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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Ende Dezember ein Vorabentscheidungs-Urteil veröffentlicht, in welchem sich die Frage stellte, ob eine Benutzung einer Gemeinschaftsmarke innerhalb nur eines EU-Mitgliedstaates als „ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft“ im Sinne der Gemeinschaftsmarkenverordnung gilt und dieser Gebrauch rechtserhaltend ist. Der EuGH hielt dazu fest, dass die Landesgrenzen der Mitgliedsstaaten nicht beachtet werden müssen. Allein die Tatsache, dass eine Marke in nur einem einzigen Mitgliedstaat benutzt wurde, ist deshalb nicht geeignet, eine ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft auszuschliessen. Hingegen haben die nationalen Gerichte bei der Frage, ob eine ernsthafte Benutzung vorliegt, alle für die Beurteilung der geschäftlichen Verwendung der Marke relevanten Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Merkmale des betreffenden Marktes, die Art der betroffenen Waren oder Dienstleistungen, die Grösse des Gebiets der Benutzung sowie deren Häufigkeit und Regelmässigkeit.
Sachverhalt und Hintergrund
Hintergrund des neuen EuGH-Urteils (C-149/11) ist der Grundsatz, dass der Inhaber einer Marke nur dann Markenschutz geniesst, wenn er die Marke auch tatsächlich benutzt. Dieser Grundsatz ist sowohl in den meisten nationalen Rechtsordnungen als auch in der europäischen Gemeinschaftsmarkenverordnung festgehalten. Diese fordert eine ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft (vgl. Art. 15 Abs. 1 Gemeinschaftsmarkenverordnung). Konkret stellte sich vorliegend die Frage, in welcher Region eine Marke benutzt werden muss, damit eine „ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft“ vorliegt.
Begonnen hat der Rechtsstreit bereits vor rund dreieinhalb Jahren. Im Juli 2009 hinterlegte die Hagelkruis Beheer BV beim Benelux-Markenamt (BAGE) die Wortmarke „OMEL“, namentlich für Dienstleistungen der Klassen 35 und 41 (u.a. Marketing, Werbung, Ausbildung sowie die Veranstaltung von Messen und Seminaren). Da die Leno Merken BV unter anderem für dieselben Klassen Inhaberin der Gemeinschaftswortmarke „ONEL“ ist, erhob sie gegen diese Eintragung Widerspruch. Diese wies das Markenamt zurück, da Leno keine ernsthafte Benutzung der Marke innerhalb der letzten fünf Jahre habe nachweisen können. Leno rief daraufhin das zuständige niederländische Gericht an, welches die Sache dem EuGH vorlegte.
Vorlagefrage: Auslegung des Begriffs „ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft“
Einig waren sich die Parteien vor den niederländischen Gerichten darüber, dass die beiden Marken einander ähnlich und für identische oder ähnliche Dienstleistungen eingetragen worden waren und dass die Benutzung der Marke „OMEL“ beim Publikum eine Verwechslungsgefahr hervorrufen könnte. Offen waren deshalb im Ausgangsrechtsstreit lediglich die Auslegung des Begriffs „ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft“ und insbesondere die erforderliche Grösse des Gebiets, in welcher eine solche Benutzung erfolgt sein muss. Diese Frage legte das niederländische Gericht schliesslich auch dem EuGH vor. Das nationale Gericht wollte wissen, ob es für eine ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft ausreicht, wenn diese nur in einem einzigen Mitgliedstaat erfolgt oder ob die Grenzen der Mitgliedstaaten bei dieser Beurteilung ausser Betracht zu lassen sind.
Definition des Begriffs
Der EuGH äusserte sich vorerst zur Defintion des Begriffs und verwies dabei auf seine eigene Rechtsprechung zur ernsthaften Benutzung nationaler Marken und übertrug diese auf die Gemeinschaftsmarken. Nach dieser Rechtsprechung wird dann von einer ernsthaften Benutzung ausgegangen, wenn eine Marke benutzt wird, um für die von der Markenanmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschliessen oder zu sichern. Eine rein symbolische Verwendung, die nur der Wahrung der durch die Marke verliehenen Rechte dient, gilt dabei nicht als ernsthafte Benutzung. Weiter ist die Ernsthaftigkeit der Benutzung der Marke anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände zu prüfen, die belegen können, dass die Marke tatsächlich geschäftlich verwendet wird. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale der Märkte, die Grösse des Gebiets, in dem die Marke benutzt wird sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung. Die Grösse des Gebiets ist somit kein von der ernsthaften Benutzung getrenntes Kriterium, sondern ein Teilaspekt davon.
Wortlaut, Zweck und Ziele der Gemeinschaftsmarkenverordnung
Daraufhin analysierte der Gerichtshof den Wortlaut der Bestimmung. Aus diesem gehe klar hervor, dass die Marke in der Gemeinschaft benutzt werden müsse und der Gebrauch in Nicht-Mitgliedstaaten nicht berücksichtigt werden könne (vgl. zum Thema BR-News vom 2. August 2012).
Zweck der Gemeinschaftsmarke sei es, dem Inhaber zu ermöglichen, seine Waren und Dienstleistungen ohne Rücksicht auf Grenzen überall in der Gemeinschaft auf dieselbe Weise zu kennzeichnen. Ziel des Systems der Gemeinschaftsmarken sei deshalb, auf dem EU-Binnenmarkt Bedingungen zu bieten, die mit denen auf einem nationalen Markt vergleichbar sind. Daraus folgert der Gerichtshof, dass für die Beurteilung, ob eine ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft vorliegt, die Grenzen der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht in Betracht zu ziehen seien. Darüber hinaus sei es denkbar, dass der Markt für gewisse Waren oder Dienstleistungen, für die eine Gemeinschaftsmarke eingetragen wurde, unter Umständen faktisch auf das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats begrenzt ist. In einem solchen Fall könne die ernsthafte Benutzung der Marke gleichzeitig die Voraussetzungen für die ernsthafte Benutzung einer nationalen und einer Gemeinschaftsmarke erfüllen.
Festlegung der minimalen Gebietsgrösse nicht möglich
Die Beurteilung, ob eine Marke ernsthaft benutzt wurde, ist Sache des nationalen Gerichts. Dieses hat sämtliche Umstände des ihm vorliegenden Rechtsstreits zu würdigen. Die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Markennutzung beruht auf sämtlichen Tatsachen und Umständen, die geeignet sind, zu belegen, dass die geschäftliche Verwendung der Marke es ermöglicht, Marktanteile für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen wurde, zu gewinnen oder zu behalten. Aus diesem Grund sei es unmöglich, abstrakt festzulegen, auf welche Gebietsgrösse abzustellen ist. Laut EuGH ist es deshalb nicht möglich, ein gebietsmässiges Mindestmass festzulegen, bei welchem nicht von einer ernsthaften Benutzung ausgegangen werden kann. Allein die Tatsache, dass eine Marke nur in einem Mitgliedstaat benutzt wurde, ist deshalb nicht geeignet, eine ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft auszuschliessen. Die Grenzen der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaten seien deshalb bei dieser Beurteilung ausser Betracht zu lassen.
Fazit und Rechtslage in der Schweiz
Der EuGH hat in seinem Vorabentscheidungsurteil festgehalten, dass die ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft nicht bereits dadurch ausgeschlossen ist, wenn diese nur in einem einzigen Mitgliedstaat benutzt wird. Hingegen sind bei jeder Beurteilung alle erheblichen Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Merkmale des betreffenden Marktes, die Art der betroffenen Waren oder Dienstleistungen, die Grösse des Gebiets der Benutzung sowie deren Häufigkeit und Regelmässigkeit. Diese Beurteilung obliegt dem nationalen Gericht.
Der Sachverhalt und die Erwägungen des EuGH lassen sich nur bedingt auf die Schweiz übertragen, weil die EU anders als die Schweiz zwei parallel geltende Markenschutzsysteme kennt, die nationalen Marken und die Gemeinschaftsmarken. In der Schweiz hingegen gilt ein einheitliches Bundesgesetz (das Markenschutzgesetz, MSchG). Dieses kennt das gleiche Prinzip wie die EU, spricht jedoch nicht von der ernsthaften Benutzung, sondern vom „ernsthaften Gebrauch“ der Marke. Inhaltlich dürften die beiden Begriffe weitgehend identisch sein. Das Gesetz enthält keine expliziten Vorschriften, in welchem Gebiet ein Markengebrauch stattfinden muss, um als „ernsthaft“ gewertet zu werden. Erforderlich ist aber nach herrschender Lehre und Rechtsprechung grundsätzlich ein ernsthafter Gebrauch innerhalb der Schweiz. Eine Spezialregelung ist vorgesehen für so genannte Exportmarken, bei welchen es ausreicht, wenn die betreffende Marke bei der Ausfuhr aus der Schweiz verwendet wird (Art. 11 Abs. 2 MSchG). Eine weitere Ausnahme ist in einem Staatsvertrag mit Deutschland vorgesehen. In diesem ist festgehalten, dass der Markengebrauch in einem der beiden Staaten immer auch als rechtserhaltender Gebrauch im anderen Staat gilt, wenn die Marke in beiden Staaten eingetragen ist. Auch in der Schweiz ist die Ernsthaftigkeit des Gebrauchs anhand verschiedener Kriterien zu beurteilen, von welchen die geografische Ausdehnung des Marktes und des Markengebrauchs nur einen Aspekt darstellt. Allein ein eingeschränkter geografischer Markengebrauch kann somit auch nach Schweizer Recht den ernsthaften Gebrauch nicht ausschliessen. Zu berücksichtigen sind wie in der EU auch in der Schweiz sämtliche Umstände, aus denen ersichtlich wird, dass eine ernsthafte Marktbearbeitung stattfindet, so zum Beispiel die Art der Marktbearbeitung, die Art der Produkte oder Dienstleistungen, die Anzahl Abnehmer sowie die Art und Grösse des Unternehmens.
Weitere Informationen:
- Urteil C-149/11 des EuGH vom 19. Dezember 2012
- Verordnung 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke (Gemeinschaftsmarkenverordnung)
- Richtlinie 2008/95/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken(Markenrichtlinie)
- Schlussanträge der Generalanwältin in der Rechtssache C-149/11 vom 5. Juli 2012
- BR-News: „EuG: Gebrauch einer Marke in der Schweiz gilt nie als Gebrauch in einem EU-Mitgliedstaat“
- BR-News: „EuGH: der rechtserhaltende Gebrauch einer Marke kann auch durch die Benutzung einer anderen Marke erfolgen“
- Bundesgesetz über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (MSchG)
- Informationen des Instituts für Geistiges Eigentum zum Thema
Ansprechpartner: Adrian Süess