendbar ist. Das Zollgebiet umfasst zwar grundsätzlich das schweizerische Staatsgebiet, sieht dabei aber zwei Ausnahmen vor: Die so genannten Zollanschluss- und Zollausschlussgebiete. Zollanschlussgebiete sind ausländische Staatsgebiete, die zum schweizerischen Zollgebiet gehören, während Zollausschlussgebiete zwar zum schweizerischen Staatsgebiet, nicht aber zum Zollgebiet zählen (Art. 3 Abs. 1 ZG).
Die Zollanschluss- und Zollausschlussgebiete
Neben dem Fürstentum Liechtenstein gehören auch die deutsche Enklave Büsingen im Kanton Schaffhausen sowie die italienische Enklave Campione d’Italia im Tessin zum Schweizer Zollgebiet. Historisch bedingt von diesem ausgeschlossen sind hingegen die Bündner Talschaften Samnaun und Sampuoir, die im Jahre 1892 aufgrund ihrer geografischen Lage und wirtschaftlichen Abhängigkeit von Österreich vom Zollgebiet ausgenommen wurden. Obwohl für die Ausnahme aus heutiger Sicht eigentlich keine Rechtfertigung mehr besteht, hat der Bundesrat auch im neuen Zollrecht an diesem Zollausschluss festgehalten (Art. 3 Abs. 3 ZG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 ZV).
Obwohl das Fürstentum Liechtenstein lediglich ungefähr die Grösse des Kantons Appenzell Innerrhoden und die Bevölkerungszahl des Kantons Uri hat, ist es das grösste Zollanschlussgebiet innerhalb der schweizerischen Zollgrenze. Aus diesem Grund und weil in der Praxis seitens der Zollpflichtigen oft Unklarheiten bestehen, soll nachfolgend kurz dargestellt werden, welchen Hintergrund und welche Auswirkungen der Zollvertrag zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein hat und welche Besonderheiten zu beachten sind.
Geschichtlicher Hintergrund
Das Zollgesetz bezeichnet das Gebiet des Fürstentums nicht explizit als Zollanschlussgebiet. Allerdings wird das Fürstentum als ausländisches Gebiet, das mittels Staatsvertrag an das schweizerische Zollgebiet angeschlossen wurde, von Art. 3 Abs. 2 ZG erfasst. Im Jahr 1924 trat der angesprochene Zollvertrag in Kraft. Seither gehört der zwischen den Kantonen St. Gallen und Graubünden und Österreich gelegene Kleinstaat zum schweizerischen Zollgebiet (Art. 1 Zollvertrag).
Vor dem Anschluss an das schweizerische Zollgebiet bildete Liechtenstein mit Österreich eine Zoll- und Währungsunion. Der österreichisch-liechtensteinische Zollvertrag wurde aber aufgrund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Jahre 1919 gekündigt. Seit Inkrafttreten des Zollvertrags mit der Schweiz hat Liechtenstein Zugang zum schweizerischen Wirtschaftsraum sowie allen der Schweiz offenstehenden Märkten.
Anwendbarkeit der schweizerischen Zollgesetzgebung und weiterer Bundeserlasse
Grundsätzlich bedeutet der Status als Zollanschlussgebiet, dass im Fürstentum Liechtenstein die schweizerische Zollgesetzgebung anwendbar ist (Art. 4 Zollvertrag). Darüber hinaus ist die gesamte übrige Bundesgesetzgebung anwendbar, sofern der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt. Die betroffenen Erlasse und Staatsverträge sind in den laufend aktualisierten Anhängen I und II aufgeführt. Darunter finden sich Erlasse aus zahlreichen Rechtsgebieten, namentlich aus dem Steuerrecht, Sicherheitsrecht oder Lebensmittelrecht.
Nicht dazu gehört das Mehrwertsteuergesetz (MWSTG). Über die Mehrwertsteuer haben die beiden Staaten aber ebenfalls einen Vertrag abgeschlossen, nach welchem sich Liechtenstein verpflichtet hat, die materiellen schweizerischen Vorschriften über die Mehrwertsteuer in das liechtensteinische Recht zu übernehmen sowie deren parallelen Vollzug auf Verwaltungsebene sicherzustellen. Die Rechtsgrundlagen sind deshalb identisch (vgl. Vereinbarung vom 12. Juli 2012). Dies ergibt sich auch aus dem Geltungsbereich des Gesetzes: Das Inland im Sinne des MWSTG umfasst das schweizerische Staatsgebiet und die Zollanschlussgebiete, wozu wie erwähnt auch das Fürstentum Liechtenstein gehört (Art. 3 Bst. a MWSTG). Die Einfuhrsteuer wird deshalb auch bei Einfuhren nach Liechtenstein immer von der Eidgenössischen Zollverwaltung nach den schweizerischen Vorschriften erhoben (vgl. Art. 5 der Vereinbarung).
1995: EWR-Beitritt Liechtensteins
Bis zum Jahr 1991 enthielt der Zollvertrag ein Verbot zu unilateralen Vertragsabschlüssen mit dem Ausland. Liechtenstein war es deshalb nicht erlaubt, selbst Vertragspartei internationaler Abkommen oder Mitglied internationaler Organisationen zu werden. Dies änderte sich mit dem Inkrafttreten von Art. 8bis Zollvertrag. Kurz nach dessen Inkraftsetzung wurde Liechtenstein selbstständiges und vollwertiges Mitglied der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Am 1. Mai 1995 ist Liechtenstein dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beigetreten. Bekanntlich lehnte das Schweizer Stimmvolk hingegen im Dezember 1992 den Beitritt ab.
Seither ist auf dem Staatsgebiet des Fürstentums parallel schweizerisches Zollrecht oder EWR-Recht anwendbar. Dieser Grundsatz wird in Art. 3 der Vereinbarung zum Zollvertrag festgehalten. Sofern das EWR-Recht vom schweizerischen Recht abweicht, gilt gegenüber den EWR-Staaten das EWR-Recht. Der Warenverkehr ausserhalb des EWR unterliegt hingegen nach wie vor ausschliesslich den Vorschriften des Zollvertrags und damit der Zuständigkeit der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV).
Besonderes Verfahren für Waren nach EWR-Recht
Dies hat namentlich zur Folge, dass Waren sowohl nach den schweizerischen als auch nach den EWR-Bestimmungen eingeführt, hergestellt und vertrieben werden und folglich frei zirkulieren dürfen. Diese Tatsache hatte zur Folge, dass Liechtenstein ein selbstständiges Amt für Zollwesen errichtete (heute: Amt für Volkswirtschaft).
Zudem wurde in der nach dem EWR-Beitritt geschlossenen Vereinbarung zum Zollvertrag ein Marktüberwachungs- und Kontrollsystem eingeführt. Dieses soll insbesondere sicherstellen, dass Waren, die EWR-konform sind, aber gegen das schweizerische Recht verstossen, nicht über die offene Grenze in das übrige schweizerische Zollgebiet gelangen (Art. 4 Vereinbarung zum Zollvertrag).
Konkret bedeutet dies, dass Waren, die aus dem Ausland direkt ins Fürstentum gelangen, durch die eidgenössische Zollverwaltung nach Zollvertragsrecht (Schweizer Zollrecht) abgefertigt und dem Amt für Volkswirtschaft gemeldet werden. Stellt dieses fest, dass die Ware nach EWR-Recht von einer günstigeren Behandlung profitieren könnte, nimmt sie entsprechende Handlungen vor, so zum Beispiel Rückerstattungen von Zollabgaben. Vom Marktüberwachungs- und Kontrollsystem erfasst und besonders sensibel sind beispielsweise Waren mit tarifärer EWR-Präferenz, Arzneimittel oder umweltgefährdende Waren. Bei den Zollämtern Buchs und Schaanwald ist auf Antrag eine direkte Abfertigung der Ware nach EWR-Recht möglich.
Spezielle Regelungen für Ursprungsnachweise
Eine spezielle Zuständigkeitssituation ergibt sich aus der EWR-Mitgliedschaft Liechtensteins für Ursprungsnachweise, die in Liechtenstein ausgestellt werden. Hier ist je nach Sachverhalt entweder die EZV oder das liechtensteinische Amt für Volkswirtschaft zuständig. Dies hat auch materielle Auswirkungen bei der Frage, welches Ursprungsland (EWR oder Schweiz) in den Ursprungsnachweises aufgeführt werden muss.
Die liechtensteinische Behörde ist immer dann zuständig, wenn es sich um Ursprungswaren handelt, die im EWR vollständig hergestellt oder ausreichend be- oder verarbeitet wurden. Sind Bereiche betroffen, die das EWR-Abkommen nicht abdeckt, ist hingegen die EZV zuständig und es sind die schweizerischen Warenverkehrsbescheinigungen zu verwenden. Dies gilt insbesondere für Landwirtschaftsprodukte, die vom Freihandelsabkommen Schweiz-EWG oder dem EFTA-Abkommen erfasst sind, und den Warenverkehr mit Freihandelspartnern ausserhalb des EWR. Für diese Bereiche gelten weiterhin die schweizerischen Vorschriften. Darüber hinaus sind weitere Spezialvorschriften zu beachten, die das Amt für Volkswirtschaft in einem Merkblatt erläutert, um betroffenen Exporteuren die Ausstellung von Ursprungsnachweisen zu vereinfachen.
Sollten Sie Fragen zum Warenverkehr mit Liechtenstein und den Zollvorschriften haben, beraten wir Sie gerne.
Weitere Informationen:
- Vertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet (SR 0.632.112.514)
- Vereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein zum Vertrag über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet (SR 0.632.112.514.6)
- Liste der im Fürstentum Liechtenstein anwendbaren Bundeserlasse
- Vereinbarung zwischen der Schweiz und Liechtenstein zum Vertrag betreffend die Mehrwertsteuer (SR 0.641.295.142.1)
- Vertrag zwischen der Schweiz und Liechtenstein betreffend die Mehrwertsteuer (SR 0.641.295.142)
- Homepage des liechtensteinischen Amts für Volkswirtschaft
- Merkblatt über Ursprungsnachweise
- Homepage der Gesellschaft Schweiz-Liechtenstein
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann