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In einem mit Spannung erwarteten Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Vergabe von nationalen Exklusiv-Lizenzen für die Übertragung von Fussballspielen der englischen „Premier-League“ gegen das EU-Kartellrecht verstösst. Dies weil die TV-Sender in den Lizenzverträgen mit der „Premier League“ verpflichtet werden, keine Decodierkarten für den Empfang im Ausland zur Verfügung zu stellen und so die nationalen Märkte abgeschottet werden. Die Vorschriften des englischen Rechts, welche dieses System schützen, stellen gemäss dem EuGH zudem eine verbotene Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar. Schliesslich wird in dem Urteil festgehalten, dass Fussballspiele als solche urheberrechtlich nicht geschützt sind. Dies im Gegensatz zu einzelnen Aspekten der Live-Übertragung wie der Auftaktvideosequenz oder die Hymne einer Liga, welche als Werke im Sinne des Urheberrechts gelten können. Die Bedeutung dieses Urteils geht weit über die TV-Vermarktung von Fussballspielen hinaus und wird Konsequenzen für den europäischen Vertrieb von Medieninhalten aller Art haben. Auch Schweizer Medienunternehmen sind davon betroffen.
Ausgangslage
Die Football Association Premier League (FAPL) vermarktet die Rechte zur Fernsehausstrahlung der Spiele der obersten englischen Fussball-Liga. Dabei vergibt sie TV-Sendern Exklusiv-Lizenzen für die Live-Ausstrahlung der Spiele der Premier League nach Gebieten, die in der Regel einem Mitgliedsstaat entsprechen. Dies erlaubt der FAPL, die unterschiedlichen Zahlungsbereitschaften in den einzelnen Ländern auszunutzen und so optimale Vermarktungserlöse zu erzielen. Das System hat für die Fernsehzuschauer aber zur Folge, dass sie grundsätzlich nur die Spiele sehen können, die von den TV-Sendern in dem Mitgliedsstaat ausgestrahlt werden, in dem sie wohnen.
Zum Schutz dieser gebietsabhängigen Exklusiv-Rechte verpflichtet sich jeder TV-Sender in seinem Lizenzvertrag mit der FAPL, sein Satellitensignal zu verschlüsseln und es nur den Abonnenten seines Staates bzw. Lizenzgebiets unverschlüsselt zu übermitteln. Deshalb verbieten die Lizenzverträge den TV-Sendern, ihre Decodierkarten an Personen zu verkaufen, welche die Premier League Spiele ausserhalb ihres Staats bzw. Lizenzgebiets sehen wollen.
In der Folge beschafften sich einige englische Pubs (Gastwirtschaften), darunter dasjenige der mittlerweile international bekannten Karen Murphy, zur Übertragung der Premier League Spiele Decodierkarten des griechischen Pay-TV-Senders Nova, anstatt auf diejenigen des teureren englischen Lizenzinhabers Sky zurückzugreifen. Da dies nach Auffassung der Premier League die Exklusivität und damit den Wert der Übertragungsrechte untergräbt, hat sie zivil- und strafrechtliche Verfahren gegen die Gastwirte eingeleitet. Über diese hat der High Court des Vereinigten Königreichs zu entscheiden. Zunächst hat er jedoch dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung des EU-Rechts zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Dienstleistungsfreiheit
In seinem Urteil vom 4. Oktober 2011 (Rs. C-403/08 und C-429/08) hat der EuGH nun in einem ersten Schritt eine verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs festgestellt. Die Beschränkung wird darin gesehen, dass Personen, die ausserhalb des jeweiligen Sendestaates wohnen, vom Zugang zu den Übertragungen ausgeschlossen werden. Weil die Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich nicht vor Massnahmen von Privatpersonen schützt, hielt der Gerichtshof fest, dass sich die Einschränkung des Empfangs zwar hauptsächlich aus den Vereinbarungen zwischen den Sendeunternehmen und ihren Kunden als Privatpersonen ergibt, welche die Lizenzverträge zwischen der Premier League und den TV-Sendern widerspiegeln. Da aber das Recht des Vereinigten Königreichs diese privatrechtlichen Behinderungen unter Schutz stelle, beschränke das nationale Recht selbst den freien Dienstleistungsverkehr.
Eine Rechtfertigung für die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch das Ziel, die Rechte des geistigen Eigentums zu schützen, hat der EuGH ausgeschlossen. Die Premier League brachte hierzu vor, dass sie bzw. die Inhaber der Urheberrechte ohne jeden Schutz der gebietsabhängigen Exklusivität nicht mehr in der Lage wären, von den Sendeunternehmen angemessene Lizenzgebühren zu erlangen, da die Live-Übertragung von Sportereignissen einen Teil ihres Wertes einbüsse. Die Sendeunternehmen seien nämlich nicht am Erwerb von Lizenzen für Gebiete ausserhalb des Sendestaats interessiert. Ein Erwerb von Lizenzen für alle nationalen Gebiete, in denen potenzielle Kunden ansässig seien, sei wegen des extrem hohen Preises solcher Lizenzen finanziell nicht interessant. Deshalb würden die Sendeunternehmen die Lizenzen für die Ausstrahlung jeweils nur im Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats erwerben. Sie seien aber bereit, einen beträchtlichen Aufschlag zu zahlen, wenn ihnen eine gebietsabhängige Exklusivität garantiert werde, da diese ihnen ermögliche, sich von ihren Wettbewerbern abzuheben und so zusätzliche Kunden anzuziehen.
Der EuGH entgegnete darauf, dass die FAPL an den Spielen der Premier League selbst kein Urheberrecht geltend machen könne, da Sportereignisse keine geistigen Schöpfungen seien, die sich als Werke im Sinne der Urheberrechtsrichtlinie einordnen liessen. Dies gelte insbesondere für Fussballspiele, die Spielregeln unterliegen, die für eine künstlerische Freiheit im Sinne des Urheberrechts keinen Raum lassen. Im EU-Recht bestehe deshalb im Bereich des geistigen Eigentums kein Schutz für Sportereignisse. Den Mitgliedsstaaten stehe es aber frei, einen entsprechenden Schutz zu gewähren. Wie der EuGH mit Hinweis auf den 21. Erwägungsgrund der Fernsehrichtlinie weiter erklärt, sei der „Unionsgesetzgeber“ sogar davon ausgegangen, dass die Mitgliedsstaaten von dieser Befugnis Gebrauch machen.
Doch auch wenn das nationale Recht einen Schutz für Sportereignisse gewähren würde, wäre ein Verbot der Verwendung der ausländischen Decodierkarten gemäss dem EuGH unzulässig. Denn die Bezahlung eines Aufschlags durch die Sendeunternehmen, um sich eine absolute gebietsabhängige Exklusivität zu sichern, gehe über das hinaus, was erforderlich ist, um den Rechtsinhabern eine angemessene Vergütung zu sichern. Dies weil eine solche Praxis geeignet sei, zu künstlichen Preisunterschieden zwischen den abgeschotteten nationalen Märkten zu führen. Eine solche Marktabschottung und ein solcher künstlicher Preisunterschied seien aber mit dem grundlegenden Ziel der Verwirklichung des Binnenmarkts nicht vereinbar.
Kartellrecht
Aus ähnlichen Gründen stellte der EuGH in der Folge fest, dass die Lizenzverträge zwischen den TV-Sendern und der Premier League gegen das EU-Kartellrecht verstossen. Er betonte zunächst, dass gemäss Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits das Bezwecken einer Wettbewerbsbeschränkung verboten ist und nicht bloss das Bewirken einer solchen. Zwar genüge es für die Feststellung des wettbewerbswidrigen Zwecks einer Vereinbarung noch nicht, wenn ein Rechtsinhaber einem einzigen Lizenznehmer das Exklusiv-Recht einräumt, eine Sendung von einem Mitgliedstaat aus über Rundfunk auszustrahlen und dies somit Dritten verboten wird. Allerdings seien Verträge, durch welche nationale Märkte nach den nationalen Grenzen abgeschottet werden sollen, grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen anzusehen.
Vor diesem Hintergrund weist der EuGH darauf hin, dass die Exklusiv-Lizenzen für die Übertragung von Premier League Spielen in den Verfahren vor dem High Court nicht in Frage gestellt werden. Allerdings würden die in den Lizenzverträgen enthaltenen Klauseln, welche die Sendeunternehmen verpflichten, keine Decodierkarten für den Empfang im Ausland zur Verfügung zu stellen, jede grenzüberschreitende Erbringung von Diensten im Zusammenhang mit diesen Fussballspielen untersagen. Jedem TV-Sender werde so in seinem Lizenzgebiet eine absolute gebietsabhängige Exklusivität eingeräumt. Dadurch könne jeder Wettbewerb zwischen den TV-Sendern im Bereich dieser Dienste ausgeschaltet werden.
Dementsprechend gelangte der EuGH zum Ergebnis, dass diese Klauseln in den Exklusiv-Lizenz-Verträgen einen wettbewerbswidrigen Zweck haben und eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV schloss der EuGH aus. Für die Begründung verweist er auf die im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit gemachten Ausführungen zur fehlenden Verhältnismässigkeit.
Urheberrechtsrichtlinie
In Bezug auf die urheberrechtlichen Fragen stellte der Gerichtshof schliesslich fest, dass die Auftaktvideosequenz, die Hymne der Premier League, die zuvor aufgezeichneten Filme über die Höhepunkte aktueller Begegnungen der Premier League und einige Grafiken als „Werke“ angesehen werden können und damit – anders als die Fussballspiele selbst – urheberrechtlich geschützt sind.
Dementsprechend hat der Gerichtshof entschieden, dass die in einer Gastwirtschaft stattfindende Übertragung von Sendungen, die diese geschützten Werke – wie die Auftaktvideosequenz oder die Hymne der Premier League – enthalten, eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne der Urheberrechtsrichtlinie darstellt, für die die Zustimmung des Urhebers der Werke erforderlich ist. Wenn nämlich eine Gastwirtschaft diese Werke an die anwesenden Gäste verbreitet, würden die Werke an ein zusätzliches Publikum übertragen, das von den Urhebern nicht berücksichtigt worden ist, als sie der Sendung ihrer Werke durch den Rundfunk zugestimmt haben.
Ausblick
Die konkreten Folgen dieses grundlegenden Urteils sind schwer abzuschätzen. Die Lizenzgeber von Rechten an TV-Sendungen, nicht nur im Fussball-Bereich, werden jedenfalls ihre Modelle überdenken und anpassen müssen, wenn sie nicht mit den Wettbewerbsbehörden in Konflikt geraten wollen. In der Schweiz präsentiert sich die Lage ferner faktisch anders, weil der Pay-TV-Sender „Teleclub“, der Inhaber der exklusiv Live-Übertragungsrechte, die Super-League-Partien über das Kabelnetz und nicht via Satellit überträgt. Für den Verbraucher in der EU bedeutet dieses Urteil, dass er sich ungehindert Decoder-Karten des günstigsten Anbieters in der EU besorgen kann, um Fussballspiele, aber auch andere Sport- und Eventübertragungen, anzusehen. Für Karen Murphy und ihre anderen englischen und europäischen Kollegen bedeutet das Urteil aber keinen Befreiungsschlag. Faktisch dürfte es aufgrund der urheberrechtlich geschützten Elemente solcher TV-Übertragungen nur schwer möglich sein, die ausländischen Decodierkarten zur Übertragung zu verwenden, ohne über eine gültige Lizenz des Rechteinhabers, wenn auch eines ausländischen TV-Senders zu verfügen. Für die Inhaber von TV-Vermarktungsrechten, aber auch anderen elektronischen oder digitalen Vermarktungsrechten, etwa im Bereich des Vertriebs von Musik, E-Books oder Software, hat das Urteil zweifellos die grösste Bedeutung. Es stellt klar, dass innerhalb der EU die Abschottung nationaler Märkte durch ein Lizenzsystem mit absoluter gebietsabhängiger Exklusivität in der Regel gegen das EU-Kartellrecht verstösst und eine nationale Regelung, die dies unter Schutz stellt, grundsätzlich eine unzulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, sofern sich die Rechteinhaber nicht auf Urheberrechte berufen können. Insofern geht die Bedeutung dieses Urteils weit über die Frage der TV-Vermarktung von Fussballspielen hinaus. Davon sind zweifellos auch Schweizer Medienunternehmen betroffen, die ihre Inhalte in die EU vertreiben. Auch sie stehen vor der Frage, ob auf dieses Urteil reagiert werden soll und ob eine Anpassung ihrer Vertriebsverträge notwendig ist.
Weitere Informationen:
- BR-News: „EU: Fussball-EM und -WM weiterhin im Free-TV“
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Ansprechpartner: Lukas Bühlmann