EU-Kartellrecht: Vorschlag zur Revision der Vorschriften für Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO)


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In der EU bestehen bereits seit den 80er Jahren kartellrechtliche Sondervorschriften für Lizenzvereinbarungen. Die aktuelle Verordnung (sog. TT-GVO) gilt im Wesentlichen für Lizenzverträge, welche die Herstellung von Produkten zum Ziel haben, und schafft für die Parteien, die sich an die Vorgaben der Verordnung halten, einen „sicheren Hafen“ (safe harbour). Ende Februar 2013 hat die EU-Kommission einen Entwurf für den neuen kartellrechtlichen Rahmen für diese sog. Technologietransfer-Vereinbarungen veröffentlicht. In der Vorlage werden verschiedene Änderungen gegenüber der geltenden Verordnung und den dazugehörigen Leitlinien vorgeschlagen, welche im Mai 2014 in Kraft treten sollen. Das Grundkonzept, wonach sich eine Vereinbarung im „sicheren Hafen“ befindet, wenn die Parteien bestimmte Marktanteilsschwellen nicht überschreiten und keine der aufgelisteten Klauseln vorsehen, wird beibehalten. Jedoch wird beispielsweise vorgeschlagen, die Marktanteilsschwellen für gewisse Vereinbarungen zu senken und eine Ausnahme für eine derzeit zulässige Beschränkung von sog. Passivverkäufen zu streichen. Neben Änderungen betreffend „exklusive Rücklizenzen“ hat die Kommission in ihren Leitlinien insbesondere die Erläuterungen zur Zulässigkeit von sog. Technologiepools wesentlich erweitert.

Grundlegendes zum EU-Kartellrecht

Im EU-Kartellrecht sind grundsätzlich sämtliche wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen verboten. Für die Praxis sind deshalb die sog. Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) von besonderer Bedeutung. Diese legen fest, unter welchen Voraussetzungen Vereinbarungen zwischen unabhängigen Unternehmen vom allgemeinen Kartellverbot ausgenommen sind.

Die Einhaltung der Vorgaben dieser Verordnungen bietet den Unternehmen gewissermassen einen „sicheren Hafen“. Eine Vereinbarung wird danach ausdrücklich für zulässig erklärt, wenn die Verträge keine der darin aufgeführten Klauseln enthalten und die Vertragsparteien auf den relevanten Märkten bestimmte Marktanteilsschwellen nicht überschreiten.

Sind die Voraussetzungen der Verordnungen nicht erfüllt, bedeutet das zwar noch nicht, dass die Vereinbarung verboten ist. Allerdings muss die Zulässigkeit in diesem Fall von den Vertragsparteien nachgewiesen werden können (sog. Einzelfreistellung), was insbesondere bei einem Grossteil der aufgeführten Klauseln, den sog. Kernbeschränkungen, nur sehr schwer möglich ist.

Anwendungsbereich der TT-GVO

Für die kartellrechtliche Beurteilung von Lizenzverträgen ist unter anderem die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 772/2004 bedeutsam. Diese gilt für sog. Technologietransfer-Vereinbarungen. Vereinfacht gesagt werden darunter Vereinbarungen verstanden, in welcher der Lizenzgeber einem Lizenznehmer das Recht zur Nutzung seiner Technologie für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen gewährt. Für eine Freistellung nach der TT-GVO kommen somit nur Lizenzvereinbarungen in Betracht, die es einem Lizenznehmer ermöglichen, bestimmte Produkte herzustellen, die die lizenzierte Technologie enthalten oder mit ihrer Hilfe produziert wurden.

Zu beachten ist jedoch stets, dass Lizenzvereinbarungen im Allgemeinen auch von den folgenden Verordnungen erfasst sein können:

Grundzüge der TT-GVO

Technologietransfer-Vereinbarungen sind nach der TT-GVO zulässig, wenn die Parteien die vorgesehenen Marktanteilsschwellen nicht überschreiten und die Vereinbarung keine der aufgelisteten Klauseln enthält. Für beide Voraussetzungen wird jeweils danach unterschieden, ob die Vertragsparteien konkurrierende Unternehmen sind oder nicht. Vereinbarungen zwischen Konkurrenten (sog. horizontale Abreden) sind nach der TT-GVO nur dann vom Kartellverbot freigestellt, wenn der kombinierte Marktanteil der Parteien auf dem relevanten Technologie- und Produktmarkt 20 % nicht überschreitet. Vereinbarungen zwischen nicht konkurrierenden Unternehmen sind nur dann freigestellt, wenn der individuelle Marktanteil der Parteien 30 % nicht überschreitet.

Für eine Freistellung von Vereinbarungen zwischen Konkurrenten ist sodann vorausgesetzt, dass insbesondere keine Klauseln vereinbart werden, die Folgendes bezwecken:

  • die Beschränkung der Möglichkeit, den Preis, zu dem Produkte an Dritte verkauft werden, selber festzusetzen;
  • die Beschränkung des Outputs (wobei bestimmte Ausnahmen bestehen);
  • die Zuweisung von Märkten oder Kunden (hier bestehen jedoch zahlreiche Ausnahmen);
  • die Beschränkung der Möglichkeit des Lizenznehmers, seine eigene Technologie zu verwerten, oder die Beschränkung der Möglichkeit der Vertragsparteien, Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durchzuführen (wobei auch hier eine Ausnahme besteht).

Neben der Einhaltung der Marktanteilsschwelle wird bei Vereinbarungen zwischen nicht konkurrierenden Unternehmen für eine Freistellung zusätzlich vorausgesetzt, dass insbesondere keine Klauseln vereinbart werden, die Folgendes bezwecken:

  • die Beschränkung der Möglichkeit, den Preis, zu dem Produkte an Dritte verkauft werden, selber festzusetzen (unschädlich sind jedoch grundsätzlich Höchstverkaufspreise);
  • die Beschränkung des Gebiets oder des Kundenkreises, in das oder an den der Lizenznehmer Produkte passiv, d.h. (vereinfacht) ohne den Kunden zu einer Bestellung aktiv aufgefordert zu haben, verkaufen darf (hier bestehen wiederum zahlreiche Ausnahmen);
  • die Beschränkung des Verkaufs an Endverbraucher zulasten eines Lizenznehmers, der in einem selektiven Vertriebssystem auf der Einzelhandelsstufe tätig ist.

Die einzelnen Ausnahmen und die weiteren problematischen Klauseln können Art. 4 und 5 der TT-GVO entnommen werden.

Änderungsvorschläge der EU-Kommission

Die geltende Regelung der Verordnung Nr. 772/2004 wird im April 2014 ausser Kraft treten. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission Ende Februar 2013 den Entwurf der neuen Verordnung sowie der neuen Leitlinien veröffentlicht (vgl. die Pressemitteilung vom 20. Februar 2013). Die Grundzüge des geltenden Regelwerks werden dabei übernommen. Die bestehenden Vorschriften sollen jedoch aktualisiert werden, um die Anreize für Forschung und Innovation zu erhöhen, die Verbreitung geistigen Eigentums zu erleichtern und den Wettbewerb zu beleben. Zu diesem Zweck schlägt die EU-Kommission insbesondere die folgenden Änderungen vor:

  • Eine wesentliche Änderung besteht in der Einführung einer neuen Markanteilsschwelle. Für Vereinbarungen zwischen Nicht-Konkurrenten, bei welchen der Lizenznehmer über eine Technologie verfügt, die mit der lizenzierten Technologie substituierbar ist und die er ausschliesslich für die firmeninterne Herstellung verwendet, soll künftig die Marktanteilsschwelle für Vereinbarungen zwischen Konkurrenten gelten, d.h. die Parteien dürfen zusammen nicht über mehr als 20 % Marktanteil verfügen. Die Kommission begründet dies damit, dass ein Lizenznehmer in einer solchen Konstellation den nachgelagerten Markt abschotten könnte, indem er eine exklusive Lizenzvereinbarung mit dem einzigen Unternehmen, das susbsituierbare Technologie weiterlizenziert, abschliesst.
  • Nach Ansicht der Kommission sollen Vereinbarungen zwischen nicht konkurrierenden Unternehmen, welche einen Lizenznehmer während den ersten zwei Jahren in seinem Exklusivgebiet vor passiven Verkäufen durch andere Lizenznehmer schützen, künftig Kernbeschränkungen darstellen und nicht mehr automatisch durch die TT-GVO freigestellt sein. Die derzeit hierfür vorgesehene Ausnahme soll gestrichen werden. In Einzelfällen sollen diese Vereinbarungen jedoch nach wie vor zulässig sein können, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie für den Einstieg in einen neuen Markt objektiv erforderlich sind.
  • In dem Verordnungs-Entwurf ist vorgesehen, dass sämtliche exklusive Rücklizenzen, die den Lizenznehmer verpflichten, dem Lizenzgeber für eigene Verbesserungen an der lizenzierten Technologie eine Exklusivlizenz zu erteilen, nicht mehr durch die TT-GVO freigestellt sind. Auf die in der geltenden Verordnung enthaltene Unterscheidung zwischen abtrennbaren Verbesserungen und nicht-abtrennbaren Verbesserungen soll dementsprechend verzichtet werden. Die übrigen Bestimmungen einer Lizenzvereinbarung, die solche exklusive Rücklizenzen enthält, können aber wie bisher dennoch von der GVO erfasst und damit zulässig sein.
  • Neben Vereinbarungen, die einem Lizenznehmer verbieten, die Gültigkeit des lizenzierten Immaterialgüterrechts anzufechten, sollen künftig auch Vereinbarungen, die für diesen Fall ein Kündigungsrecht des Lizenzgebers vorsehen, nicht mehr durch die TT-GVO freigestellt werden. In Einzelfällen soll deren Zulässigkeit jedoch nach wie vor nachgewiesen werden können.
  • Bedeutsam für die Praxis sind schliesslich auch die neuen Erläuterungen in den überarbeiteten Leitlinien im Zusammenhang mit Technologie-Pools. Die Kommission stellt darin insbesondere den Grundsatz auf, dass eine Lizenzvereinbarung zwischen einem Technologie-Pool und Dritten nicht von der TT-GVO erfasst wird. Begründet wird dies damit, dass die TT-GVO nur für Vereinbarungen zwischen zwei Parteien gelte und es sich in diesem Fall um eine Mehrparteien-Vereinbarung handle, weil die Mitglieder des Pools die Bedingungen für die Lizenzierung an Dritte in der Regel gemeinsam festlegen. Unabhängig von der Anzahl Parteien fallen nach Ansicht der Kommission auch Vereinbarungen zur Gründung von Technologiepools und zur Festlegung ihrer Funktionsweise nicht unter die TT-GVO, da mit einer solchen Vereinbarung nicht einem Lizenznehmer die Produktion von Produkten ermöglicht wird. Darüber hinaus erläutert die Kommission in den Leitlinien aber auch, unter welchen Voraussetzungen die Einrichtung und der Betrieb eines Technologie-Pools kartellrechtlich unbedenklich sein können.

Bedeutung für Schweizer Unternehmen

Die vorgeschlagenen Änderungen sind auch für Schweizer Lizenzgeber und Lizenznehmer von Bedeutung. Denn sämtliche Lizenzvereinbarungen, die den Wettbewerb in EU-Märkten spürbar beeinträchtigen können, müssen grundsätzlich die Vorgaben des EU-Kartellrechts beachten. Darüber hinaus sind die möglichen Änderungen auch für die Beurteilung von Lizenzvereinbarungen nach schweizerischem Kartellrecht nicht unbedeutend. Denn die Eidgenössische Wettbewerbskommission (WEKO) orientiert sich regelmässig auch an den Vorgaben des EU-Kartellrechts und der Praxis der EU-Kommission. Dementsprechend sollten auch Schweizer Unternehmen die weitere Entwicklung des Revisions-Prozesses im Auge behalten.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Michael Schüepp


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