EuGH: Deutsche Regelung zum Wertersatz bei Fernabsatzgeschäften ist europarechtswidrig


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Gastautor: Dr. Martin Schirmbacher, Partner bei HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin

Das AG Lahr hatte eine Frage dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt, die in der juristischen Literatur seit langem umstritten ist. Es geht um die Vereinbarkeit von § 357 Abs. 3 BGB mit der EU-Fernabsatzrichtlinie. Stein des Anstoßes war die Klage eines Verbrauchers auf Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Notebook, dessen Display ca. 8 Monate nach dem Kauf einen Defekt hatte. Nun hat der EuGH über die Vorlage entschieden.

Im Ausgangsstreit lehnte der Computerhändler die Rückabwicklung ab, wollte sich aber jedenfalls den inzwischen eingetretenen Wertverlust des Computers anrechnen lassen. Kaufpreis des Notebooks waren 278,- Euro. Der Händler hatte keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung verwandt, so dass der Verbraucher auch noch nach 8 Monaten den Vertrag widerrufen konnte.

Das AG Lahr hatte das Verfahren ausgesetzt, um den EuGH über die Frage der Wertersatzpflicht entscheiden zu lassen (Beschluss vom 26.10.2007, Az. 5 C 138/07). Dem EuGH wurde folgende Frage gestellt:

„Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 zu bestimmten Aspekten des Verbraucherschutzes bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass der Verkäufer im Falle des fristgerechten Widerrufes durch den Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des gelieferten Verbrauchsgutes verlangen kann?“

Inzwischen liegt die Antwort des EuGH vor. Man kann sie vielleicht mit einem «Ja, aber…» umschreiben. Grundsätzlich, so der EuGH, steht die Richtlinie einer generellen Wertersatzpflicht für die Zeit bis zum Widerruf des Verbrauchers entgegen. Allerdings soll das Recht der Mitgliedstaaten davon Ausnahmen vorsehen dürfen, wenn der Verbraucher die Ware «auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat». Mit der Auslegung dieser Formulierung lässt der EuGH die Mitgliedstaaten allein (EuGH vom 3.9.2009, Az. C-489/07).

Fest steht, dass die derzeitige deutsche Regelung mit Europarecht nicht im Einklang steht. Sowohl der Gesetzestext als auch die Musterwiderrufsbelehrung (auch in der am Sommer 2010 geltenden EGBGB-Fassung) sind mit Europäischem Recht nicht vereinbar. Der Gesetzgeber wird hier unmittelbar nach der Bundestagswahl nachbessern müssen. Entsprechende Beratungen im Bundesjustizministerium laufen bereits.

Händler, die schon bisher Wertersatz nur in Extremfällen verlangen, sollten erwägen, auf die Wertersatzklausel in den AGB und der Widerrufs(folgen)belehrung zu verzichten, um sich nicht zusätzlichen (Abmahn-)Risiken auszusetzen. Wo der Wertverlust durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Ware gravierend ist, ist das natürlich eine unschöne Alternative.

Siehe auch die Anmerkung im Betriebs-Berater: Schirmbacher, Erhebliche Unsicherheit bei der Abfassung der Widerrufsbelehrungen? – Besprechung der EuGH-Entscheidung, BB 2009, 2164.

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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