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Das Gericht der Europäischen Union (EuG) entschied vor kurzem, dass bei der Beurteilung, ob ein Design Eigenart aufweise, nur diejenigen Teile zu berücksichtigen sind, die bei gewöhnlicher Anwendung sichtbar sind. Es stützte eine Nichtigkeitserklärung des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (HABM), indem es weiter feststellte, dass kleinere Abweichungen zwischen verschiedenen Designs nicht zu berücksichtigen sind: der informierte Benutzer stellt nur auf die für ihn sichtbaren wesentlichen Bestandteile eines Produkts ab und nur diese sind geeignet, seinen Gesamteindruck zu beeinflussen.
Der durch das Gericht zu beurteilende Sachverhalt stellte sich folgendermassen dar: Im April 2004 liess die Kwang Yang Motor Co. Ltd. (nachfolgend «Kwang») beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) erfolgreich ein so genanntes Gemeinschaftsgeschmacksmuster (in der ganzen EU gültiger Designschutz) für einen Rasenmäher-Motor eintragen. Im Mai 2005 beantragte die Honda Giken Kogyo Kubushiki Kaisha (nachfolgend «Honda»), das eingetragene Design sei für nichtig zu erklären, weil es die Voraussetzungen an die Neuheit und Eigenart nicht erfülle. Konkret berief sich Honda darauf, dass sie bereits Jahre zuvor in den USA ein entsprechendes Design eintragen liess. Diesen Antrag wies die Nichtigkeitsabteilung des HABM im August 2006 ab, worauf Honda im Oktober 2006 Beschwerde an die Beschwerdekammer des HABM erhob. Diese hiess die Beschwerde im Oktober 2007 gut und erklärte das Design für nichtig, da es die Voraussetzungen an die Eigenart nicht erfülle, da es sich im Gesamteindruck nicht vom früher eingetragenen Honda-Design unterscheide. Gegen diesen Entscheid erhob Kwang im Januar 2008 Klage an das Gericht der Europäischen Union (EuG). Dieses weist die Klage mit den Urteilen Nr. T-10/08 und T-11/08 vom 9. September 2011 ab und bestätigt den Entscheid der Beschwerdekammer des HABM.
Das EuG bestätigte in seiner Urteilsbegründung die Ansicht der Beschwerdekammer des HABM, dass es bei der Prüfung des Designschutzes von Rasenmäher-Motoren nur auf die Oberseite des Motors ankomme, weil die Benutzer eines Rasenmähers bei gewöhnlichem Gebrauch hinter diesem stehen und folglich nur eine Sicht auf die Motorenoberseite haben würden. Die Oberseite eines Rasenmäher-Motors würde somit den Gesamteindruck bestimmen. Das EuG stellte sich die Frage, ob sich die für den so genannten «informierten Benutzer» (Art. 6 der VO über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster) sichtbaren Teile des Motors in genügender Weise vom Motor Hondas unterscheiden würden und damit die Voraussetzung der Eigenart erfüllt sei. Das EuG beantwortete diese Frage in drei Schritten: Es definierte als erstes den für die Beurteilung relevanten informierten Benutzer (Rz. 23-30 des Urteils), untersuchte als nächstes die Freiheit des Designers bei der Gestaltung des Motors (Rz. 31-38) und verglich danach den Gesamtendruck der beiden Designs/Motoren (Rz. 39-45).
Sicht auf die Oberseite des Motors von Kwang
Sicht auf die Oberseite des Motors von Honda
Nach der ständigen Rechtsprechung gehört zum informierten Benutzer diejenige Person, die weder Hersteller noch Verkäufer der relevanten Ware ist, jedoch über gewisse Kenntnisse über die betroffenen Produkte verfügt. Gemäss EuG wisse der informierte Benutzer in der Regel jedoch nicht, welche Bestandteile und Formen des Produkts technisch notwendig seien und welche frei gestaltet werden könnten. Im vorliegenden Fall sei an eine Person zu denken, die einen Rasenmäher kaufen wolle und sich darüber informiert habe. Relevant für die Beurteilung des Designschutzes sei deshalb die Sicht eines potenziellen, informierten Käufers.
Als nächstes untersuchte das Gericht die Freiheit des Designers bei der Gestaltung des Motors. Relevant war diese Frage deshalb, weil bei kleinerer Gestaltungsfreiheit bereits kleine Abweichungen ausreichen würden, um eine Eigenart im Gesamteindruck zu begründen. Das Gericht bestätigte auch in dieser Frage die Meinung der Vorinstanz, wonach hier nur die Gestaltung der sichtbaren Oberseite des Motors entscheidend sei. Es sei keine Einschränkung der Freiheit bei der Gestaltung der Oberseite des Motors ersichtlich, denn diese könne durch den Designer beliebig gestaltet werden. Hinzu komme, dass die relevanten Teile des Motors beliebig angeordnet werden könnten, ohne dabei die Funktionalität des Gesamtprodukts zu beeinträchtigen. Das EuG ging deshalb in Übereinstimmung mit dem HABM von einer grossen Freiheit des Designers bei der Gestaltung des Motors aus.
Als letztes verglich das Gericht die beiden Motorendesigns in Bezug auf den Gesamteindruck, den der informierte Benutzer vom Motor erhält. Es stellte dabei fest, dass die bei gewöhnlicher Nutzung sichtbaren wesentlichen Motorenteile grundsätzlich die gleiche Form aufweisen und aus fünf Grundbestandteilen bestehen würden (Rz. 42). Es seien dies das Gehäuse, die Ventile, der Benzintank, der Luftfilter sowie der Auspuffdeckel. Im zu beurteilenden Fall seien die Motorenteile um den Benzintank, der bei beiden Motoren die Form eines C aufweise, in der gleichen Art angeordnet. Weiter hätten die Ventile die gleichen runden Formen sowie ähnliche Dimensionen und Öffnungen. Beide Motoren seien somit in Bezug auf Proportion, Anordnung und Form der einzelnen Teile, aber auch in Bezug auf Aussehen, Form und Grösse nahezu identisch. Sogar bei der Anordnung der Schrauben seien kaum Differenzen feststellbar. Dagegen seien die Details, die Kwang im Rahmen der Klage vorgebracht hatte, nicht geeignet, den Gesamtseindruck eines informieren Benutzers entscheidend zu beeinflussen. Als Fazit daraus erwog das Gericht, dass dem Design des Kwang-Motors keine Eigenart zukomme und die Nichtigkeitserklärung durch das HABM deshalb zu Recht erfolgte.
Kommentar:
Der Entscheid stützt die Ansicht des HABM, dass bei Produkten, für welche ein Designrecht beantragt wird, nur diejenigen wesentlichen Teile zu berücksichtigen sind, die für den Benutzer während der normalen Verwendung sichtbar sind. Für den Gesamteindruck sind folglich nur diese Teile massgebend. Weiter entschied das EuG, dass nur kleinere Abweichungen im Design für den Gesamteindruck nicht relevant sind, soweit ein informierter Benutzer auf diese nicht achtet und sie seinen Gesamteindruck nicht beeinflussen. Entscheidend für die Beurteilung des Gesamteindrucks sind somit nur die wesentlichen sichtbaren Merkmale eines Produktes bei dessen gewöhnlichen Gebrauch.
Weitere Informationen:
- Urteile des EuG Nr. T-10/08 und T-11/08 vom 9. September 2011
- Bilder der Motoren: siehe Rz. 2 und 5 des Urteils
- Verordnung (EG) 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster
Ansprechpartner: Giuseppe Di Marco