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Stirbt eine Person, bei der Anknüpfungspunkte zu den Rechtsordnungen verschiedener Staaten gegeben sind, so kann das zu Schwierigkeiten in Bezug auf die Bestimmung der behördlichen oder gerichtlichen Zuständigkeit für deren Nachlass und des darauf anwendbaren Erbrechts führen. Wer zum Beispiel als französischer Expat in Genf lebte und arbeitete und im Zeitpunkt seines Todes sowohl Vermögen in der Schweiz als auch in Frankreich hinterlässt, der verursacht über seinen Tod hinaus ein juristisches Kopfzerbrechen. Dasselbe gilt etwa für die schweizerische Rentnerin, die einen Grossteil ihrer Zeit mit ihrem Mann im gemeinsamen Ferienhaus auf Mallorca verbringt und dann stirbt.
In welchem Staat sind die Behörden für erbrechtliche Klagen im Streitfall zuständig? Welches Erbrecht regelt den Nachlass des Verstorbenen? Unter welchen Voraussetzungen können erbrechtliche Entscheidungen aus anderen Ländern anerkannt werden? Solche und weitere Fragen sind in der Schweiz im Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) geregelt – aus Schweizer Perspektive. Auch andere Staaten regeln diese Fragen in ihren jeweiligen kollisionsrechtlichen Gesetzgebungen – aus ihrer jeweiligen Perspektive. Das kann im zwischenstaatlichen Bereich zu Konflikten führen, wenn diese nationalen Regelungen nicht aufeinander abgestimmt sind – was nicht selten vorkommt. So können sich für ein und denselben Nachlass mehrere Staaten als zuständig betrachten und es können sich widersprechende Entscheidungen ergehen.
Um diese Synchronisationsprobleme innerhalb des EU-Rechtsraums anzugehen, schuf die EU die Verordnung Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vom 4. Juli 2012 (EU-Erbrechtsverordnung, EuErbVO). Diese gilt für alle Todesfälle ab 17. August 2015 und umfasst alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich. Ziel ist die Harmonisierung der Kollisionsrechte (Zuständigkeit, anwendbares Recht, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, Nachlasszeugnis) im Bereich des Erbrechts. Das materielle Erbrecht wird durch die EuErbVO dagegen nicht harmonisiert.
Der Bundesrat hat erkannt, dass das Inkrafttreten der EuErbVO die Chance eröffnet, in grenzüberschreitenden Erbfällen mehr Rechts- und Planungssicherheit für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen in Bezug auf das Schweizer Verhältnis zum grossen Rechtsraum, in welchem die EuErbVO gilt. Der schweizerische Bundesrat hat deshalb am 14. Februar 2018 das Vernehmlassungsverfahren zu einer Revision IPRG eröffnet, mit welcher er das schweizerische internationale Erbrecht auf die EuErbVO abstimmen will.
Koordination der Entscheidungskompetenz
Hauptziel der Revision ist die Verhinderung sich widersprechender Entscheidungen in der Schweiz und in EuErbVO-Staaten. Durch Anpassung des IPRG sollen die beidseitigen Entscheidungskompetenzen verbessert koordiniert werden. Dazu sollen – soweit dies möglich ist – Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln angepasst werden. Als ein Beispiel einer solchen Neuerung kann erwähnt werden, dass nach Art. 86 Abs. 3 revIPRG neu Doppel- oder Mehrfachbürger mit letztem Wohnsitz in der Schweiz ihren Nachlass letztwillig ganz oder teilweise der Zuständigkeit eines ihrer Heimatstaaten unterstellen können, auch dann, wenn sie unter anderem Schweizer sind. Dies soll es solchen Personen unter anderem ermöglichen, der Zuständigkeit von Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO Rechnung zu tragen. Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO sieht nämlich für den Nachlass von Angehörigen eines Mitgliedstaates, welche ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in einem Nicht-Mitgliedsstaat wie der Schweiz hatten, die Zuständigkeit jenes Mitgliedstaates vor, sobald sich auch nur ein Teil ihres Nachlasses auf dessen Gebiet befindet. Im Ergebnis läuft dies darauf hinaus, dass solche Personen gegen den positiven Zuständigkeitskonflikt selber Vorsorge treffen können (bzw. müssen, wenn sie diesen vermeiden wollen), der aufgrund von Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO einerseits und dem heute geltenden Art. 86 Abs. 1 IPRG (Zuständigkeit der Schweiz aufgrund von letztem Wohnsitz in der Schweiz) andererseits entsteht.
Angleichung des angewendeten Erbrechts
Wo die Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln einander nicht angeglichen werden können, will der bundesrätliche Entwurf zumindest darauf hinwirken, dass beide Seiten dasselbe materielle Erbrecht anwenden. Als Beispiel solcher Änderungen im IPRG-Revisionsentwurf sei die Neufassung von Art. 90 Abs. 2 revIPRG genannt. Besitzt eine Person mehrere Staatsangehörigkeiten, so kann sie unter dem Regime der EurErbVO (Art. 22) das anwendbare Erbrecht frei unter den Rechten dieser Heimatstaaten wählen. Nach dem bestehenden Schweizer Recht (Art. 90 Abs. 2 IPRG) steht diese Möglichkeit nur Ausländern offen. Besitzt eine Person hingegen nebst seiner ausländischen auch die schweizerische Staatsangehörigkeit, so untersteht sein Nachlass zwingend Schweizer Recht und es besteht keine Rechtswahlmöglichkeit (Art. 90 Abs. 1 IPRG). Art. 90 Abs. 2 Satz 1 revIPRG lässt nun neu die freie Wahl des Heimatrechts oder eines von mehreren Heimatrechten zu, ungeachtet einer allfälligen schweizerischen Staatsangehörigkeit. Diese Unterstellung unter das betreffende Heimatrecht fällt auch nachträglich nicht wieder dahin, wenn der Erblasser im Zeitpunkt des Todes dem jeweiligen Staat nicht mehr angehört (Art. 90 Abs. 3 revIPRG) – dies im Gegensatz zur geltenden Fassung von Art. 90 Abs. 2 IPRG.
Umsetzung von weiteren Änderungsbedürfnissen
Der Bundesrat möchte ferner die Gelegenheit nutzen, um auch weiteren Änderungs- und Klarstellungsbedürfnissen Rechnung zu tragen, welche in Bezug auf Bestimmungen betreffend Erbrecht im IPRG seit dessen Inkrafttreten vor rund 29 Jahren zu Tage getreten sind und nicht direkt durch die EurErbVO motiviert sind. So schlägt er zum Beispiel eine Neufassung von Art. 92 Abs. 2 Satz 2 IPRG vor, um damit die Abgrenzung zu verbessern, welche Rechtsfragen dem Erbstatut (d.h. das gemäss Art. 90 f. IPRG auf den Nachlass anwendbare Recht) und welche dem Eröffnungsstatut (Recht am Ort der Nachlassabwicklung) unterstehen. Insbesondere bei schweizerischem Eröffnungsstatut und ausländischem Erbstatut bestehen unter dem gegenwärtigen IRPG Meinungsverschiedenheiten, was Rechtsfragen in Zusammenhang mit der Willensvollstreckung betrifft. Die genaue Grenzziehung ist umstritten. Die neu vorgeschlagene Bestimmung soll nun Klarheit schaffen, dass nur die verfahrensrechtlichen Aspekte der Nachlassverwaltung oder Willensvollstreckung dem Eröffnungsstatut unterstehen sollen. Rechte und Pflichten des Willensvollstreckers richten sich demgegenüber nach dem Erbstatut.
Ausblick
Das Gesetzgebungsverfahren steht ganz am Anfang. Als nächstes werden interessierte Kreise im Vernehmlassungsverfahren ihre Anregungen einbringen können (Frist: 31. Mai 2018). Anschliessend muss der Bundesrat die Vorlage ins parlamentarische Gesetzgebungsverfahren einbringen, wo Änderungen am Gesetzestext erfolgen können. Eine vom Parlament beschlossene Änderung des IPRG untersteht dem fakultativen Referendum. Mit einem Inkrafttreten ist erfahrungsgemäss frühestens 2020/2021 zu rechnen.