Erste Lebensmittelbewilligungen seit der Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips erteilt


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Das revidierte Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse (THG) und die Verordnung über das Inverkehrbringen von Produkten nach ausländischen Vorschriften (VIPaV) führen in der Schweiz gegenüber Waren aus dem Europäischen Wirtschaftsraum EWR, welche rund 80 Prozent aller schweizerischen Importe ausmachen, einseitig das Cassis-de-Dijon-Prinzip ein.

Ursprung des Cassis-de-Dijon-Prinzips

Das Cassis-de-Dijon-Prinzip geht auf ein Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) aus dem Jahr 1979 zurück. Die deutschen Behörden untersagten den Import eines französischen Johannisbeer-Likörs mit der Bezeichnung Cassis de Dijon, weil dieser bezüglich des Alkoholgehalts nicht den deutschen Vorschriften entsprach. Im anschliessenden Rechtstreit entschied der EuGH, dass aus einem anderen EU-Mitgliedstaat stammende Produkte, die nach den nationalen Vorschriften des Exportlandes hergestellt werden, grundsätzlich überall in der EU in Verkehr gebracht werden dürfen. Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit sind nur zulässig, soweit sie aus übergeordneten öffentlichen Interessen zwingend erforderlich sind, beispielsweise zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Diese Bedingung war bei der deutschen Vorschrift, welche für Likör einen Mindestalkoholgehalt vorschrieb, nicht erfüllt, weshalb die Einfuhr von Cassis de Dijon nach Deutschland zugelassen werden musste.

Umsetzung des Cassis-de-Dijon-Prinzips in der Schweiz

In der Schweiz können seit dem 1. Juli 2010 Produkte, die in der EU bzw. im Europäischen Wirtschaftsraum EWR rechtmässig in Verkehr sind, grundsätzlich ohne zusätzliche Kontrollen frei zirkulieren, wenn sie:

  • den technischen Vorschriften des Unionsrechts und, bei unvollständiger oder fehlender Harmonisierung, den technischen Vorschriften eines Mitgliedstaates der EU oder des EWR entsprechen; und
  • in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat nach Buchstabe a rechtmässig in Verkehr sind.

Ausnahmen

Ausnahmen vom Cassis-de-Dijon-Prinzip sind nur zum Schutz überwiegender öffentlicher Interessen möglich und müssen verhältnismässig ausgestaltet sein. Schützenswerte öffentliche Interessen sind z.B. die öffentliche Ordnung und Sicherheit; das Leben und die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen; der Schutz der natürlichen Umwelt; die Sicherheit am Arbeitsplatz; der Schutz der Konsumenten und der Lauterkeit des Handelsverkehrs sowie des nationalen Kulturgutes und des Eigentums.

Gemäss ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift gilt das Cassis-de-Dijon-Prinzip nicht für:

  • Produkte, die einer Zulassungspflicht unterliegen, und anmeldepflichtige Stoffe nach der Chemikaliengesetzgebung (z.B. Arzneimittel, Pflanzenschutzmittel);
  • Produkte, die einer vorgängigen Einfuhrbewilligung bedürfen (z.B. Waffen);
  • Produkte, die einem Einfuhrverbot unterliegen (z.B. befristete Einfuhrverbote für Geflügelprodukte während der Vogelgrippezeit);
  • Produkte, für die der Bundesrat in der Verordnung zum THG eine Ausnahme vorsieht (z.B. phosphathaltige Waschmittel, Lebensmittel ohne Angabe des Produktionslandes, Heizungen, welche die Luftreinhalteverordnung nicht erfüllen, usw.).

Auf der Webseite des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO kann eine (unverbindliche) Negativliste eingesehen werden, welche die Ausnahmen vom Cassis-de-Dijon-Prinzip alphabetisch auflistet.

Sonderregelung für Lebensmittel: Erste Entscheidungen des Bundesamts für Gesundheit

Lebensmittel aus dem EWR-Raum, die den schweizerischen Lebensmittelvorschriften nicht entsprechen, können grundsätzlich auch in der Schweiz in Verkehr gebracht werden. Sie bedürfen aber beim Erstimport einer Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Diese Bewilligung wird in Form einer Allgemeinverfügung erteilt, so dass sich auch Mitbewerber darauf berufen können, wenn das betreffende Lebensmittel die Sicherheit und Gesundheit von Konsumenten nicht gefährdet und die Anforderungen an die Produktinformation erfüllt sind. Die Bewilligung gilt für alle gleichartigen Lebensmittel.

Beim BAG sind bislang 43 Gesuche eingegangen, welche eine Allgemeinverfügung für die Einfuhr eines Lebensmittels aus dem EWR-Raum verlangen. Der grosse Ansturm ist vorerst ausgeblieben. 6 Gesuche hat das BAG mittlerweile gutgeheissen, 13 Gesuche wurden abgewiesen und die restlichen Gesuche sind noch hängig.

Unter den bewilligten Produkten ist beispielsweise ein französischer Sirup, der lediglich 10 Prozent Fruchtsaft enthält. In der Schweiz wäre ein Fruchtsaftanteil von mindestens 30 Prozent vorgeschrieben. Nach der Bewilligung des Gesuchs durch das BAG ist diese Vorschrift aber hinfällig: Zukünftig darf sich bei der Vermarktung von Fruchtsirup jeder Anbieter auf die Allgemeinverfügung berufen.

Das BAG hat auch einen französischen Käse aus entrahmter Milch bewilligt, der mit «0% Fett» angepriesen wird. In der Schweiz durften für Käse bislang einzig die beiden Bezeichnungen «fettarm» bzw. «fettfrei» verwendet werden.

Die abgewiesenen Gesuche stammen alle aus Deutschland. Meistens stellen nicht die Produkte als solche, sondern deren Anpreisung das Problem dar. Wird z.B. in der Schweiz ein Produkt mit der Aussage «schützt vor Erkältungen» angepriesen, dann findet auf dieses Produkt die Arzneimittelgesetzgebung Anwendung und nicht das Lebensmittelrecht. Dies bedeutet unter anderem, dass das derart beworbene Präparat über eine Marktzulassung gemäss Heilmittelgesetz verfügen muss. Arzneimittel sind vom Geltungsbereich des Cassis-de-Dijon-Prinzips ausgenommen.

Obligatorische Produktinformationen

Produktinformationen müssen auch unter dem revidierten THG grundsätzlich in mindestens einer Landessprache angegeben sein. Die Spezialgesetzgebung kann vorsehen, dass Sicherheitshinweise sogar dreisprachig (d/f/i) angegeben werden müssen.

Importe aus Deutschland, Österreich, dem Fürstentum Liechtenstein, Frankreich, Belgien und Italien werden die sprachlichen Anforderungen an die Produktinformation grundsätzlich erfüllen. Die Einfuhr eines Produkts mit z.B. ausschliesslich dänischer Produktinformation wird demgegenüber auch in Zukunft nicht möglich sein.

Vorbehalten bleibt in jedem Fall die Verpflichtung zur Angabe des Produktionslandes für Lebensmittel und Rohstoffe nach dem Lebensmittelgesetz.

Neue Möglichkeiten für in- und ausländische Anbieter

Die Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips verbessert nicht nur den Marktzugang für ausländische Anbieter aus dem EWR-Raum, welche in der Schweiz Produkte in Verkehr bringen wollen, sondern bringt auch für inländische Unternehmen Erleichterungen oder zumindest neue Möglichkeiten mit sich. So gilt neu, dass die in den EWR exportierenden schweizerischen Unternehmen ihre für den Export nach Produktevorschriften der EU oder eines EWR-Mitgliedstaates hergestellten Erzeugnisse auch in der Schweiz anbieten und sogar nicht-exportierende schweizerische Unternehmen ihre für den Binnenmarkt bestimmten Produkte nach den Vorschriften der EU bzw. eines EWR-Mitgliedstaates herstellen und in Verkehr bringen dürfen.

Das Marketing- und Werberechtsteam von meyerlustenberger berät Sie gerne, wenn Sie Fragen zu den neuen Möglichkeiten unter dem Cassis-de-Dijon-Prinzip haben.


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