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Die Europäische Kommission präsentierte kürzlich ihre neue Strategie für den digitalen Binnenmarkt. Der Plan zur Förderung der Dynamik des EU-Binnenmarktes baut auf einem dreisäuligen Massnahmenpaket auf. Ein Hauptanliegen der Kommission ist es, den Zugang für Verbraucher und Unternehmen zu digitalen Waren und Dienstleistungen in ganz Europa zu verbessern. Ziel des 16 Punkte umfassenden Papiers ist es, den EU-Binnenmarkt ins Zeitalter der Digitalisierung der Gesellschaften und Volkswirtschaften zu transformieren und regulierungsbedingte Barrieren zu beseitigen. Dass eine Modernisierung angezeigt ist, zeigt sich zum Beispiel am noch geringen Ausmass der grenzüberschreitenden Online-Einkäufe – laut der Kommission werden innerhalb der EU lediglich 15% der online gekauften Güter und Dienstleistungen in einem anderen EU-Land erworben.
Ausgangslage
In ihrer Pressemitteilung vom 06. Mai 2015 gibt sich die EU Kommission zuversichtlich. Europa müsse sich die digitale Revolution zu eigen machen, lassen die Kommissionsmitglieder verlauten. Geht es um die Rahmenbedingungen mit welchen sich die boomende europäische E-Commerce Branche konfrontiert sieht, besteht bestimmt Handlungsbedarf. Nationale Gesetze bringen unterschiedliche Regulierungen und gesetzliche Eigenheiten mit sich, die den grenzüberschreitenden Online-Handel mit Waren und Dienstleistungen beschränken. Zudem sorgt das unübersichtliche rechtliche Umfeld innerhalb von Europa für tückische Hemmschwellen, die sich gerade auf Internetunternehmen und Start-ups, die in der Wachstumsphase stecken, negativ auswirken. Will man Wachstum, soll der Handel nämlich möglichst grenzenlos stattfinden können. Will man Wachstum, soll man sich möglichst rasch von den Eigenheiten nationaler Gesetze verabschieden und stattdessen eine grösstmögliche europäische Harmonisierung anstreben. Oder in den Worten von Kommissionspräsident Juncker ausgedrückt: „Ich wünsche mir paneuropäische Telekommunikationsnetze, grenzüberschreitende digitale Dienste und eine Gründungswelle bei innovativen europäischen Start-Ups. Ich wünsche mir, dass alle Verbraucher die besten Angebote bekommen und alle Unternehmen im grösstmöglichen Markt tätig werden können – ganz gleich, wo sie sich in Europa befinden.“ Der Duktus des Kommissionspräsidenten erinnert an die Gründungszeit der Union, als leidenschaftliche Hinaufbeschwörungen des europäischen Gemeinschaftsgedanken noch im gesellschaftlichen und politischen Kontext geäussert wurden. Heute geht es aber um den Wirtschaftsraum, genauer, den digitalen Binnenmarkt.
Reality-Check
Das von der Kommission vorgelegte Strategiepapier setzt ehrgeizige Ziele. Im Zuge der Vereinheitlichung des Digitalmarktes und des Online-Marktplatzes Europa sollen beispielsweise die EU-Vorschriften über vertragliche Aspekte und den Verbraucherschutz bei Online-Käufen weitgehend harmonisiert werden. Dieses Bestreben ist an sich nicht neu. Mit Blick auf den Verbraucherschutz wurde bereits 2009 die neue Cookie-Richtlinie erlassen (Richtlinie 2009/136/EG). Bis heute wurden die europäischen Vorgaben nicht in allen Mitgliedstaaten umgesetzt. Und dort wo die Umsetzung schon erfolgt ist, weisen die nationalen Lösungen erhebliche Unterschiede auf (vgl. dazu: BR-News vom 10. August 2011). Dies ist nur ein Beispiel, das aber deutlich aufzeigt, dass Harmonisierungsmassnahmen keine vollständig vereinheitlichten Regeln auf der Ebene der Mitliedstaaten hervorzubringen vermögen.
Um die Euphorie des Kommissionspräsidenten noch mehr zu relativieren, können auch die langwierigen Bestrebungen um eine Modernisierung des europäischen Urheberrechts und dessen Anpassung ans Internetzeitalter herangezogen werden. Auch hier werden die Dimensionen paneuropäischer Rechtsangliechung klar (vgl. dazu BR-News vom 7. Juli 2014). Mehr als konzeptartige Formulierungen und vage Stossrichtungen liegen nach jahrelangen Verhandlungen bis heute nicht vor.
Die 3 Säulen
Nun denn, geht es um die Förderung des E-Commerce, zeigt man seitens der EU-Kommission die eingangs erläuterte Entschlossenheit. Kann diese in Taten umgesetzt werden, dürfen sich die Akteure auf den Online-Märkten schon bald über folgende zielführenden Massnahmen freuen:
- Besserer Zugang für Verbraucher und Unternehmen zu digitalen Waren und Dienstleistungen in ganz Europa (1. Säule)
- Schaffung der richtigen Bedingungen und gleicher Voraussetzungen für florierende digitale Netze und innovative Dienste (2. Säule)
- Bestmögliche Ausschöpfung des Wachstumspotenzials der digitalen Wirtschaft (3. Säule)
Diese sollen laut Pressemitteilung bis Ende des kommenden Jahres, also bis Dezember 2016, umgesetzt werden. Was in den nächsten eineinhalb Jahren im Detail auf der Agenda steht, eröffnet ein genauerer Blick in den 16 Punkte umfassenden Massnahmenkatalog.
Besserer Marktzugang und mehr Vertrauen in ganz Europa
Das Augenmerk wird vorliegend auf die erste, für die E-Commerce Säule bedeutendste Säule des politischen Strategiepapiers gerichtet. Um Verbrauchern und Unternehmen einen besseren Zugang zu digitalen Waren und Dienstleistungen unabhängig von ihrem Standort in Europa zu gewähren, schlägt die EU-Kommission vor, den grenzüberschreitenden E-Commerce zu erleichtern. Hierzu sollen vertragsrechtliche Aspekte und der Verbraucherschutz harmonisiert werden. Verbraucher sollen so zukünftig mehr Rechte und eine grössere Angebotsvielfalt erhalten während es den Unternehmen leichter fallen soll, ihre Geschäfte in anderen EU-Ländern abzuwickeln. Im Sinne der Rechtssicherheit und damit der Vertrauensbildung soll für eine rasche und kohärente Durchsetzung des Verbraucherrechtes gesorgt werden. Weiter erfordert der grenzüberschreitende Handel effiziente und zuverlässige Lieferkanäle. Die Kommission schlägt daher vor, Paketlieferdienste zu verbessern und erschwinglicher zu machen. Laut einer Umfrage bei Online-Händlern schätzen 62% der Unternehmen die Lieferkosten als zu hoch ein und beklagen die davon ausgehende hemmende Wirkung.
Fragen wirft Punkt 4 des Strategiepapiers auf. Nach diesem soll ungerechtfertigtes Geoblocking unterbunden werden. Genauer will die Kommission verhindern, dass Online-Händler aus kommerziellen Gründen und auf diskriminierende Weise Angebote je nach Aufenthalts- oder Standort des Nutzers nicht, oder zu anderen Preisen zu Verfügung stellen. Will die EU-Kommission E-Commerce-Händler dazu zwingen im gesamten Binnenmarkt zu gleichen Konditionen anzubieten? Hat sie dabei bedacht, dass Lieferwege und innerstaatliche Rahmenbedingungen auch in Zukunft erhebliche Unterschiede aufweisen werden und es einem Online-Händler nicht zu verübeln ist, dass er im Rahmen seiner Vertragsfreiheit gewisse Kunden von einem Vertragsschluss ausschliessen will? Sicherlich ist dem Anliegen, dass gleiche Leistungen in ganz Europa zum gleichen Preis angeboten werden, grundsätzlich nichts entgegenzuhalten. Schon heute sorgen Vergleichsmöglichkeiten im E-Commerce für viel Transparenz, was es den Kunden ermöglicht, das für sie attraktivste Angebot zu wählen.
Weiter wird in der Strategie für den digitalen Binnenmarkt auch das Ziel eines modernen, europäischen Urheberrechts aufgeführt und es werden Rechtsetzungsvorschläge noch vor Ende 2015 in Aussicht gestellt. Angesichts der oben beschriebenen langjährigen Verhandlungen dürfen die Harmonisierungsvorschläge zur Verringerung nationaler Unterschiede in den Urheberrechtssystemen mit Spannung erwartet werden. Die Kommission will damit sicherstellen, dass Nutzer sowohl zuhause als auch unterwegs, überall in Europa auf online gekaufte Filme, Musik oder Texte zugreifen können. Zudem soll überprüft werden, wie der grenzüberschreitende Zugang zu Rundfunkdiensten in Europa verbessert werden kann.
Potentielle Wettbewerbsverzerrungen will die Kommission schon im Voraus bekämpfen und hat deshalb bereits eine kartellrechtliche Untersuchung des Sektors des elektronischen Handels in der EU eingeleitet. Wettbewerbsrechtlich problematische Bereiche sollen identifiziert und frühzeitig behoben werden. Schliesslich soll auch der Verwaltungsaufwand der Unternehmen verringert werden. Hier machen die Kommissionsmitglieder vor allem bei Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer ein grosses Verbesserungspotential aus. Im Besonderen will man eine einheitliche Mehrwertsteuerschwelle einführen, die den Einstieg in den Online-Handel erleichtern soll.
Schlussbetrachtung
Das von der EU-Kommission präsentierte Strategiepapier ist ein politisches Dokument, das über weite Teile schlicht zusammenfasst, woran in verschiedenen Bereichen des Gemeinschaftsrechts (Mehrwertsteuer, Urheberrecht, Verbraucherschutzrecht, Kartellrecht, Online-Streitbeilegung, u. a.) seit geraumer Zeit gearbeitet wird. Insofern ist die fast schon überschwängliche Sprache der Kommissionsmittglieder allenfalls auch so zu verstehen, dass man, angesichts der Konkurrenz aus den USA (vgl. dazu BR-News vom 8. Mai 2015) nun endlich handeln und aufholen will. Nicht vergessen darf man die E-Commerce Branche selber, die sich den veränderten Marktbedingungen ständig anpasst und z.B. mit Selbstregulierungsmassnahmen, Qualitätsgarantien und verbraucherfreundlichen Online-Shops die Bildung von Vertrauen fördert und entscheidend zum Wachstum des digitalen EU-Binnenmarktes beiträgt. Das Wachstum in den vergangenen Jahren hat denn auch damit sicher sehr viel und andererseits sehr wenig mit den politischen Strategien der EU-Kommission zu tun.
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung Europäische Kommission vom 6. Mai 2015
- BR-News „“Cookie-Richtlinie” der EU bisher nur in wenigen Staaten umgesetzt“
- BR-News „EU Kommission: neue Denkanstösse für ein zukunftstaugliches Urheberrecht“
- BR-News „Kartellverfahren: Die EU-Kommission ermittelt gegen Google“
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann