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Die jüngsten Massnahmen des Gesamtbundesrates und des Departementes des Innern (in Kraft per 1. Mai 2012) im Arzneimittelsektor bedeuten für die Pharmaunternehmen in der Schweiz weitere Verluste. Angesichts der globalen Umsatzsteigerungen und Gewinnzuwachsraten im Life Science Sektor scheint dies auf den ersten Blick kaum von Bedeutung. Im Lichte der volkswirtschaftlichen Bedeutung des hiesigen Pharma-, Biotech- und Medtechstandortes sind die neuerlichen Bemühungen zur Entlastung der Krankenkassen-Grundversicherung aber kritisch zu bewerten.
Zwar soll in Zukunft bei der Aufnahme eines Arzneimittels (inkl. Indikationserweiterung) in die Spezialitätenliste (SL)[1] der therapeutische Quervergleich neben dem Auslandpreisvergleich (neu basierend auf einem 12-Monatekursdurchschnitt) nach wie vor eine Rolle spielen. In den dreijährlichen Wirtschaftlichkeitsüberprüfungen, die nach der Aufnahme folgen, soll der therapeutische Quervergleich aber grundsätzlich wegfallen (siehe neu Art. 65d Abs. 1bis KVV). Abgemildert werden dort – aber nur dort – die Wechselkursmittel durch eine Toleranzmarge von neu 5% statt wie bisher 3%.
Damit überlässt die Schweiz ihre Arzneimittelpreise noch stärker als heute der Preisgestaltung im Ausland. Dieses zunehmend blosse „Implantieren“ von Entscheidungen aus anderen Rechtsordnungen schwächt die Autonomie der Schweiz und zwar in einem Bereich jenseits der gängigen Diskussionen um den (autonomen) Nachvollzug von europäischen Bestimmungen, zumal hier nicht EU-Bestimmungen übernommen werden, sondern Entscheidungen einzelner Staaten.
Die zukünftige Praxis des Bundesamtes für Gesundheit BAG wird zeigen, ob immerhin noch die Preisfestsetzung bei der Aufnahme eines Präparats in die Spezialitätenliste mit umfassendem Ermessen vorgenommen werden wird, oder ob man sich selbst zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich darauf konzentriert, ausländische Preise „nachzuvollziehen“.
Die Schweiz wäre dann betreffend Marktpreise eines ihrer wichtigsten Exportprodukte nicht nur während deren Life Cycle sondern bereits bei der Markteinführung faktisch ohne rechtliche bzw. ökonomische Stimme.
Können Arzneimittelpreise nicht einmal in der Schweiz sachgerecht und autonom festgelegt werden, läuft die Life Science Industrie Gefahr, für ihre zunehmenden Forschungsaufwendungen national wie international weniger zustimmende Wertschätzung und finanzielle Honorierung zu geniessen.
Die konkreten Auswirkungen der neuen Regelungen auf die einzelnen pharmazeutischen Firmen sind hinsichtlich deren Handlungsspielraums gering. Anlässlich der dreijährlichen Preisüberprüfungen wird in den meisten Einzelfällen ein höherer Preis als in den Referenzländern keine sachliche Grundlage finden. Es gibt aber Fälle, bei denen ein höherer Schweizer Preis ein Forschungssignal, eine Marktgerechtigkeit oder einen Therapieanreiz hätte (mit-)bewirken können oder gar müssen. Im Einzelfall wird daher mitunter zu prüfen sein, ob die wörtliche Auslegung und generelle Anwendung dieses neuen Art. 65d Abs. 1bis KVV nicht unverhältnismässig ist oder eine rechtsungleiche Behandlung zweier Konkurrenten bedeutet.
Wichtig ist die Frage, ob entsprechenden Beschwerden gegen die dreijährlichen SL-Überprüfungsverfügungen aufschiebende Wirkung zukommt. Das BAG wird nicht ohne weiteres und in jedem Fall – ungleich zu den ausserordentlichen Preisanpassungsrunden der vergangenen Jahre – auf den Entzug der aufschiebenden Wirkung zählen können. Ältere Bundesgerichtsentscheide, die das Gegenteil suggerieren, umfassen die neu vorliegende Problematik nicht abschliessend.
[1] Die Spezialitätenliste des BAG definiert als Sammlung von Einzelverfügungen, welche Arzneimittel durch die Grundversicherung unter welchen Bedingungen zu welchem Preis den Grundversicherten in der Schweiz – also allen Einwohnern – rückvergütet werden müssen.