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Bei unzulässigen Handlungen im Internet stellt sich für Rechtsinhaber oftmals die Frage, in welchen Staaten gegen die Verantwortlichen gerichtlich vorgegangen werden kann. Für Urheberrechtsverletzungen im Internet hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Frage nun zumindest teilweise beantwortet. Er gelangt in einem aktuellen Urteil im Wesentlichen zum Schluss, dass Klagen in allen Mitgliedsstaaten eingereicht werden können, in welchen ein urheberrechtsverletzender Website-Inhalt abgerufen werden kann. Eine Einschränkung auf die Gerichte derjenigen Staaten, auf welche sich der Verantwortliche „ausgerichtet“ hat, lehnt der EuGH ausdrücklich ab. Die Gerichte seien in diesem Fall aber jeweils nur für die Beurteilung des Schadens zuständig, der im Hoheitsgebiet ihres Staates verursacht worden ist.
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Ausgangspunkt des Urteils war ein Rechtsstreit zwischen dem französischen Musiker Peter Pickney und der Österreichischen Gesellschaft KDG Mediatech AG. Pickney hatte festgestellt, dass Mediatech in Österreich CDs mit Songs der Gruppe „Aubrey Small“ anfertigte und die CDs anschliessend von britischen Gesellschaften auf Websites vertrieben wurden, welche in Frankreich abrufbar waren. Pickney sah darin eine Verletzung seiner Urheberrechte an den Songs und verklagte Mediatech deshalb in Frankreich auf Schadenersatz.
Während sich das erstinstanzliche Gericht zur Beurteilung des Rechtsstreits für zuständig betrachtete, sind gemäss dem zweitinstanzlichen Gericht ausschliesslich die Gerichte des Vereinigten Königreichs zuständig. In der Folge zog Pickney das Urteil an das höchste französische Gericht (Cour de Cassation) weiter. Dieses setzte das Verfahren aus und bat den EuGH um Klärung der Vorgaben des EU-Rechts.
Rechtliche Ausgangslage
Für die Beurteilung der Zuständigkeit von Zivilgerichten innerhalb der EU ist die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 massgebend. Diese sieht als Grundsatz vor, dass Klagen im Wohnsitzstaat der Beklagten einzureichen sind. Darüber hinaus ist bei unerlaubten Handlungen wie der Verletzung von Immaterialgüter- oder Persönlichkeitsrechten auch eine Klage am Handlungs- oder am Erfolgsort möglich (Art. 5 Nr. 3).
Bisherige Entscheidungen des Gerichtshofs im Online-Kontext
Insbesondere bei mutmasslich unerlaubten Handlungen im Online-Kontext kann die Beurteilung der jeweiligen Handlungs- bzw. Erfolgsorte Schwierigkeiten bereiten. Der EuGH hat dabei mit seinen Urteilen zu einzelnen Rechtsgebieten zumindest teilweise Klarheit geschaffen. Dies betrifft namentlich die Zuständigkeit der Gerichte
- für persönlichkeitsverletzende Veröffentlichungen im Internet (BR-News vom 14.11.2011) und
- für die Beurteilung von Markenrechtsverletzungen im Rahmen von Google-AdWords (BR-News vom 21.05.2012).
In weiteren Entscheidungen hat sich der Gerichtshof zwar nicht direkt mit der Zuständigkeit von Gerichten auseinandergesetzt, aber Fragen beantwortet, die sich auch in diesem Zusammenhang stellen können. Dabei ging es namentlich um Markenrechtsverletzungen auf eBay (BR-News vom 04.08.2011) sowie um Verletzungen von geschützten Datenbanken durch die Veröffentlichung von Daten über Fussballspiele auf Websites (BR-News vom 24.10.2012).
Abrufbarkeit genügt für Zuständigkeit – Ausrichtung nicht massgeblich
Im vorliegenden Verfahren (C‑170/12) musste sich der Gerichtshof nun mit der Zuständigkeit für Urheberrechtsverletzungen im Internet auseinandersetzen. Zu beurteilen war jedoch nur, ob in Frankreich (bzw. Toulouse) ein Erfolgsort vorliegt, d.h. ob sich Schaden aus der mutmasslich urheberrechtsverletzenden Handlung von Mediatech in Frankreich verwirklicht hat bzw. zu verwirklichen droht. Denn es war zwischen den Parteien unbestritten, dass die urheberrechtsverletzende Handlung selbst nicht in Frankreich erfolgte und somit kein Handlungsort in Frankreich vorliegt.
Die massgeblichen Kriterien zur Bestimmung des Erfolgsorts zeichneten sich nach Ansicht des Generalanwalts des EuGH in der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs „recht deutlich“ ab. In seinen Schlussanträgen bezeichnete er deshalb das Kriterium der Ausrichtung als entscheidend. Er schlug dem EuGH daher vor, dass ein Erfolgsort und damit die Zuständigkeit der Gerichte nur für Mitgliedstaaten gegeben sein soll, auf welche die fragliche Website ausgerichtet war.
Ohne auf die Argumentation des Generalanwalts einzugehen, hat der Gerichtshof in seinem Urteil das Kriterium der Ausrichtung für unmassgeblich erklärt. Im Unterschied zur Regelung der Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen verlange die hier massgebende Vorschrift kein „Ausrichten“. Einzige Voraussetzung sei, dass aufgrund einer Urheberrechtsverletzung im zu beurteilenden Mitgliedstaat ein Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht.
Ausgehend davon entschied der Gerichtshof, dass die Gerichte eines Mitgliedsstaats in Fällen wie dem vorliegenden bereits dann zuständig sind, wenn:
- die geltend gemachten Urheberrechte in diesem Mitgliedstaat geschützt sind und
- eine Website mit urheberrechtsverletzendem Inhalt in diesem Mitgliedstaat abgerufen werden kann.
Da die Urheberrechtsgesetze der Mitgliedsstaaten aufgrund von internationalen Abkommen und EU-Richtlinien bereits zu einem gewissen Grad vereinheitlich sind und die Abrufbarkeit von Websites in einem Mitgliedstaat im Regelfall gegeben sein wird, setzt der EuGH relativ geringe Anforderungen an die Zuständigkeit von Gerichten für Urheberrechtsverletzungen. Er betont jedoch, dass die Zuständigkeit der Gerichte am Erfolgsort nur für Schäden gilt, die im Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats verursacht worden sind.
Anmerkungen
Die Entscheidung des EuGH bringt für Inhaber von Urheberrechten eine wichtige Klärung der Rechtslage, lässt aber auch mehrere Aspekte unbeantwortet. Bedeutsam ist insbesondere die Frage, welche Kriterien nach Ansicht des EuGH für die Beurteilung des Handlungsorts massgebend sind. Denn bei den Gerichten am Handlungsort können jeweils sämtliche Schäden geltend gemacht werden und nicht nur diejenigen, welche in diesem Mitgliedstaat verursacht worden sind. Mit der aktuellen Entscheidung hat der EuGH jedenfalls nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass die Ausrichtung einer Website für die Bestimmung des Handlungsorts einer Urheberrechtsverletzung massgeblich sein kann.
Aus Schweizer Sicht ist schliesslich anzumerken, dass die massgebenden Vorschriften im Verhältnis der Schweiz zu den EU-Mitgliedstaaten (im sog. Lugano-Übereinkommen) praktisch identisch sind mit denjenigen für das Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Ferner orientiert sich auch das Bundesgericht regelmässig an der Rechtsprechung des EuGH. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Schweizer Gerichte den neuen EuGH-Entscheid nachvollziehen werden.
Weitere Informationen:
- Urteil des Gerichtshofs vom 03.10.2013 (C-170/12)
- Schlussanträge des Generalanwalts vom 13.06.2013
- Verordnung (EG) Nr. 44/2001
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann