EU-Kartellrecht: Entwurf des neuen Regelwerks zu horizontalen Abreden


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Nach einem ausführlichen Konsultationsverfahren hat die EU-Kommission am 4. Mai 2010 die Entwürfe für ein revidiertes Regelwerk zur kartellrechtlichen Prüfung horizontaler Abreden veröffentlicht. Neben der GVO für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen (FuE-GVO) und der Spezialisierungs-GVO, die am 31. Dezember 2010 auslaufen werden, hat die Kommission auch ihre Leitlinien für horizontale Abreden überarbeitet. Die Grundzüge des Regelwerks wurden beibehalten. Die Entwurfs-Leitlinien enthalten jedoch neuerdings Ausführungen über die Beurteilung des Informationsaustausches zwischen Unternehmen sowie ein grundlegend überarbeitetes Kapitel zu Vereinbarungen über Normen. Ferner soll die Freistellung nach der FuE-GVO künftig nur noch gelten, wenn die Parteien vor Beginn der Kooperation sämtliche relevanten Rechte des geistigen Eigentums offen legen. Schliesslich enthält der Entwurf der Spezialisierungs-GVO eine zusätzliche Marktanteilsschwelle von 20% für den Markt von nachgelagerten Produkten, die zur Anwendung kommt bei Vereinbarungen über die Herstellung von Zwischenprodukten, die eine Partei wiederum für die Produktion nachgelagerter Produkte verwendet.

Das aktuelle kartellrechtliche Regelwerk für horizontale Vereinbarungen bestehend aus der FuE-GVO (Nr. 2659/2000), der Spezialisierungs-GVO (Nr. 2658/2000) sowie der Leitlinien für horizontale Vereinbarungen gilt seit dem 1. Januar 2001. Darin wird insbesondere aufgezeigt unter welchen Voraussetzungen Vereinbarungen zwischen Unternehmen derselben Marktstufe vom «Kartellverbot» in Artikel 101 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) ausgenommen bzw. freigestellt sind. Da die beiden GVO am 31. Dezember 2010 auslaufen werden, hat die Kommission einen Überarbeitungsprozess mit einem Verfahren zur Konsultation der Mitgliedsstaaten und anderen Interessengruppen eingeleitet. Die Rückmeldungen haben gemäss der EU-Kommission gezeigt, dass sich die geltende Regelung bewährt habe. Dennoch seien gewisse Präzisierungen erforderlich, insbesondere um die Regeln in komplexen Bereichen klar zu stellen.

Eine erste wesentliche Änderung in den Entwurfs-Leitlinien (Tz. 13 f.) betrifft die Frage, welche Regeln auf Vereinbarungen anzuwenden sind, die verschiedene Stufen der Zusammenarbeit zum Gegenstand haben (z.B. sowohl Forschung und Entwicklung als auch Produktion). Hierbei wird nach den Entwurfs-Leitlinien nicht mehr auf den Schwerpunkt der Zusammenarbeit abgestellt (sog. «centre of gravity test»). Vielmehr soll neu der «am weitesten vorgelagerte unerlässliche Baustein» der Kooperation darüber bestimmen, welches Kapitel der Leitlinien als Ausgangspunkt für die Prüfung dient. Eine Vereinbarung, die sowohl die gemeinsame «FuE» als auch die gemeinsame Produktion der Ergebnisse umfasst, wäre somit ausgehend vom Kapitel über FuE-Vereinbarungen zu prüfen.

Die Entwurfs-Leitlinien enthalten neuerdings auch ein Kapitel (Tz. 54 ff.) über die Beurteilung des Informationsaustausches zwischen Unternehmen. Darin betont die Kommission zunächst, dass von einem Informationsaustausch wettbewerbsfördernde Wirkungen in Form von Effizienzgewinnen ausgehen können, insbesondere im Fall des Austauschs von statistischen Daten oder allgemeinen Marktinformationen («Benchmarking»-Daten). Demgegenüber wird beim Austausch von Informationen über Marktstrategien, z.B. bzgl. zukünftiger Preise oder Mengen, angenommen, dass damit eine Beschränkung des Wettbewerbs angestrebt wird.

Grundlegend überarbeitet und ausgebaut wurde in den Entwurfs-Leitlinien das Kapitel zu Vereinbarungen über Normen (Tz. 252 ff.). Derartige Vereinbarungen bezwecken gemäss den Leitlinien im Wesentlichen die Festlegung technischer oder qualitätsbezogener Anforderungen an bestehende oder zukünftige Produkte, Herstellungsverfahren und Methoden. Die Erfahrung der Kommission habe gezeigt, dass insbesondere die fehlende Transparenz im Zusammenhang mit Immaterialgüterrechten während des Selektionsverfahrens einer Norm zu Problemen führt. Insbesondere sei jeweils unklar, zu welchen Bedingungen ein Immaterialgüterrechts-Inhaber, dessen Technologie in die Norm aufgenommen wurde, den Zugang dazu gewähren wird. Die Leitlinien halten nun ausdrücklich fest, dass Normenorganisationen eine «gutgläubige Offenlegung» der für die Norm relevanten Rechte des geistigen Eigentums verlangen können, um Unternehmen von einer missbräuchlichen Ausnutzung von Marktmacht zu schützen. Ferner dürfen alle Inhaber von Rechten, die in die Norm einfliessen könnten, dazu verpflichtet werden, eine schriftliche Verpflichtung abzugeben, wonach sie Dritten zu fairen, zumutbaren und diskriminierungfreien Bedingungen Lizenzen für diese Rechte erteilen werden (sog. FRAND-Selbstverpflichtung).

Eine weitere wichtige Neuerung in den Entwurfs-Leitlinien (Tz. 11) betrifft die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Vereinbarungen zwischen Gemeinschaftsunternehmen (Joint Ventures) und ihren Muttergesellschaften. Danach sei das Kartellverbot in Art. 101 AEUV auf solche Vereinbarungen grundsätzlich nicht anwendbar, sofern die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens dem EU-Wettbewerbsrecht nicht zuwiderlaufe. Jedoch könnte Artikel 101 AEUV für Vereinbarungen zwischen den Muttergesellschaften gelten, die nicht das Gemeinschaftsunternehmen betreffen, sowie für Vereinbarungen zwischen den Muttergesellschaften über die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens.

Im Entwurf der FuE-GVO hat die Kommission neben einigen sprachlichen Präzisierungen und Klarstellungen in Bezug auf gewisse Kernbeschränkungen insbesondere eine neue Freistellungsvoraussetzung eingeführt. Danach ist eine FuE-Vereinbarung nur vom Kartellverbot freigestellt, wenn sich die Parteien darin verpflichten, vor Beginn der Kooperation sämtliche relevanten Rechte des geistigen Eigentums offen zu legen. Auch derEntwurf der Spezialisierungs-GVO enthält einige Klarstellungen, insb. dahingehend, dass die Freistellung auch gilt, wenn ein Unternehmen seine Produktion nur teilweise einstellt. Ferner wurde eine zusätzliche Marktanteilsschwelle von 20% für den Markt von nachgelagerten Produkten eingeführt, die zur Anwendung kommt bei Vereinbarungen über die Herstellung von Zwischenprodukten, die eine Partei wiederum für die Produktion nachgelagerter Produkte verwendet. Schliesslich wurde in beiden Verordnungen die Definition von «potenziellen Wettbewerbern» präzisiert.

Updates:

BR-News vom 17.12.2010: «EU-Kartellrecht: Revision der Vorschriften für horizontale Abreden verabschiedet» BR-News vom 14.03.2012: «EU-Kartellrecht: Vorschlag zur Revision der Vorschriften für Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO)»

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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