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Am 20. Oktober 2011 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein erstes Grandsatzurteil in einem EU-Designrechtsfall (sog. Gemeinschaftsgeschmacksmuster, GGM) gefällt. Der Gerichtshof definiert darin den «informierten Benutzer», dessen Wahrnehmung für die Beurteilung der Eigenart eines Designs und der Gleichartigkeit des Gesamteindrucks im Vergleich mit einem anderen Design massgebend ist. Gemäss dem EuGH ist dieser als eine Person zu verstehen, die zwischen einem Durchschnittsverbraucher und einem Fachmann steht und die relevante Ware aufgrund seines Interesses mit vergleichsweise grosser Aufmerksamkeit benutzt. Der EuGH hält allerdings auch fest, dass minimale Abweichungen in Details vom informierten Benutzer nicht erkannt werden.
Ausgangslage
Der Fall betraf eine Streitigkeit zwischen der US-amerikanischen PepsiCo Inc. (nachfolgend: Pepsi) und der spanischen Grupo Promer Mon Graphic SA (nachfolgend: Grupo). Die Parteien befanden sich im Streit über ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für so genannte Tazos. Dabei handelt es sich um die Spielelemente für ein insbesondere in Spanien sehr populäres Spiel für Kinder und Jugendliche (Abbildungen finden sich im Urteil, Rz. 10 und 12).
Pepsi liess im Jahr 2003 beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) ein GGM für solche Tazos eintragen. Gegen diesen Eintrag stellte Grupo einen Antrag auf Nichtigkeitserklärung, da sie bereits früher ein ähnliches GGM eintragen liess und demjenigen von Pepsi deshalb die Eigenschaften der Neuheit und Eigenart fehlen würden. Das HABM hiess diesen Antrag gut. Es folgte ein Beschwerdeverfahren vor der Beschwerdekammer des HABM und dem Gericht der Europäischen Union (EuG). Dieses gab schliesslich Grupo Recht und bestätigte die Nichtigkeitserklärung des GGM von Pepsi (vgl. Pressemitteilung vom 18.03.2010). Gegen dieses Urteil des EuG erhob Pepsi ein Rechtsmittel an den EuGH und forderte von diesem, das angefochtene Urteil aufzuheben. Der EuGH wies das Rechtsmittel vollumfänglich ab.
Entscheid des EuGH
In seinem Urteil vom 20. Oktober 2011 (C-281/10 P) setzte sich der Gerichtshof zunächst mit dem Begriff des informierten Benutzers sowie dessen Grad an Aufmerksamkeit auseinander und definierte diese Aspekte erstmals in einem höchstrichterlichen Entscheid. Nach Ansicht des EuGH ist der informierte Benutzer eine Person, die vom Kenntnisstand her zwischen dem für das Markenrecht massgebenden Durchschnittverbraucher und dem für das Patentrecht massgebenden Fachmann mit umfangreichen technischen Fertigkeiten liegt. Mit anderen Worten sei der informierte Benutzer eine Person, der «eine durchschnittliche Aufmerksamkeit, aber eine besondere Wachsamkeit eigen ist», sei es wegen ihrer persönlichen Erfahrung oder ihrer umfangreichen Kenntnisse im betreffenden Bereich (Rz. 53). Der Gerichtshof war es dementsprechend folgerichtig, dass der informierte Benutzer im vorliegenden Fall gemäss dem EuG ein 5-10-jähriges Kind oder ein Marketingleiter einer Gesellschaft sein könne, welche durch die Abgabe von Tazos für ihre Produkte werbe.
Der EuGH führte weiter aus, dass im Designrecht grundsätzlich ein direkter Vergleich zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern vorgenommen werden müsse. Dies im Gegensatz zum Markenrecht, wo davon ausgegangen wird, dass der Durchschnittsverbraucher die ähnlichen Zeichen in der Regel nicht direkt nebeneinander sieht und sich deshalb auf seine Erinnerung verlassen muss. Der Gerichtshof erklärte die unterschiedliche Behandlung damit, dass es in der Natur des informierten Benutzers liege, dass er solche Designs wenn immer möglich einander direkt gegenüberstellt. Jedoch sei eine solche direkte Gegenüberstellung in Fällen, in denen sie ungewöhnlich oder undurchführbar sei, nicht vorzunehmen.
Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen definierte der EuGH anschliessend den Grad der Aufmerksamkeit des informierten Benutzers. Der informierte Benutzer nehme Geschmacksmuster zwar nicht nur als Ganzes wahr und achte somit grundsätzlich auf die verschiedenen Einzelheiten. Allerdings sei er kein Fachmann, der minimale Unterschiede zwischen Designs, im Detail feststellen kann. Die Bezeichnung „informiert“ setze somit voraus, dass der Benutzer verschiedene Geschmacksmuster im betroffenen Wirtschaftsbereich kennt und gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese gewöhnlich aufweisen. Aufgrund seines Interesses trete der informierte Benutzer den Produkten mit vergleichsweise grosser Aufmerksamkeit entgegen.
Nach Ansicht des EuGH ist das EuG in seinem Urteil von diesem Konzept ausgegangen und hat die Beurteilung rechtmässig vorgenommen. Auch wenn die Gestaltungsfreiheit bei der Herstellung der Tazos in verschiedener Hinsicht (notwendiger Einbezug der typischen Merkmale der Tazos, Produktsicherheit, Erfordernis der einfachen Beilage zu anderen Produkten) eingeschränkt war, und somit grundsätzlich bereits geringfügige Unterschiede zwischen den Designs für die Erzeugung eines unterschiedlichen Gesamteindrucks beim informierten Benutzer hätten ausreichen können, erweckte das Design von Pepsi im vorliegenden Fall den gleichen Gesamteindruck wie das ältere Design von Grupo. Gemäss dem EuG hätte Pepsi trotz eingeschränkter Gestaltungsfreiheit in verschiedener Hinsicht die Möglichkeiten zur Abweichung vom Design vom Grupo gehabt. Da davon jedoch kein Gebrauch gemacht wurde, konnte sich Grupo erfolgreich gegen das Design von Pepsi zur Wehr setzen.
Kommentar
Das Urteil enthält erstmals eine höchstrichterliche Definition des informierten Benutzers. Wichtig ist dabei vor allem, dass minimale Abweichungen zwischen verschiedenen Geschmacksmustern durch den informierten Benutzer nicht wahrgenommen werden. Übereinstimmungen mit geschützten Designs können deshalb nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass zwischen den Designs mininale Detailabweichungen bestehen. Ferner wird jeweils von Fall zu Fall zu entscheiden sein, ob die Geschmacksmuster einander direkt gegenübergestellt werden können oder ob spezielle Umstände vorliegen, die einen solchen Direktvergleich als ungewöhnlich oder undurchführbar erscheinen lassen.
Weitere Informationen:
- BR-News: «EuG: Nur sichtbare wesentliche Teile eines Designs beeinflussen den Gesamteindruck»
- Urteil C-281/10 P vom 20. Oktober 2011 (EuGH)
- Urteil T-9/07 vom 18.03.2010 (EuG)
- Pressemitteilung des EuG vom 18.03.2010
- Verordnung 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster
Ansprechpartner: Giuseppe Di Marco