Ihr Kontakt
Am 29. August 2018 hat der schweizerische Bundesrat einen Vorschlag für eine erste Teilrevision des schweizerischen Erbrechts präsentiert. Zweck des Gesetzesentwurfs ist die Anpassung des Erbrechts an neue gesellschaftliche Formen des Zusammenlebens sowie die Erleichterung der Gestaltung der Unternehmensnachfolge. Von grosser praktischer Relevanz bei der Nachlassplanung ist dabei, dass die bisherigen Pflichtteilsansprüche der Nachkommen gesenkt werden.
Nachfolgend wird gezeigt, welche Auswirkungen die Erbrechtsrevision auf bereits bestehende Testamente und Erbverträge haben wird und weshalb diese allenfalls anzupassen sind.
1. Was ändert sich durch die Erbrechtsrevision für meine Nachlassplanung?
Die vorgesehene Revision des Erbrechts bringt voraussichtlich zwei wesentliche Veränderungen:
- Einerseits werden die Pflichtteile der Nachkommen reduziert. Dies ermöglicht es einem Erblasser seinen Nachlass freier zu planen und in grösserem Umfang über sein Vermögen zu verfügen, was gerade bei der Unternehmensnachfolge wichtig ist.
- Andererseits wird eine Härtefallregelung für faktische Lebenspartner geschaffen, welche vom Erblasser nicht bedacht wurden.
Obwohl anfänglich diskutiert, wurde auf eine Reduktion des Pflichtteils der Ehepartner verzichtet (für einen umfassenden Überblick zur Erbrechtsrevision vgl. Blogbeitrag Oliver Arter/Patrick Dietrich, Revision des schweizerischen Erbrechts – Veränderungen und Gestaltungsmöglichkeiten).
2. Beispiel 1: Erblasser mit Tochter, Sohn und Konkubinatspartner
Angenommen ein Erblasser hinterlässt eine Tochter und einen Sohn und lebt im Konkubinat. Nach heutigem Recht beträgt die verfügbare Quote lediglich 25% des Vermögens des Erblassers, weil jedes der beiden Kinder zwingend mindestens 37.5% des Nachlasses zu erhalten hat. Dies schränkt sowohl die Möglichkeit ein, den Konkubinatspartner zu begünstigen als auch ein Kind gegenüber dem anderen stark zu bevorzugen.
Neu soll der Erblasser über 50% seines Vermögens frei verfügen können, weil jedes Kind als Pflichtteil zwingend nur noch 25% des Vermögens des Erblassers erhält. Entsprechend ergeben sich für den Erblasser neu folgende Verfügungsmöglichkeiten:
- Die Tochter wird meistbegünstigt und erhält 75% des Vermögens und der Sohn wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 25% des Vermögens des Erblassers; oder
- Der Sohn wird meistbegünstigt und erhält 75% des Vermögens und die Tochter wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 25% des Vermögens des Erblassers; oder
- Die Tochter und der Sohn werden auf den Pflichtteil gesetzt und erhalten je 25% des Vermögens und die Lebenspartnerin erhält 50% des Vermögens des Erblassers.
3. Beispiel 2: Erblasserin mit Ehepartner, Tochter und Sohn
Eine Erblasserin hinterlässt einen Ehepartner, eine Tochter und einen Sohn. Bislang erhielt jedes der Kinder der Erblasserin zwingend mindestens 18.75% des Nachlasses. Entsprechend betrug die frei verfügbare Quote – der Ehepartner bekam zwingend mindestens 25% des Vermögens – lediglich 37.5% des Nachlasses.
Neu soll die Erblasserin über 50% ihres Vermögens frei verfügen können. Der Ehepartner erhält zwingend nach wie vor 25% des Vermögens der Erblasserin. Jedes der beiden Kinder soll zwingend jedoch nur noch 12.5% des Vermögens der Erblasserin erhalten. Entsprechend sollen sich für die Erblasserin neu folgende Verfügungsmöglichkeiten ergeben:
- Der Ehegatte wird meistbegünstigt und erhält 75% des Vermögens der Erblasserin. Die Tochter wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 12.5% des Vermögens der Erblasserin und der Sohn wird ebenfalls auf den Pflichtteil gesetzt und erhält ebenfalls 12.5% des Vermögens der Erblasserin; oder
- Die Tochter wird meistbegünstigt und erhält 62.5% des Vermögens der Erblasserin. Der Ehegatte wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 25% des Vermögens der Erblasserin und der Sohn wird ebenfalls auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 12.5% des Vermögens der Erblasserin oder
- Der Sohn wird meistbegünstigt und erhält 62.5% des Vermögens der Erblasserin. Der Ehegatte wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 25% des Vermögens der Erblasserin und die Tochter wird ebenfalls auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 12.5% des Vermögens der Erblasserin; oder
- Der Ehegatte wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 25% des Vermögens der Erblasserin, die Tochter wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 12.5% des Vermögens der Erblasserin und der Sohn wird auf den Pflichtteil gesetzt und erhält 12.5% des Vermögens der Erblasserin. Das Stiefkind/ein Dritter erhält 50% des Vermögens der Erblasserin.
4. In jedem Fall: vorgängige güterrechtliche Auseinandersetzung
Wichtig ist, dass nicht vergessen geht, dass bei der erbrechtlichen Auseinandersetzung stets die güterrechtliche Auseinandersetzung vorausgeht. Je nach Güterstand erhält der überlebende Ehegatte deshalb vorab weitere Vermögenswerte, beispielsweise die Hälfte des ehelichen Vorschlags beim Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung.
Wer deshalb seine bestehende Nachlassplanung prüft oder neu seinen Nachlass plant, sollte ebenfalls seine bestehende ehegüterrechtliche Planung prüfen oder diese künftig regeln.
5. Unterhaltsvermächtnis
Neu soll weiter ein sog. erbrechtliches Unterhaltsvermächtnis geschaffen werden. Wer beim Tod des Erblassers seit mindestens fünf Jahren mit diesem in einer faktischen Lebensgemeinschaft gelebt hat, soll von den Erben Unterstützung verlangen können, falls er ohne solche in Not geraten würde.
Die Unterstützung erfolgt in der Form einer Rente. Der Gesamtbetrag darf dabei weder die Summe der Renten, die der Lebenspartner bis zum vollendeten 100 Altersjahr erhalten würde, noch einen Viertel des Nettovermögens des Erblassers im Zeitpunkt des Todes überschreiten. Um den Unterstützungsanspruch zu sichern, müssen die Erben eine angemessene Sicherheit leisten.
Wer deshalb seit längerer Zeit in einer faktischen Lebensgemeinschaft lebt, sollte sich überlegen, ob er, falls noch nicht geschehen, den Konkubinatspartner erbrechtlich begünstigen möchte. Wird dies unterlassen, besteht die Gefahr, dass der faktische Lebenspartner im Todesfall Ansprüche gegen die Erben, beispielweise die eigenen Kinder, stellt, falls dessen eigene Vermögens- und Einkommenssituation dürftig ist.
6. Ich habe bereits ein Testament verfasst – welches Recht wird gelten? Das alte Erbrecht oder das revidierte Erbrecht?
Entscheidend ist nicht wann ein Testament verfasst wurde, sondern wann ein Erblasser verstirbt.
Verstirbt eine Person vor dem Inkrafttreten des neuen revidierten Erbrechts, gilt das alte Recht; verstirbt sie jedoch nach Inkrafttreten der Erbrechtsrevision, kommt das neue Recht zur Anwendung. Dies gilt im Übrigen unabhängig davon, ob die gesetzliche Erbfolge eintritt oder ob vor dem Inkrafttreten der Revision eine letztwillige Verfügung erstellt oder ein Erbvertrag abgeschlossen wurde.
7. Ich habe eine Tochter und einen Sohn. Da sich mein Sohn nie bei mir meldet, habe ich diesen zu Gunsten meiner Tochter in meinem Testament auf den Pflichtteil gesetzt. Ich habe mich vorgängig beraten lassen und gehe davon aus, dass dieser 37.5% meines Nachlasses erhält. Gilt dies auch wenn ich nach Inkrafttreten der Erbrechtsrevision versterbe?
Nein, dies gilt voraussichtlich nicht. Auf Grund der Erbrechtsrevision ist vielmehr davon auszugehen, dass der Sohn lediglich 25% des Nachlasses erhalten wird, denn diese Quote entspricht dem vorgesehenen neuen Pflichtteilsrecht.
Allerdings ist zu beachten, dass damit nicht verhindert werden kann, dass sich im Einzelfall heikle Fragen stellen, wenn bestimmte Formulierungen in einer letztwilligen Verfügung oder einem Erbvertrag darauf schliessen lassen, dass der Erblasser unter revidiertem Recht anders verfügt hätte oder wenn unter diesen Umständen eine andere Vereinbarung getroffen worden wäre. Entsprechend ist es denkbar, dass der Sohn das Testament anficht und Umstände vorbringt, die seiner Meinung nach zeigen, dass er lediglich im Umfang der alten Pflichtteilsregelung in seiner Partizipation am Nachlass eingeschränkt werden sollte. Entschliesst sich der Sohn das Testament anzufechten weil dieses seiner Meinung nach unklar ist, kann dies zu langjährigen Gerichtsverfahren führen.
Aus diesem Grund empfiehlt es sich, dass Personen, die bereits Verfügungen von Todes wegen getroffen haben, die anstehende Erbrechtsrevision nicht nur dafür nutzen, um sich mit der vorgesehenen grösseren Testierfreiheit auseinanderzusetzen und von dieser allenfalls zu profitieren, sondern bestehende Verfügungen von Todes wegen im Lichte der Erbrechtsrevision überprüfen zu lassen.
Ob eine bestehende Verfügung unklar ist, ist im Einzelfall zu prüfen. Werden Verfügungen von Todes wegen nicht überprüft, besteht die Gefahr, dass diese nach dem Tod anders ausgelegt und bewertet werden wie ursprünglich vorgestellt und Gerichtsverfahren drohen. Dies kann einfach vermieden werden, indem Testamente eindeutig formuliert werden. Dies kann bereits heute im Hinblick auf die Erbrechtsrevision erfolgen.
8. Ich habe einen Sohn und eine Tochter. Da meine Tochter bereits vermögend ist, habe ich diese zu Gunsten meines Sohns in einem Testament auf den Pflichtteil gesetzt. Auf Grund der Erbrechtsrevision wird der Pflichtteil weiter abgesenkt und ich gehe davon aus, dass meine Tochter nach der Erbrechtsrevision automatisch noch 25% meines Nachlasses erhalten soll. Dies deckt sich mit meinen Wünschen. Stimmt dies? Oder muss ich mein Testament anpassen?
Grundsätzlich ist die Überlegung richtig, dass der Pflichtteil der Tochter nach Inkrafttreten der Erbrechtsrevision nur noch 25% betragen wird und ein bereits existierendes Testament so ausgelegt wird.
Dennoch empfiehlt es sich dringend, das Testament zu prüfen und allenfalls anzupassen, da die Tochter andernfalls Umstände vorbringen könnte, weshalb ihrer Meinung nach nicht beabsichtigt war, ihr lediglich 25% des Nachlassvermögens zukommen zu lassen.
9. Die vorgesehene Erbrechtsrevision ist noch nicht in Kraft. Kann ich bereits heute im Hinblick auf die neuen Pflichtteilsbestimmungen ein Testament verfassen?
Ja, es ist möglich bereits heute im Hinblick auf die neuen Pflichtteilsbestimmungen Testamente und Erbverträge zu verfassen.