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EuGH: Auch Betreiber von Kureinrichtungen müssen Urheberrechtsabgaben bezahlen


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Eine Kureinrichtung, die ihren Kunden in den Zimmern Radio- oder Fernsehgeräte zur Verfügung stellt und damit urheberrechtlich geschützte Werke zugänglich macht, muss dafür Urheberrechtsvergütungen entrichten. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Ende Februar entschieden. Eine nationale Spezialregelung, die eine Befreiung der Gesundheitseinrichtungen von Urheberrechtsabgaben vorsieht, widerspricht daher dem EU-Recht. Weiter hielt der EuGH fest, dass das Gebietsmonopol der tschechischen Verwertungsgesellschaft zwar die Dienstleitungsfreiheit beschränke, diese Beschränkung aber gerechtfertigt sei. Hingegen sei die Tatsache, dass eine nationale Verwertungsgesellschaft wesentlich höhere Tarife anwendet als die übrigen Mitgliedstaaten, zumindest ein Anzeichen dafür, dass sie ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen könnte.

Urheberrechtsabgaben für das Abspielen von Werken in den Patientenzimmern

Das Regionalgericht Pilsen (Tschechische Republik) legte dem EuGH einen Rechtsstreit zwischen der tschechischen Verwertungsgesellschaft, der OSA, und Léčebné lázně, einem tschechischen Betreiber von Kureinrichtungen, vor. In diesem Verfahren herrschte Uneinigkeit darüber, ob Léčebné lázně der OSA Urheberrechtsabgaben schuldet, weil sie ihren Kunden in den Zimmer Radio- und Fernsehgeräte zur Verfügung stellte und damit geschützte Werke abspielte, ohne mit OSA einen Lizenzvertrag abgeschlossen zu haben. OSA verlangte von Léčebné lázně deshalb Urheberrechtsabgaben von umgerechnet rund 24‘500 Schweizer Franken.

Léčebné lázně weigerte sich, diese Abgaben zu bezahlen, da sie von einer Ausnahmebestimmung im tschechischen Urheberrechtsgesetz erfasst werde, gemäss welcher Gesundheitseinrichtungen keine Urheberrechtsabgaben bezahlen müssen, wenn sie ihren Patienten im Rahmen ihrer Gesundheitsfürsorgeleistungen geschützte Werke zugänglich machen. Ausserdem missbrauche die OSA ihre marktbeherrschende Stellung, da ihre Vergütungstarife im Vergleich mit denjenigen der benachbarten EU-Mitgliedstaaten unverhältnismässig hoch seien.

Vorlagefragen

Ausgehend von diesem Sachverhalt legte das Regionalgericht dem EuGH mehrere Fragen vor. Als erstes wollte es wissen, ob die genannte Ausnahmebestimmung für Gesundheitseinrichtungen den Vorgaben der EU-Urheberrechtsrichtlinie widerspricht und ob sich die Verwertungsgesellschaften gegebenenfalls direkt auf eine Richtlinienbestimmung kann, die im nationalen Recht nicht ordnungsgemäss umgesetzt wurde.

Darüber hinaus forderte das Pilsener Gericht den EuGH auf, dazu Stellung zu nehmen, ob die gesetzlich geschaffene Monopolstellung der tschechischen Verwertungsgesellschaft einen Verstoss gegen die Dienstleistungsfreiheit oder das europäische Wettbewerbsrecht darstellen könnte.

Verbreitung an Patienten ist „öffentliche Wiedergabe“

Bei der Beantwortung der ersten Frage war vorab zu klären, ob die Wiedergabe an die Patienten über die Fernseh- und Radiogeräte überhaupt eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne der Urheberrechtsrichtlinie und damit grundsätzlich vergütungspflichtig war (vgl. zum Begriff der öffentlichen Wiedergabe: BR-News vom 10.03.2014). In früheren Entscheiden hatte der EuGH namentlich die Werkwiedergabe in Hotelzimmern als öffentliche Wiedergabe bezeichnet (vgl. BR-News vom 12.04.2012). Der Gerichtshof bejahte die Frage auch im Fall der Kureinrichtungen. Der Begriff der „Wiedergabe“ sei weit zu verstehen, weshalb auch eine Wiedergabe der vorliegenden Art erfasst sei. Der Betreiber der Kureinrichtung habe die geschützten Werke absichtlich übertragen, indem er willentlich ein Signal über Fernseh- oder Radioempfänger in den Zimmern verbreitete. In dieser Handlung liege eine Wiedergabe. Diese finde „öffentlich“ statt, weil in einer Kureinrichtung sowohl gleichzeitig als auch nacheinander eine unbestimmte, aber recht grosse Zahl von Personen beherbergt würde, die die fraglichen Werke in ihren Zimmern empfangen können. Darüber hinaus werde die Kureinrichtung als Einrichtung tätig, die in voller Kenntnis der Folgen ihres Verhaltens ihren Patienten Zugang zu geschützten Werken verschafft. Ohne dieses Tätigwerden könnten die Patienten grundsätzlich nicht in den Genuss der ausgestrahlten Werke kommen.

Tschechische Ausnahmebestimmung für Gesundheitseinrichtungen unzulässig

Folglich lag eine grundsätzlich vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe vor. Das tschechische Recht sieht aber wie bereits erwähnt vor, dass Werknutzungen in Gesundheitseinrichtungen grundsätzlich nicht vergütungspflichtig sind. Der Gerichtshof musste sich deshalb als nächstes dazu äussern, ob eine solche Ausnahmeregelung zulässig ist oder ob sie dem EU-Recht widerspricht.

Der EuGH entschied auf Letzteres. Da die Wiedergabe geschützter Werke vorliegend eine „öffentliche Wiedergabe“ sei, müsse die nationale Regelung nach den Vorgaben der massgebenden Richtlinie vorsehen, dass den Urhebern das ausschliessliche Recht zusteht, diese Wiedergabe zu erlauben oder zu verbieten. Die Richtlinie sehe keine Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vor, für den Fall einer Kureinrichtung von dieser Vorgabe abzuweichen. Folglich stehe eine Regelung eines Mitgliedstaats, die im Ergebnis das genannte Erlaubnis- bzw. Verbotsrecht der Urheber ausschliesst, dem EU-Recht entgegen.

Es ist nun Sache des Regionalgerichts Pilsen, die dem EU-Recht widersprechende tschechische Bestimmung möglichst unionsrechtskonform anzuwenden. Man darf gespannt sein, wie es diese Aufgabe lösen wird.

Kein Verstoss gegen Dienstleistungsfreiheit

Schliesslich hatte der EuGH auch noch darüber zu befinden, ob das Gebietsmonopol der tschechischen Verwertungsgesellschaft – wie von Léčebné lázně vorgebracht – die Dienstleistungsfreiheit oder europäisches Wettbewerbsrecht verletzt.

Der Gerichtshof hielt fest, dass das Gebietsmonopol die Dienstleistungsfreiheit beschränke, weil es den Nutzern geschützter Werke nicht erlaube, die Dienstleistungen von Verwertungsgesellschaften in Anspruch zu nehmen, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind. Allerdings ist diese Beschränkung gemäss EuGH gerechtfertigt, da dieses System geeignet und erforderlich sei, um das Ziel der wirksamen Wahrnehmung der Urheberrechte zu erreichen. Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts gibt es nach Ansicht des Gerichtshofs keine anderen Methoden, mit denen das gleiche Schutzniveau für die Urheberrechte erreicht werden könnte. Die tschechische Monopol-Regelung sei deshalb mit dem freien Dienstleistungsverkehr vereinbar und somit nicht zu beanstanden.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass sich an dieser Rechtslage bald etwas ändern wird. Gemäss einer neuen Richtlinie, die allerdings noch nicht in Kraft gesetzt wurde, müssen die Mitgliedstaaten den Urhebern grundsätzlich ermöglichen, selbst zu entscheiden, welche EU-Verwertungsgesellschaft ihre Rechte geltend machen soll. Neu wird also allen Rechteinhabern ausdrücklich das Recht eingeräumt, ihre Verwertungsgesellschaft unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer Niederlassung oder der Niederlassung der Verwertungsgesellschaft zu wählen (vgl. zum Ganzen: BR-News vom 10.03.2014).

Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung?

Hingegen erachtete der Gerichtshof eine Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts als möglicherweise gegeben. Wenn eine nationale Verwertungsgesellschaft Tarife anwende, die erheblich höher sind als diejenigen in den übrigen Mitgliedstaaten, oder wenn sie überhöhte Preise ohne vernünftigen Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung verlange, sei dies gemäss EuGH-Rechtsprechung zumindest ein Anzeichen für einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung.

Zu einem entsprechenden Ergebnis gelangte der EuGH bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1989. Darin hielt er fest, dass ein Missbrauch in Form einer „Erzwingung unangemessener Geschäftsbedingungen“ vorliegt, wenn die Gebühren erheblich höher sind als diejenigen in den anderen Mitgliedstaaten. Dies gelte namentlich dann, wenn die Höhe der verschiedenen Tarife miteinander auf einheitlicher Grundlage verglichen wurde. Anders zu beurteilen wäre dies gemäss EuGH allerdings dann, wenn für die Differenz objektive und relevante Unterschiede bei der Wahrnehmung der Urheberrechte vorliegen (vgl. Urteil C-110/88 vom 13.06.1989). Die abschliessende Beurteilung, ob im vorliegenden Fall tatsächlich ein missbräuchliches Verhalten der Verwertungsgesellschaft gegeben ist, obliegt nun dem tschechischen Gericht.

Kommentar zur Rechtslage in der Schweiz

Die Rechtslage in der EU lässt sich mit derjenigen in der Schweiz vergleichen. Auch in der Schweiz ist die Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke in Kureinrichtungen vergütungspflichtig. Eine Ausnahmebestimmung, wie sie das tschechische Recht kennt, existiert in der Schweiz nicht. Die schweizerische Verwertungsgesellschaft SUISA hat in ihrem Zusatz zum Gemeinsamen Tarif 3a gar explizit festgehalten, dass Werknutzungen in Patientenzimmern in öffentlichen und privaten Spitälern, Kurhäusern, Kliniken etc., in welchen eine Radio- oder Fernsehempfangsmöglichkeit zur Verfügung gestellt wird, vergütungspflichtig sind (vgl. in diesem Zusammenhang BR-News vom 29.11.2012).

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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