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Vor kurzem hat der EuGH entschieden, dass verbotene absichtliche Schleichwerbung auch dann vorliegen kann, wenn sie nicht gegen Entgelt erfolgt. Für die Beurteilung der Absichtlichkeit sei die Entgeltlichkeit lediglich ein Indiz, nicht jedoch eine Voraussetzung. Diese Rechtsprechung entspricht der Rechtslage in der Schweiz.
In seinem Entscheid vom 9. Juni 2011 (C-52/10) hatte sich der EuGH mit folgendem Sachverhalt auseinanderzusetzen: Ein griechischer Fernsehsender strahlte eine Sendung über kosmetische Zahnbehandlungen aus. In dieser unterhielt sich die Moderatorin mit einer Zahnärztin, die unter anderem erklärte, dass die Behandlung eine Weltneuheit sei und man durch sie innert zwei Stunden ein perfektes neues Lächeln erreichen könne. Während der Sendung wurde ferner der Hinweis „Es verändert ihr Lächeln“ eingeblendet. Am Ende der Sendung erklärte die Fernsehmoderatorin schliesslich, dass die Behandlung der anwesenden Patientin für ein natürliches Lächeln tatsächlich zwei Stunden gedauert habe. Der griechische Rat für Rundfunk und Fernsehen (ESR) war der Ansicht, dass die Sendung Schleichwerbung enthalten habe und belegte den Fernsehsender mit einer Busse von 25‘000 Euro. Das griechische Gericht, das über die Beschwerde gegen die Busse zu entscheiden hat, stellte dem EuGH in der Folge die Frage, ob absichtliche Schleichwerbung auch dann vorliegen könne, wenn kein Entgelt und keine andere Gegenleistung entrichtet werden.
Der Rechtsstreit betrifft die Werbevorschriften der sog. Fernsehrichtlinie (89/552/EWG; heute: Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste). Darin wird insbesondere die Erkennbarkeit von Fernsehwerbung bzw. deren Trennung von den Programmteilen verlangt und ein Verbot von Schleichwerbung statuiert. In Art. 1 lit. c der Richtlinie ist Schleichwerbung folgendermassen definiert: „die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen (…), wenn sie vom Fernsehveranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann. Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt (…) erfolgt.“
Auf den ersten Blick mag die Frage des griechischen Gerichts überraschen. Denn in der deutschen Fassung der Definition wird durch das Wort „insbesondere“ erkennbar, dass ein Entgelt oder eine andere Gegenleistung zwar zur Vermutung der absichtlichen Erwähnung zu Werbezwecken führt, nicht aber eine Voraussetzung für die Unzulässigkeit der Schleichwerbung ist. In der (früheren) griechischen Fassung der Richtlinie ist jedoch kein entsprechendes Wort vorhanden. Da die verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie somit voneinander abwichen, musste sich der EuGH die Frage stellen, in welchem Zweck und Zusammenhang die Regelung zu sehen und wie sie auszulegen ist.
Der EuGH sah dabei den Zweck der Richtlinie und des Verbots der Schleichwerbung im umfassenden und angemessenen Schutz der Fernsehzuschauer. Dieser Schutz würde dem Urteil zufolge in Frage gestellt, sofern die Erwähnung eines Produkts nur dann als beabsichtigt und damit als unzulässig gelten würde, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt. Darüber hinaus betonte der EuGH, dass das Verbot der Schleichwerbung bei dieser Auslegung auch seine praktische Wirksamkeit verlieren könnte, da die Existenz eines Entgelts oft nur schwierig zu beweisen sei. Folglich sei die Existenz eines Entgelts zwar ein Kriterium, anhand dessen sich die Werbeabsicht eines Fernsehveranstalters feststellen lässt, nicht aber Voraussetzung für die Absichtlichkeit. Schliesslich kommt der EuGH zum Schluss, dass unzulässige Schleichwerbung auch bei Fehlen eines Entgelts vorliegen kann.
Der EuGH-Entscheid bietet Anlass, die rechtliche Situation in der Schweiz kurz zu erläutern. Schleichwerbung ist nach Art. 10 Abs. 3 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) auch in der Schweiz verboten. In Art. 11 Abs. 2 der dazugehörigen Verordnung (RTVV) wird Schleichwerbung wie folgt definiert: „Schleichwerbung ist die Darstellung werbenden Charakters von Waren, Dienstleistungen oder Ideen in redaktionellen Sendungen, insbesondere gegen Entgelt.“ In der Schweiz liegt Schleichwerbung erst dann vor, wenn die Werbewirkung gegenüber dem Informations- oder Unterhaltungswert einer Sendung in den Vordergrund rückt. Mit anderen Worten also immer dann, wenn die Werbung keinem Informationsbedürfnis dient, sondern einen gewissen Selbstzweck verfolgt. Die Entgeltlichkeit ist auch nach Schweizer Recht nicht Voraussetzung, sondern lediglich ein Indiz für Schleichwerbung. Die gesetzliche Regelung entspricht in dieser Hinsicht also dem Entscheid des EuGH. Die Entgeltlichkeit ist jedoch entscheidend für den Rechtsweg: Während für Beschwerden gegen Schleichwerbung gegen Entgelt das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) zuständig ist, werden Beschwerden gegen unentgeltliche Schleichwerbung durch die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) beurteilt.
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung des EuGH
- Urteil des EuGH vom 9. Juni 2011 C-52/10
- Fernsehrichtlinie (89/552/EWG)
- Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste
- Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG)
- Radio- und Fernsehverordnung (RTVV)
- Website des BAKOM
- Website der UBI
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann