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Wer auf seiner weltweit abrufbaren Website urheberrechtlich geschützte Musik verwendet, muss hierfür nach aktueller Praxis der Kollektivverwertungsgesellschaften grundsätzlich von jeder nationalen Verwertungsgesellschaft eine Lizenz einholen. Die EU-Kommission gelangte im Jahr 2008 zum Schluss, dass diese Praxis auf einer kartellrechtswidrigen Abrede zwischen Verwertungsgesellschaften basiert. In einer Reihe von Urteilen vom 12. April 2013 hat das Europäische Gericht (erste Instanz) nun die entsprechende Entscheidung der Kommission teilweise aufgehoben. Infolgedessen dürfte es bis auf Weiteres dabei bleiben, dass grundsätzlich keine europaweiten Lizenzen erteilt werden. Dies könnte sich jedoch in absehbarer Zeit ändern, wenn ein von der Kommission ausgearbeiteter Richtlinienvorschlag angenommen wird.
Kollektivverwertung von Urheberrechten
Die Urheberrechtsgesetze verleihen den Urhebern von Musik- und anderen Werken exklusive Nutzungsrechte. Grundsätzlich ist es somit ausschliesslich der Urheber, der darüber bestimmen kann, wer unter welchen Bedingungen seine Werke verwenden darf. Da jedoch die individuelle Erteilung von Lizenzen an sämtliche interessierten Nutzer und die Überwachung und Durchsetzung der Rechte sehr aufwendig ist, werden die Nutzungsrechte vielfach vertraglich oder von Gesetzes wegen an Kollektivverwertungsgesellschaften übertragen. Diese Gesellschaften, in der Schweiz insb. die SUISA, verwalten die Rechte ihrer Mitglieder bzw. der Urheber, erteilen Lizenzen an Nutzer und verteilen letztlich die eingenommenen Lizenzgebühren unter den Mitgliedern.
CISAC-Mustervertrag für Gegenseitigkeitsvereinbarungen
Die nationalen Kollektivverwertungsgesellschaften aus über 120 Ländern haben sich in dem 1926 gegründeten Dachverband CISAC zusammengeschlossen. In diesem Rahmen haben die Mitglieder einen unverbindlichen Mustervertrag für sog. Gegenseitigkeitsvereinbarungen ausgearbeitet, dessen ursprüngliche Fassung auf das Jahr 1936 zurückgeht und seither mehrfach geändert wurde. In den einzelnen darauf abgestützten Gegenseitigkeitsvereinbarungen räumen sich die Verwertungsgesellschaften gegenseitig insbesondere das Recht ein, ihr jeweiliges Musikwerk-Repertoire an interessierte Nutzer weiter zu lizenzieren. Das aus der Vielzahl von Verträgen entstehende Netz aus Gegenseitigkeitsvereinbarungen ermöglicht jeder Verwertungsgesellschaft, ein globales Portfolio aus Musikwerken anzubieten.
Entscheid der EU-Kommission im Jahr 2008
Vor diesem Hintergrund beantragte der Rundfunk- und Fernsehkonzern RTL im Jahr 2000 bei einer nationalen Verwertungsgesellschaft eine europaweite Lizenz für die Verwendung von Musik in ihren Rundfunksendungen. Entsprechend der Praxis der Verwertungsgesellschaften, Lizenzen nur für Nutzungen innerhalb ihres Staatsgebiets zu erteilen, wurde die Lizenzerteilung an RTL verweigert. Daraufhin reichte RTL bei der EU-Kommission eine Beschwerde ein. Drei Jahre später folgte aus demselben Grund eine Beschwerde des Online Radio- und Fernsehdienstanbieters Music Choice Europe.
Nach Abschluss des Verfahrens gegen 24 Verwertungsgesellschaften mit Sitz im EWR gelangte die EU-Kommission im Jahr 2008 zum Schluss, dass gewisse Klauseln des CISAC-Mustervertrags gegen das EU-Kartellrecht verstossen. Es handelte sich zum einen um die sog. Mitgliedschaftsklausel, welche im Ergebnis dazu führte, dass die Verwertungsgesellschaften grundsätzlich nur Urheber aufnehmen dürfen, welche die Staatsangehörigkeit des Landes besitzen, in welchem die Gesellschaft ihre Tätigkeit ausübt. Zum anderen erachtete die Kommission auch eine Ausschliesslichkeitsklausel als unzulässig. Durch diese Vertragsbestimmung erteilten sich die Verwertungsgesellschaften gegenseitig das ausschliessliche Recht, in ihren Tätigkeitsgebieten die Werke aus dem nationalen Repertoire weiter an Nutzer zu lizenzieren. Diese beiden Klauseln wurden im Jahr 2004 bzw. 1996 aus dem CISAC-Mustervertrag entfernt. Im Verlaufe des Verfahrens konnte jedoch nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob die Klauseln auch aus allen Gegenseitigkeitsvereinbarungen der Gesellschaften gestrichen wurden.
In den Musterverträgen werden die Verwertungsgesellschaften darüber hinaus nach wie vor aufgefordert, ihre jeweiligen Tätigkeitsgebiete zu definieren und sich jeder Einmischung in das Gebiet des Vertragspartners zu enthalten (vgl. Art. 6 des aktuellen Mustervertrags). Nach Ansicht der Kommission haben die Verwertungsgesellschaften diese Vorgabe des Mustervertrags durch eine unzulässige abgestimmte Verhaltensweise umgesetzt, indem sie allesamt den Nutzern lediglich Lizenzen erteilten, die auf das Gebiet des Landes beschränkt waren, in welchem die jeweilige Gesellschaft ansässig ist.
In ihrer Entscheidung vom Juli 2008 (Comp/C2/38.698) untersagte die Kommission den betroffenen Gesellschaften deshalb, den Wettbewerb durch entsprechende Abreden zu beschränken. Sie betonte jedoch, dass das Verfahren nur die Verwertung von Urheberrechten im Internet, über Satellit und Kabel betrifft und die Existenz der Gegenseitigkeitsvereinbarungen an sich nicht in Frage stellt. Geldbussen wurden denn auch keine verhängt. In der Folge haben der Grossteil der Gesellschaften sowie die CISAC die Entscheidung beim Europäischen Gericht (erste Instanz, EuG) angefochten.
Urteil des Europäischen Gerichts
Das Verfahren und die Entscheidung der Kommission haben zu kontroversen Diskussionen geführt. Die Kritiker beanstandeten insbesondere, dass die Kommission mit ihrer ausschliesslichen Orientierung an der Marktrationalität ausschliesslich jene Musik begünstige, die heute für die grenzüberschreitende Verwertung hohe Einkünfte verspricht, und der innovativeren, anspruchsvolleren Musik den Marktzugang erschwere. Vor diesem Hintergrund wurde mit Spannung auf eine gerichtliche Entscheidung gewartet.
Am 12. April 2013, also rund 13 Jahre nach der Beschwerde von RTL, hat das EuG nun die massgebenden Urteile veröffentlicht. Darin bestätigt das Gericht in einem ersten Schritt die Unzulässigkeit der Mitgliedschaftsklausel, da damit ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt werde. Die Klausel ziele nämlich darauf ab, es den Verwertungsgesellschaften zu ermöglichen, die Urheber nach ihrer Staatsangehörigkeit untereinander aufzuteilen. Nach Ansicht des Gerichts teilten die Verwertungsgesellschaften folglich mit dieser Klausel den Binnenmarkt untereinander auf und schotteten die einzelnen Märkte gegeneinander ab. Das teilweise vorgebrachte Argument, wonach die Rechteinhaber sich ganz selbstverständlich an die in ihrem Land ansässige Verwertungsgesellschaft wendeten, vor allem aus sprachlichen und kulturellen Gründen und weil diese Gesellschaft den lokalen Markt kenne, wurde dabei verworfen.
In einem nächsten Schritt stützte das Gericht auch den Entscheid der Kommission hinsichtlich der Ausschliesslichkeitsklausel. Diese Klausel sehe vor, dass die Verwertungsgesellschaft A der Verwertungsgesellschaft B das ausschliessliche Recht einräumt, im Gebiet B Lizenzen für das Repertoire A zu erteilen – und umgekehrt. Nach dieser Klausel könne ausser der Verwertungsgesellschaft B keine andere Verwertungsgesellschaft im Gebiet B eine Lizenz für das Repertoire A erteilen. Im Übrigen schliesse sie auch die Erteilung von Direktlizenzen aus, d.h. die Möglichkeit einer Verwertungsgesellschaft einem Nutzer unmittelbar eine nur ihr eigenes Repertoire betreffende Lizenz für Aufführungen zu erteilen, die im Inlandsgebiet einer anderen Verwertungsgesellschaft stattfänden. Nach Ansicht des Gerichts wurde dementsprechend auch mit der Ausschliesslichkeitsklausel ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt (vgl. zu den Erwägungen zur Mitgliedschafts- und zur Ausschliesslichkeitsklausel das T‑401/08 (TEOSTO)).
In ihrem Verfahren konnte Kommission nicht gegenüber allen Verwertungsgesellschaften nachweisen, dass die beiden Klauseln in ihren Gegenseitigkeitsverträgen verwendet wurden. Eine kartellrechtlich unzulässige Abrede kann jedoch nicht bloss durch schriftliche Vertragsklauseln getroffen bzw. nachgewiesen werden, sondern es genügt grundsätzlich bereits eine „abgestimmte Verhaltensweise“. Selbstredend ist der Nachweis einer solchen Abrede ungleich schwieriger zu erbringen. Das Gericht gelangte denn auch zum Schluss, dass die Kommission nicht ausreichend bewiesen hat, dass die Praxis der einzelnen Verwertungsgesellschaften, ihre Lizenzen auf das Gebiet des jeweiligen EWR-Landes zu beschränken, in dem sie ansässig sind („Gebietsbeschränkung auf das Inland“), auf eine abgestimmte Verhaltensweise zurückzuführen ist.
Namentlich stellt die blosse Tatsache, dass sich die Gesellschaften im Rahmen der von der CISAC geleiteten Aktivitäten getroffen haben und Formen der Zusammenarbeit zwischen ihnen existieren, nach Ansicht des Gerichts kein Indiz für eine verbotene Abstimmung dar. Ferner seien die Ausschliesslichkeitsklausel und die Gebietsbeschränkungen auf das Inland auch verschiedenartig, weshalb es sich bei Letzteren, nach der Entfernung der Ausschliesslichkeitsklauseln aus den Gegenseitigkeitsverträgen, auch nicht um die Fortsetzung derselben Beschränkung mit anderen Mitteln handle.
Darüber hinaus bestehen nach Ansicht des Gerichts auch plausible Erklärungen dafür, dass grundsätzlich sämtliche Verwertungsgesellschaften ihre Lizenzen auf das Inland beschränken. Es stützte sich namentlich darauf ab, dass die Verwertungsgesellschaften für die wirksame Bekämpfung unbefugter Nutzungen von Musikwerken über eine Präsenz vor Ort verfügen müssten. Die Kommission war der Ansicht, dass bei Kontrollen, für die tatsächlich eine Präsenz vor Ort erforderlich wäre, mit der ortsansässigen Verwertungsgesellschaft zusammengearbeitet werden könne. Das Gericht beanstandete jedoch, dass die Kommission nicht erläutert habe, wie eine solche Zusammenarbeit funktionieren soll, wenn sich die Verwertungsgesellschaften gegenseitig als Wettbewerber ansehen würden. Die Kommission argumentierte ferner, dass insbesondere für die Verwertung von Urheberrechten im Internet technische Lösungen bestehen, die eine Kontrolle von Lizenznehmern aus der Ferne ermöglichten. Dieses Argument vermochte das Gericht jedoch ebenso wenig zu überzeugen. Denn diese Erklärung gelte nur für die Überwachung erteilter Lizenzen; beantworte aber nicht die Frage, wie und durch wen unbefugte Nutzungen aufgespürt und verfolgt werden. Die diesbezüglichen Ausführungen der Kommission waren nach Ansicht des Gerichts unzureichend (vgl. zu den Erwägungen hinsichtlich des abgestimmten Verhaltens z.B. das Urteil T‑410/08 (GEMA)).
Fazit und Ausblick
Vor diesem Hintergrund stützte das EuG den Entscheid der Kommission hinsichtlich der Mitgliedschafts- und der Ausschliesslichkeitsklausel, erklärte ihn jedoch mangels ausreichendem Beweis für nichtig in Bezug auf die abgestimmte Verhaltensweise unter den Verwertungsgesellschaften. Die Kommission hat nun noch die Möglichkeit die Urteile beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzufechten. Macht sie hiervon keinen Gebrauch, stellt sich die Frage nach den Konsequenzen dieser Gerichtsurteile.
Da die Mitgliedschafts- und die Ausschliesslichkeitsklausel bereits vor der Entscheidung der Kommission aus dem CISAC-Mustervertrag entfernt wurden, dürften die Auswirkungen auf die Praxis gering sein. Solange die Verwertungsgesellschaften in ihren Gegenseitigkeitsvereinbarungen keine vergleichbaren Klauseln verwenden oder eine abgestimmte Verhaltensweise mit anderen Mitteln nicht nachgewiesen werden kann, scheint ein Vorgehen gegen die Praxis der Verwertungsgesellschaften, keine europaweiten oder internationalen Lizenzen zu erteilen, aus kartellrechtlicher Sicht ausgeschlossen zu sein.
Die EU-Kommission hat jedoch bereits im Juli 2012 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten veröffentlicht. Ziel dieser Richtlinie ist insbesondere die Förderung der Vergabe von Mehrgebietslizenzen. Nach dem Vorschlag soll eine Verwertungsgesellschaft allerdings entscheiden können, ob sie selbst die Mehrgebietslizenzen für ihr Repertoire erteilt oder eine andere Gesellschaft damit betraut. Für den Fall, dass eine Verwertungsgesellschaft keine Mehrgebietslizenzen erteilt oder anbietet und keine andere Verwertungsgesellschaft damit beauftragen will, sollen die Rechteinhaber jedoch die Möglichkeit haben, Lizenzen zur Verwertung ihrer Online-Rechte selbst zu vergeben. Das EU-Parlament wird voraussichtlich Ende November 2013 in erster Lesung über den Richtlinien-Vorschlag beraten.
Weitere Informationen:
- Urteil des Gerichts T‑401/08 (TEOSTO)
- Urteil des Gerichts T‑410/08 (GEMA)
- Pressemitteilung des EuG vom 12.4.2013
- Richtlinien-Vorschlag über die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für die Online-Nutzung (COM(2012) 372 final)
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Michael Schüepp