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Der EU-Rat hat Mitte Januar einen Entwurf einer neuen Verordnung veröffentlicht, welcher Ende Januar auch vom EU-Parlament abgesegnet wurde. Mit der neuen Verordnung soll eine bessere Durchsetzung der Immaterialgüterrechte durch die europäischen Zollbehörden erreicht werden. Neben der geplanten Änderung auf EU-Ebene werden in diesem Beitrag zudem die Grundzüge der Hilfeleistung der Zollverwaltung im Schweizer Immaterialgüterrecht kurz aufgezeigt. Die massgebenden Vorschriften ermächtigen die Eidgenössiche Zollverwaltung insbesondere, Waren zurückzubehalten, zu vernichten oder den Markeninhabern Muster und Proben der zurückbehaltenen Waren zuzustellen.
Revisionspläne in der EU
Vor kurzem hat der Rat der Europäischen Union einen Entwurf für eine Verordnung zur Durchsetzung der Immaterialgüterrechte durch die Zollbehörden veröffentlicht. Der Verordnungsentwurf soll die Verordnung Nr. 1383/2003 ersetzen, die heute das Vorgehen der Zollbehörden gegen verdächtige Sendungen regelt. Die Überarbeitung der genannten Verordnung ist Teil des europäischen Gesamtplans zur Bekämpfung von Nachahmungen und Piraterie und soll eine bessere Durchsetzung der Immaterialgüterrechte garantieren.
Der Entwurf sieht insbesondere einen erweiterten sachlichen Geltungsbereich vor, sodass künftig auch Gegenstände, die zum Umgehen von Kopierschutzmechanismen dienen, zurückbehalten werden können. Darüber hinaus sollen neu unter anderem auch Topographien (Halbleitererzeugnisse) und Gebrauchsmuster von der Verordnung erfasst sein. Weiter soll eine zentrale Datenbank mit Informationen über Pirateriewaren erstellt sowie der Informationsaustausch mit Drittstaaten verbessert werden. Mittlerweile hat auch der Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments dem Entwurf zugestimmt. Die Verordnung wird voraussichtlich am 1. Januar 2014 in Kraft treten.
Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU und bildet mit dieser auch keine Zollunion, weshalb die Verordnung in der Schweiz nicht anwendbar sein wird. Die Revisionsbestrebungen in der EU bieten jedoch Anlass, die aktuelle schweizerische Gesetzgebung über die Hilfeleistung der Zollverwaltung im Immaterialgüterrecht kurz darzustellen.
Die Hilfeleistung der Zollverwaltung im schweizerischen Immaterialgüterrecht: Die Hintergründe
Da die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Pirateriewaren wichtige Vorbereitungshandlungen zur Verletzung von Immaterialgüterrechten darstellen, sollen sie im Rahmen der Hilfeleistung der Zollverwaltung möglichst unterbunden werden. Dass Produktpiraterie ein globales Problem mit stark zunehmender Bedeutung ist, zeigt sich insbesondere darin, dass die Schweizer Zollbehörden im Jahr 2011 rund 59‘000 gefälschte Waren an der Grenze sichergestellt haben. In den Jahren 2007 bis 2011 hat die Zahl der immaterialgüterrechtlich motivierten Interventionen der Zollverwaltung im Handelswarenverkehr gar um mehr als das Siebenfache zugenommen.
Das schweizerische Immaterialgüterrecht sieht in sämtlichen Gesetzen eine Zollhilfeleistung vor (vgl. Art. 46–49 DesG, Art. 70–72h MSchG, Art. 86a–86k PatG, Art. 12 ToG und Art. 75–77h URG). Diese Vorschriften gehen auf das TRIPS-Abkommen zurück, das die WTO-Mitgliedstaaten verpflichtet bzw. ermächtigt, eine Hilfeleistung in ihren nationalen Gesetzen vorzusehen. Seit dem 1. Juli 2008 ist die Hilfeleistung der Zollverwaltung in allen Immaterialgüterrechtsgesetzen einheitlich geregelt. Die einzelnen Massnahmen werden nachfolgend kurz dargestellt.
Antrag auf Hilfeleistung und Zurückbehalten der Ware
Einen Antrag auf Hilfeleistung können der Rechtsinhaber, allfällige Lizenznehmer oder die Verwertungsgesellschaften stellen. Hat ein Antragsberechtigter den begründeten Verdacht, dass die Ein-, Aus- oder Durchfuhr schutzrechtsverletzender Ware bevorsteht, kann er bei der Zollverwaltung einen Antrag auf Hilfeleistung deponieren. Dieser muss insbesondere Angaben darüber enthalten, welche Anhaltspunkte bestehen, welche Schutzrechte verletzt werden könnten und welche Verkehrsrichtung (Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr) betroffen ist. Darüber hinaus müssen die Originalwaren möglichst genau beschrieben werden. Dies soll der Zollverwaltung ermöglichen, sie von allfälligen Fälschungen unterscheiden zu können.
Auch ohne einen Antrag sind die Zollbehörden ermächtigt, die Schutzrechtsinhaber über entsprechende Ein-, Aus- oder Durchfuhren zu benachrichtigen, wenn sie an der Grenze verdächtige Waren feststellen. In solchen Fällen kann die Zollverwaltung die Waren von Amtes wegen während maximal drei Arbeitstagen zurückbehalten. Innert dieser Frist hat der Schutzrechtsinhaber die Möglichkeit, nachträglich einen Antrag auf Hilfeleistung zu stellen. Stellt der Schutzrechtsinhaber einen solchen Antrag oder liegt ein solcher bereits vor, ist die Zollverwaltung ermächtigt, die Waren während zehn, in begründeten Fällen sogar während zwanzig Arbeitstagen zurückzubehalten. Diese Frist soll dem Antragsteller dazu dienen, gerichtlich vorsorgliche Massnahmen zu erwirken.
Mitteilung an die Beteiligten und Untersuchung der zurückbehaltenen Ware
Die Zollverwaltung teilt sowohl dem Antragsteller als auch der Gegenpartei (Anmelder, Eigentümer oder Besitzer) mit, dass sie Waren zurückbehält und dass die Möglichkeit besteht, die Ware zu besichtigen sowie Proben oder Muster zu entnehmen. In diesem Bereich ist sie vom Amtsgeheimnis entbunden. Die Kosten für eine Besichtigung oder das Zusenden von Proben oder Mustern trägt der Antragsteller. Sofern dies noch möglich ist, müssen die entnommenen Proben und Muster nach erfolgter Prüfung zurückgegeben werden. Zur Wahrung seiner Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse kann der Anmelder, Eigentümer oder Besitzer verlangen, dass er bei der Besichtigung anwesend ist oder dass die Übergabe von Proben und Mustern verweigert wird.
Vernichtung der Ware und spezielle Haftungsregeln für zu Unrecht zurückbehaltene oder vernichtete Waren
Gleichzeitig mit dem Antrag auf Hilfeleistung kann der Schutzrechtsinhaber den Antrag stellen, die Ware vernichten zu lassen. Für eine Vernichtung ist aber jeweils die Zustimmung der Gegenpartei erforderlich. Lehnt jene die Vernichtung nicht ausdrücklich ab, gilt die Zustimmung als erteilt.
Die Zurückbehaltung oder gar die Vernichtung der Ware stellen aus Sicht der betroffenen Personen massive Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit dar. Die Immaterialgüterrechtsgesetze sehen aus diesem Grund Korrektive für mögliche Fehlzugriffe der Zollverwaltung vor. Der Antragsteller haftet sowohl für die Gebühren der Zollverwaltung als auch für die Schäden, die durch das ungerechtfertigte Zurückbehalten von Waren entstehen. Ungerechtfertigt ist das Zurückbehalten immer dann, wenn keine vorsorglichen Massnahmen angeordnet werden oder sich diese als unbegründet erweisen. Der Antragsteller hat dafür vorgängig eine Haftungserklärung zu unterzeichnen. Bei seiner Haftung handelt es sich um eine Kausalhaftung. Der Antragsteller kann folglich unabhängig von einem möglichen Verschulden haftbar und schadenersatzpflichtig werden.
Werden die Waren vernichtet, ohne dass die Gegenseite schriftlich zugestimmt hat, hat der Antragsteller darüber hinaus auch für den Schaden einzustehen, der durch die Vernichtung der Ware entstanden ist. Hat die Gegenpartei der Vernichtung aber zugestimmt, wird der Antragsteller auch dann nicht haftbar, wenn sich diese im Nachhinein als unbegründet erweist.
Update zum EU-Recht
Die definitive Version der Verordnung (EU) 608/2013 wurde am 29. Juni 2013 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und wird am 1. Januar 2014 in Kraft treten.
Weitere Informationen:
- Verordnung (EU) 608/2013 zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden
- Pressemitteilung des EU-Parlaments vom 24. Januar 2013
- Verordnung Nr. 1383/2003
- Informationen der EZV zur Produktpiraterie
- Merkblatt zur Hilfeleistung der Zollverwaltung
- BR-News: „EuGH: Wann dürfen die Zollbehörden immaterialgüterrechtlich geschützte Nachahmungen zurückbehalten?“
- Hilfeleistung im Designrecht: Art. 46 ff. DesG und Art. 37 ff. DesV
- Hilfeleistung im Markenrecht: Art. 70 ff. MSchG und Art 54 ff. MSchV
- Hilfeleistung im Patentrecht: Art. 86a ff. PatG und Art. 112 ff. PatV
- Hilfeleistung im Urheberrecht: Art. 75 ff. URG, Art. 18 ff. URV und Art. 12 ToG
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann