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Das Bundesgericht hat kürzlich ein wegweisendes Urteil gefällt, das den Stand von Vermietern in Auseinandersetzungen über den Anfangsmietzins stärkt. Da aktuell solche Streitigkeiten zunehmen, bietet dieser Entscheid Vermietern rechtliche Klarheit und ermöglicht eine effektivere Wahrung ihrer Interessen. Dieser Artikel wirft einen genaueren Blick darauf, welche Auswirkungen dieses Urteil auf die Anfangsmietzinsanfechtungen hat und wie es die beweisrechtliche Stellung der Vermieter verbessert.
1. Ausgangslage
Der Mieter kann gemäss Art. 270 des Obligationenrechts (OR) den Anfangsmietzins innert 30 Tagen seit dem Mietantritt bei der Schlichtungsbehörde als missbräuchlich anfechten, sofern der Vermieter den Mietzins gegenüber dem vorausgehenden Mietverhältnis für dieselbe Mietsache massiv erhöht. In aller Regel obliegt es dem Mieter, die Missbräuchlichkeit eines Mietzinses zu beweisen. Hält sich der Mietzins an die Quartier- und Ortsüblichkeit, so ist er jedoch regelmässig nicht missbräuchlich. Hingegen gilt der Mietzins vermutungsweise als missbräuchlich, wenn die Erhöhung des Anfangsmietzinses im Verhältnis zum Vormietzins die 10%-Marke deutlich übersteigt und nicht durch die Entwicklung des Referenzzinssatzes bzw. des Landesindex der Konsumentenpreise erklärt werden kann (BGE 147 III 431 E. 3.2.1). Diese tatsächliche Vermutung wird der Vermieter gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur durch Bezeichnung von mindestens fünf Objekten im gleichen Ort oder Stadtquartier, die nach Lage, Grösse, Zustand, Ausstattung und Bauperiode mit dem Mietobjekt vergleichbar sind, widerlegen können (BGE 139 III 13 E. 3.3; Art. 11 Abs. 1 der Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen [VWMG]). Erst wenn ihm dies gelungen ist, tritt die Beweispflicht des Mieters ein. Der Vermieter sieht sich angesichts dieser Rechtsprechung mit hohen Schwierigkeiten hinsichtlich der Erfüllung der Vergleichskriterien konfrontiert, zumal dieser Nachweis mit vernünftigem Aufwand in aller Regel nicht erbracht werden kann. Namentlich bei mehreren Jahrzehnten alten Gebäuden ist es nahezu unmöglich, die genügende Anzahl von Referenzobjekten zu finden.
In einem kürzlich ergangenen Entscheid präzisierte das Bundesgericht seine Rechtsprechung dahingehend, als dass der Vermieter für das Umstossen der vorgenannten Vermutung nicht den strikten Beweis des Gegenteils antreten muss. Er kann sich mit dem Nachweis von begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der Vermutung begnügen, wofür Indizien ebenfalls ausreichen können (Urteil des Bundesgerichts 4A_121/2023 vom 29. November 2023 [Neuentscheid]).
2. Neues Urteil des Bundesgerichts zur Widerlegung der Missbrauchsvermutung
Konkret ging es um eine 2-Zimmerwohnung in Zürich (Mietwohnung), deren Mieterin den Anfangsmietzins als missbräuchlich anfocht. Dies, weil beim Mieterwechsel der Mietzins auf CHF 1’060.00 angehoben wurde und die Vormieterin «lediglich» einen Mietzins von CHF 738.00 für die Mietwohnung bezahlt hatte. Das Vormietverhältnis bestand ca. 20 Jahre und die Vermieterin begründete die Erhöhung mit der Anpassung an die orts- und quartierüblichen Verhältnisse. Nennenswerte Mietzinsanpassungen fanden während des Vormietverhältnisses keine statt. Im Rahmen des Schlichtungsverfahrens lehnte die Vermieterin den von der Schlichtungsbehörde vorgelegten Urteilsvorschlag ab und klagte den vertraglich festgelegten Anfangsmietzins von CHF 1’060.00 beim Gericht ein.
Die Vermieterin bot dem Gericht 23 Referenzobjekte als Beweismittel an, die mit der Mietwohnung in Bezug auf Lage, Grösse, Bauzeit, Ausstattung und Zustand vergleichbar waren und bei denen der Nettomietzins durchgehend höher war als der angefochtene Anfangsmietzins. Zudem führte die Vermieterin zur Begründung des Anfangsmietzinses auch eine sehr lange Mietvertragsdauer (20 Jahre) an und legte eine Mietpreisstrukturerhebung aus dem Jahr 2006 (Strukturerhebung 2006) ins Recht, die an den städtischen Mietpreisindex angepasst wurde und einen allgemeinen Anstieg der Mietzinse in Zürich belegen sollte. Sowohl das zürcherische Mietgericht als auch das Obergericht des Kantons Zürich wiesen die Klage der Vermieterin mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts ab. Die Vermieterin gelangte sodann ans Bundesgericht.
Bereits im Urteil des Bundesgerichts 4A_183/2020 vom 6. Mai 2021 zum selben Fall (Rückweisungsentscheid) erinnerte das Bundesgericht daran, dass sich der Nachweis des Vermieters auf das Wecken von begründeten Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses beschränkt. Der Vermieter muss daher keine Beweise erbringen, die das strikte Beweismass erfüllen, um die vorgenannte tatsächliche Vermutung zu widerlegen. Es genügt, wenn sich der Nachweis des Vermieters auf Indizien wie vergleichbare Objekte oder Statistiken stützt, ohne dass die strengen Vergleichskriterien von Art. 11 Abs. 1 VMWG erfüllt werden müssen (Urteil des Bundesgerichts 4A_183/2020 vom 6. Mai 2021 E. 4.1). Das Bundesgericht hob mit Rückweisungsentscheid das Urteil des Obergerichts auf und wies den Fall zur Neubeurteilung an die Vorinstanzen zurück.1
Die Vorinstanzen stellten sodann erneut fest, dass die Vermieterin nicht nachweisen konnte, dass die Erhöhung des ursprünglichen Mietzinses nicht missbräuchlich sei, legten den Anfangsmietzins auf CHF 855.00 fest und wiesen die Klage der Vermieterin im Weiteren ab.
Die Vermieterin zog den Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich wiederum ans Bundesgericht weiter und machte geltend, dass die Zürcher Gerichte die Vorgaben im Rückweisungsentscheid missachtet hätten, indem für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses zu hohe Anforderungen an die Vermieterin gestellt wurden. Der von ihr erbrachte Nachweis sei dabei ausreichend, um begründete Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses zu wecken.
Die Bundesrichter*innen kamen im Neuentscheid zum Schluss, dass die kantonalen Instanzen zwar die theoretischen Ausführungen des Rückweisungsentscheids übernommen, allerdings diese nicht richtig auf den Sachverhalt angewendet hätten. So dürften die Vorinstanzen die von der Vermieterin ins Recht gelegten Referenzobjekte mit vergleichbaren Mietzinsen nicht schon als untaugliche Vergleichsobjekte taxieren, wenn sie nicht im selben Verwaltungsbezirk, sondern am Rande desselben lägen. Da die Vermieterin nur begründete Zweifel wecken müsse, dürften bei Vergleichsobjekten nicht die gleichen, strengen Massstäbe angewendeten werden wie beim strikten Beweismass für die Erbringung des Missbrauchsbeweises. Folglich hätte das Obergericht die Wohnungen in der Nähe der Mietwohnung berücksichtigen müssen, unabhängig von der administrativen oder politischen Einteilung der Referenzobjekte.
Darüber hinaus stellten die Bundesrichter*innen fest, dass ein Vormietverhältnis mit einer langen Laufzeit von 20 Jahren als Indiz für begründete Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses anzuschauen sei. Die Vorinstanzen habe daher in unzutreffender Weise angenommen, dass der langjährige Mietvertrag nicht den Schluss zulasse, begründete Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Vermutung beim Gericht zu wecken.
Schliesslich stellte das Bundesgericht fest, dass die Strukturerhebung 2006 einen allgemeinen Anstieg der Mietzinse belege, auch wenn der Mietzins nach der Indexanpassung unter dem ursprünglichen, angefochtenen Anfangsmietzins liege. Da die Strukturerhebung 2006 jedoch aus dem Jahr 2006 stamme und die Anpassung an den Index nur annäherungsweise erfolgte, hätten sich die Vorinstanzen zu Unrecht streng an die daraus resultierenden Mietzinsberechnung gehalten. Daher hätten die kantonalen Richter*innen die statistischen Daten berücksichtigen müssen, zumal diese begründete Zweifel an der Vermutung der Missbräuchlichkeit aufkommen liessen.
In Anbetracht der vorhergehenden Gründe sei es der Vermieterin nach Ansicht des Bundesgerichts gelungen, begründete Zweifel an der Richtigkeit zu wecken und die tatsächliche Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses umzustossen. Infolgedessen sei die Mieterin beweispflichtig und hätte ihrerseits die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzins beweisen müssen. Da der Mieterin der Beweis nicht gelang, trage sie die Konsequenzen für die Beweislosigkeit. Dementsprechend entschied das Bundesgericht, dass der angefochtene Anfangsmietzins nicht missbräuchlich sei und bestätigte gleichzeitig den Mietzins von CHF 1’060.00.
3. Zusammenfassung: praxistauglichere Regeln für Vermieter
Mit dem Neuentscheid (und Rückweisungsentscheid) stellt das Bundesgericht klar, dass vom Vermieter nicht der volle Beweis für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung der Missbräuchlichkeit des angefochtenen Anfangsmietzinses verlangt werden darf. Vielmehr reicht es aus, wenn der Vermieter beim Gericht begründete Zweifel an der Richtigkeit der vorerwähnten tatsächlichen Vermutung weckt. Begründete Zweifel kann der Vermieter mithilfe von Statistiken wecken, wobei auch dem Umstand eines langjährigen Vormietverhältnisses Rechnung zu tragen ist. Die vom Vermieter dargelegten Indizien sind einschliesslich der Vergleichsobjekte zu würdigen. Hat der Vermieter begründete Zweifel an der Vermutung geweckt, entfällt diese und es obliegt dem Mieter die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses nachzuweisen.
Diese Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist aus Vermietersicht ermutigend. Sie bietet Vermietern praxistauglichere Regeln zur Beweisbarkeit der Orts- und Quartierüblichkeit und ebnet den Weg für eine bessere Abwehr von mieterseitigen Anfechtungen des Anfangsmietzinses. Folglich ist es empfehlenswert, wenn Vermieter von Altbauwohnungen alle vergleichbaren Mietzinse der Referenzobjekte (auch ans Quartier angrenzende Wohnungen) und alle verfügbaren Statistiken, die die Quartier- und Ortsüblichkeit vermuten lassen, im Rahmen eines Schlichtungs- und/oder Gerichtsvorfahrens einreichen, auch wenn diese Unterlagen unter Umständen nicht strikt den Anforderungen von Art. 11 Abs. 1 VMWG entsprechen. Weiter sind Vorbringen anzuführen, die begründete Zweifel an der Missbräuchlichkeit wecken könnten (wie bspw. eine lange Vormietdauer).
4. Ausblick: Stärkung der Vermieter bei Anfechtungen des Anfangsmietzinses und beim Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit des Mietzinses
Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats eröffnete am 20. Dezember 2023 die Vernehmlassung zu einer Revision des Mietrechts. Mit den Änderungen sollen einerseits die Anforderungen an die Anfechtung des Anfangsmietzinses verschärft und andererseits die Kriterien für den Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit des Mietzinses präzisiert werden. So sieht der Revisionsentwurf vor, dass neu für eine Anfechtung des Anfangsmietzinses zusätzlich eine persönliche oder familiäre Notlage gegeben sein muss, durch die sich der Mieter zum Vertragsabschluss gezwungen sah. Zudem sollen die Kriterien für den Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit des Mietzinses präzisiert werden, da diese in der Praxis, wie eingangs in diesem Artikel dargelegt, kaum erfüllt werden können. Die Kommission schlägt vor, dass drei zum Vergleich taugliche Objekte genügen und dass fehlende Eigenschaften für bestimmte Merkmale, z.B. Lage, Grösse, Ausstattung oder Zustand, vom Richter unter Berücksichtigung anderer Eigenschaften ausgeglichen werden können. Die Vernehmlassungsfrist für den aus Vermietersicht begrüssenswerten Revisionsentwurf dauert noch bis zum 10. April 2024.
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1 Wir verweisen auch auf unseren Artikel vom 18. Januar 2022: Trabichet-Castan, Cosima und Micheloud Séverine, Zusammenfassung der neuesten Entwicklungen im Mietrecht, MLL News Portal, 18. Januar 2022.