EuGH: Annullationsversicherung bei Flugreisen muss durch Konsument ausdrücklich und freiwillig ausgewählt werden


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Der EuGH hat in einem vor kurzem veröffentlichten Urteil entschieden, dass Kosten für eine Annullationsversicherung bei Flugreisen als so genannte fakultative Zusatzkosten gemäss EU-Luftverkehrsverordnung gelten. Es spiele dabei keine Rolle, ob die Versicherungsleistung durch ein Luftverkehrsunternehmen oder durch ein wirtschaftlich und rechtlich unabhängiges Unternehmen angeboten werde. Konsequenz der Unterstellung solcher Versicherungskosten unter die Luftverkehrsverordnung ist, dass Annullationsversicherungen ausdrücklich durch den Konsumenten zur Bestellung hinzugefügt werden müssen (sog. Opt-in). Nach Ansicht des Gerichtshofs ist es somit nicht zulässig, entsprechende Versicherungen standardmässig in die Bestellung zu integrieren, so dass diese nur durch ein ausdrückliches Wegklicken des Konsumenten wieder entfernt werden können (Opt-out). In der Schweiz wurden Vorschriften zur Bekanntgabe von Flugpreisen im Rahmen der UWG-Revision in die Preisbekanntgabeverordnung integriert. Wie in der EU gilt seit 1. April 2012 auch in der Schweiz die Pflicht, den Endpreis bei Flugreisen jederzeit auszuweisen. Darüber hinaus gilt auch in der Schweiz das Opt-in-Prinzip für fakultative Zusatzkosten. Diese müssen demnach ausdrücklich durch den Konsumenten zur Bestellung hinzugefügt werden.

Rechtlicher Rahmen

Die Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 (nachfolgend: Luftverkehrsverordnung) schreibt vor, dass Anbieter von Flugreisen den Kunden jederzeit den von diesen zu bezahlenden Endpreis bekannt geben müssen (vgl. Art. 23 Abs. 1). Daneben haben sie insbesondere folgende Kosten separat auszuweisen: den eigentlichen Flugpreis, die Steuern, die Flughafengebühren sowie alle sonstigen Gebühren, Zuschläge und Entgelte wie beispielsweise Sicherheitskosten oder Treibstoffzuschläge. Darüber hinaus schreibt der genannte Artikel vor, dass fakultative Zusatzkosten auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise zu Beginn des Buchungsvorgangs mitzuteilen sind. Die Annahme solcher fakultativen Zusatzkosten müssen die Kunden ausdrücklich bestätigen. Dies hat mittels eines so genannten Opt-in-Verfahrens zu geschehen, was bedeutet, dass der Konsument die Zusatzleistung ausdrücklich annehmen und selbstständig zur seinem „Warenkorb“ hinzufügen muss.

Versicherungsleistungen: Zusatzkosten gemäss Verordnung?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte einen Fall des Online-Reiseportals ebookers.com zu beurteilen. Dieses bietet unter anderem Flugreisen online an. Während des Buchungsvorgangs auf ebookers.com erscheint auf der Website unter der Überschrift „Ihre aktuellen Reisekosten“ eine Aufstellung der Kosten. Neben den Kosten für den Flug selbst enthält die Aufstellung einen Betrag „Steuern und Abgaben“ sowie eine Position „Versicherung Rücktrittskostenschutz“. Diese Reisekostenversicherung wird von einem Versicherungsdienstleister erbracht, welcher rechtlich und wirtschaftlich unabhängig ist vom Luftverkehrsunternehmen, das den Flug anbietet. Die Versicherung ist auf der Website von ebookers.com voreingestellt, muss vom Kunden in einem sog. Opt-out-Verfahren wieder entfernt werden, wenn er die Versicherung nicht in Anspruch nehmen will. Der deutsche Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (BVV) zog ebookers.com daraufhin vor Gericht, da seines erachtens ein Verstoss gegen die Luftverkehrsverordnung vorliege.

Der EuGH hatte sich deshalb mit der Frage zu befassen, ob solche Kosten überhaupt unter die genannte Bestimmung der Luftverkehrsverordnung fallen oder nicht. Das Oberlandgericht Köln, das diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte, hatte daran Zweifel. Es stellte insbesondere in Frage, ob auch Kosten, die für Leistungen Dritter anfallen, unter Art. 23 Luftverkehrsverordnung fallen. Die Leistung werde erstens nicht von einem Luftverkehrsunternehmen erbracht und zweitens handle es sich vorliegend um das Anbieten einer Versicherungsleistung und nicht um die eigentliche „Durchführung von Luftverkehrsdiensten“, weshalb nicht klar sei, ob die Verordnung zur Anwendung gelange.

Urteil des EuGH: Auch Versicherungsleistungen gelten als Zusatzkosten, Anbieter ist nicht relevant

Der EuGH hielt in seinem Urteil C-112/11 fest, dass es dem Zweck der Verordnung widersprechen würde, wenn Leistungen, die nicht durch das Luftverkehrsunternehmen selbst erbracht werden, nicht von ihr erfasst wären. Würde der Schutz der Konsumenten davon abhängig gemacht, von wem eine Zusatzleistung angeboten werde, könnte der durch die Verordnung vorgesehene Schutz leicht umgangen werden. Damit wäre der Zweck der Verordnung beeinträchtigt. Somit fallen nach Ansicht des Gerichtshofs auch Leistungen, die durch Dritte erbracht werden, unter den Begriff der fakultativen Zusatzkosten, die nicht voreingestellt sein dürfen (vgl. Art. 23 Abs. 1 Luftverkehrsverordnung). Auch sie müssen somit explizit durch ein Opt-in des Kunden übernommen werden.

Ebookers.com hatte argumentiert, dass der Geltungsbereich der Verordnung auf Luftverkehrsunternehmen beschränkt sei. Dem widersprach der EuGH, indem er festhielt, dass die Verordnung explizit auch die „Preisfestsetzung für innergemeinschaftliche Flugdienste“ erfasse (vgl. Art. 1 Abs. 1 Luftverkehrsverordnung).

Rechtslage in der Schweiz

Der Entscheid bietet Anlass, die schweizerische Rechtslage kurz zu beleuchten. Einschlägig ist in der Schweiz Art. 11c PBV. Der Aritkel entspricht sowohl inhaltlich als auch vom Wortlaut her weitgehend den europäischen Vorschriften. Die europäische Bestimmung war offensichtlich auch Vorbild für die schweizerische (vgl. Erläuterungen zur PBV-Revision, S. 3 f.). Art. 11c PBV wurde im Rahmen der UWG-Revision am 1. April 2012 in die Preisbekanntgabeverordnung (PBV) integriert (vgl. BR-News vom 13. Oktober 2011). Vorher unterlagen Flugreisen nur dann der PBV, wenn mit Preisen geworben wurde. Der Artikel stützt sich explizit auf die Luftverkehrsverordnung bzw. das Luftverkehrsabkommen Schweiz-EG (vgl. Ingress PBV und Erläuterungen zur PBV-Revision). Wie bereits erwähnt sind folglich auch der Inhalt und der Wortlaut praktisch identisch.

Der Artikel schreibt Anbietern von Flugreisen vor, den tatsächlich zu bezahlenden Preis stets auszuweisen. Darunter fallen der eigentliche Flugpreis sowie alle Steuern, Gebühren, Zuschläge und Entgelte, die unvermeidbar und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vorhersehbar sind. Spezifisch auszuweisen sind mindestens der eigentliche Flugpreis, die Steuern, die Flughafengebühren sowie sonstige Gebühren, Zuschläge und Entgelte. Auch nach Schweizer Recht sind fakultative Zusatzkosten dem Konsumenten auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise zu Beginn jedes Buchungsvorgangs mitzuteilen. Darüber hinaus schreibt die PBV übereinstimmend mit den EU-Vorschriften vor, dass die Annahme der fakultativen Zusatzkosten durch den Konsumenten ausdrücklich bestätigt werden muss (Opt-in-Verfahren). Somit sind voreingestellte Zusatzleistungen, die der Kunde ausdrücklich wegklicken muss, um sie zu entfernen (sog. Opt-out) auch nach Schweizer Recht nicht zulässig. Wie gesehen war in der EU nicht eindeutig, ob auch Versicherungsleistungen als fakultative Zusatzleistungen im Sinne der Verordnung gelten. In der Schweiz hingegen ist die Rechtslage klar: In den Erläuterungen zur PBV-Revision wird die Annullierungsversicherung explizit als Beispiel für solche fakultative Zusatzkosten genannt (vgl. S. 7). Sie fallen deshalb eindeutig unter diesen Begriff.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Michael Schüepp


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