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Durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 25. Oktober 2011 ist das Vorgehen gegen Persönlichkeitsverletzungen im Internet wesentlich erleichtert worden. Neu kann ein Kläger grundsätzlich auch vor den Gerichten in seinem Wohnsitzstaat den gesamten Schaden aus einer solchen Verletzung geltend machen. Bis anhin war dies nur in dem Mitgliedstaat möglich, in dem der Urheber der Verletzung ansässig war. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch die Schweizer Gerichte diesen neuen Grundsatz nachvollziehen werden.
Sachverhalt
Dem Entscheid des EuGH vom 25.10.2011 (Rs. C-509/09, C-161/10) lagen zwei Rechtsstreitigkeiten mit internationaler Dimension zugrunde. Der eine betrifft die Berichterstattung des österreichischen Internetportals „rainbow.at“ über den verurteilten Mörder eines bekannten deutschen Schauspielers. Der inzwischen freigelassene Mörder verlangt vor den deutschen Gerichten, dem Internetportal die Berichterstattung unter voller Namensnennung zu verbieten. Im zweiten Rechtsstreit verlangt der französische Schauspieler Olivier Martinez vor den französischen Gerichten insbesondere Schadenersatz von der englischen Gesellschaft MGN, weil diese mit einem Bericht auf der Website „sundaymirror.co.uk“ über ein Treffen mit Kylie Minogue sein Privatleben und das Recht am eigenen Bild verletzt habe. In beiden Fällen war die internationale Zuständigkeit der nationalen Gerichte umstritten, weshalb der EuGH um Auslegung der europarechtlichen Vorschriften gebeten wurde.
Bisherige Rechtslage
Für die Frage, in welchem Land Ansprüche aus Persönlichkeitsverletzungen geltend gemacht werden können, ist im Verhältnis zwischen den EU-Staaten die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO) massgebend. Fest stand bis anhin, dass gestützt auf Art. 5 Nr. 3 der Verordnung eine Klage sowohl im Land, in dem die Verletzungshandlung ausgeführt wurde (Handlungsort), als auch im Land, in dem ein daraus resultierender Schaden eingetreten ist (Erfolgsort). Aufgrund eines Entscheids des EuGH aus dem Jahre 1995 (Rs.68/93, „Shevill“) im Zusammenhang mit einem Print-Presse-Artikel war das Vorgehen gegen Persönlichkeitsverletzungen im Internet bis anhin dadurch erschwert, dass der Kläger den Gesamtschaden nur vor den Gerichten des Landes geltend machen konnte, in dem der Urheber der Verletzung ansässig ist. In den übrigen Mitgliedstaaten, insbesondere im eigenen Wohnsitzstaat, konnte der Kläger somit gegen einen ausländischen Herausgeber nur den Schaden geltend machen, der in diesen Staat eingetreten ist (sog.Mosaiktheorie).
Entscheid des EuGH
In seinem aktuellen Entscheid hat der EuGH seine Rechtsprechung nun präzisiert. Dabei hebt der Gerichtshof den Unterschied von Veröffentlichungen im Internet zu einer gebietsabhängigen Verbreitung eines Mediums wie Druckerzeugnissen hervor. Es wird festgehalten, dass Inhalte auf einer Website von einer unbestimmten Anzahl von Internetnutzern überall auf der Welt unmittelbar abgerufen werden können, unabhängig davon, ob es in der Absicht ihres Urhebers lag, dass sie über seinen Sitzmitgliedstaat hinaus abgerufen werden, und ohne dass er Einfluss darauf hätte. Neben der besonderen Schwere einer daraus resultierenden Persönlichkeitsverletzung weist der Gerichtshof auch darauf hin, dass es nicht immer technisch möglich sei, die Verbreitung eines Inhalts sicher und zuverlässig für einen konkreten Staat zu quantifizieren und so den ausschliesslich in diesem Staat verursachten Schaden zu beziffern.
Vor diesem Hintergrund erachtete es der EuGH als gerechtfertigt, dass ein Kläger, der sich durch eine Veröffentlichung auf einer Website in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, die Möglichkeit hat, vor den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, den gesamten Schadens einzuklagen. Wie der Gerichtshof festgehalten hat, ist der Mittelpunkt der Interessen einer Person in der Regel an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort. Unabhängig davon kann der gesamte Schaden auch weiterhin vor den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem der Urheber ansässig ist, geltend gemacht werden. Schliesslich besteht auch künftig die Möglichkeit, eine Klage vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats zu erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war, wobei dann nur der dort verursachte Schaden geltend gemacht werden kann.
Auswirkungen für die Schweiz
Für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit von Schweizer Gerichten ist im Verhältnis zu den EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten insbesondere das sog. Lugano-Übereinkommen (LugÜ) massgebend. Das LugÜ entspricht inhaltlich im Wesentlichen dem EU-rechtlichen Vorbild. Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung verschiedentlich eine möglichst einheitliche Auslegung der beiden Erlasse angestrebt und sich demensprechend auch an der Rechtsprechung des EuGH orientiert (vgl. bspw. BGE 133 III 282, E.3.1.). Vor diesem Hintergrund ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Schweizer Gerichte den neuen EuGH-Entscheid nachvollziehen werden. Eine in der Schweiz wohnhafte Person, könnte in diesem Fall gestützt auf Art. 5 Nr. 3 LugÜ in der Regel auch vor den schweizerischen Gerichten gegen eine Veröffentlichung im Internet einer im Ausland ansässigen Person den gesamten Schaden einklagen.
Update:
Aufgrund der Entscheidung des EuGH hat der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 8. Mai 2012 (VI ZR 217/08) zum Rechtsstreit über die Berichterstattung auf dem österreichischen Internetportal die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bejaht, da sich der Mittelpunkt der Interessen des Klägers in Deutschland befinde.
Weitere Informationen:
- BR-News: „EuGH: Abrufbarkeit einer Website bedeutet noch kein Ausrichten“
- BR-News: „Schweizer Urteil zu persönlichkeitsverletzenden „autocomplete“-Suchvorschlägen auf Google“
- BR-News: „ Beschimpfungen auf Facebook, auch für Unternehmen relevant!“
- BR-News: „BGer: Berichtigung im Leserbriefteil verletzt Gegendarstellungsrecht“
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann