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Die Ausrichtung einer Website auf Kunden in einem anderen Land kann zur Anwendbarkeit einer Reihe lokaler Bestimmungen führen, insbesondere Verbraucherschutzrecht. Mit der Anwendbarkeit lokalen Rechts geht oft auch die Zuständigkeit lokaler Gerichte für Klagen gegen den Betreiber der Website einher. Eine zentrale Frage für alle im E-Commerce Tätigen ist deshalb, wann eine solche Ausrichtung angenommen werden muss. Die Antwort darauf ist noch offen. Klar ist zunächst, dass diese nicht schon durch die blosse Abrufbarkeit einer Website gegeben sein kann. Schon lange ist auch klar, dass es für Rechtssicherheit einer Entscheidung durch den EuGH bedarf. In einem anhängigen Verfahren zur Anwendbarkeit ausländischen Verbraucherschutzrechts (C-585/08 und C-144/09) hat nun die EuGH-Generalanwältin Trstenjak im Rahmen ihrer Schlussanträge einen Katalog an Kriterien vorgelegt. Die vom EuGH zu beantwortende Vorlagefrage ist auch für Schweizer Online-Unternehmen von Bedeutung, da sich die Gerichte der Mitgliedstaaten in Zukunft bei der Beurteilung ihrer Zuständigkeit wohl auch bei der Auslegung des LugÜ nach den vom EuGH vorgegebenen Kriterien richten werden.
In den besagten Verfahren geht es um die Anwendbarkeit von österreichischem Verbraucherschutzrecht auf deutsche Websites, auf denen Reisedienstleistungen von deutschen Anbietern angeboten wurden, die auch auf dem österreichischen Markt abrufbar waren, und worüber die Kläger auf die Angebote aufmerksam wurden. In keinem der beiden Fälle erfolgte die Buchung selbst über die abrufbare Website.
Vor allen nationalen Instanzen war jeweils die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte umstritten, insbesondere auch aufgrund der Werbetätigkeit der Beklagten in Österreich über die abrufbare Website. In der Folge unterbreiteten der Oberste Gerichtshof von Österreich und ein Rekursgericht dem EuGH unter anderem die Frage zur Vorabentscheidung, ob für das „Ausrichten“ der Tätigkeit im Sinne von Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO (resp. Art. 13 Ziff. 3 lit. a LugÜ) bereits die Abrufbarkeit einer Website ausreichend ist.
In Vorabentscheidungsverfahren wie dem vorliegenden urteilt der EuGH nicht selbst über den Rechtsstreit der Beteiligten. Vielmehr macht er jeweils Vorgaben, wie das europäische Recht auszulegen ist. Die Generalanwältin hat nun zu Handen des EuGH dargelegt, dass der Begriff des Ausrichtens grundsätzlich so zu verstehen sei, dass sich ein Unternehmer aktiv um den Abschluss von Verträgen mit Verbrauchern aus einem bestimmten Staat oder mehreren Staaten bemüht. Die blosse Abrufbarkeit der Website in einem bestimmten Staat könne folglich nicht ausreichen. Deshalb hat die Generalanwältin eine Reihe von Kriterien aufgestellt, anhand welcher der EuGH die internationale Ausrichtung von Websites beurteilen soll. Eine Unterscheidung zwischen sog. passiven Seiten und interaktiven Websiten, also z.B. Online-Shops, ist nach Auffassung der Generalanwältin nicht gerechtfertigt. Es soll also also beispielsweise keine Rolle spielen, ob über die betreffende Website Verträge geschlossen werden können.
a) Relevanz der Gestaltung der Website: Beispielhafte Kriterien, aus denen sich ergibt, ob sich der Unternehmer online aktiv um den Vertragsabschluss mit Verbrauchern aus einem anderen Land bemüht:
- Angabe der internationalen Vorwahl bei Telefon- und Faxnummer;
- Hinweis auf eigene Servicenummer für Verbraucher aus dem Ausland;
- Wegbeschreibung von anderen Mitgliedstaaten zum Ort, an dem der Unternehmer seine Tätigkeit ausübt;
- Möglichkeit der Abfrage, ob weitere Ware auf Lager ist oder ob eine Dienstleistung erbracht werden kann;
- Möglichkeit für Verbraucher aus anderen Mitgliedstaaten, einen Newsletter über Dienstleistungen und Waren im Angebot des Unternehmers zu abonnieren;
- Bei interaktiven Websites wie Shops: die Möglichkeit des Verbrauchers, im Bestellprozess verschiedene Länder als Lieferländer auszuwählen.
Die Generalanwältin weist zudem darauf hin, dass die blosse Angabe einer E-Mail-Adresse auf der Website nicht ausreichend sei für die Bejahung der Ausrichtung. Denn die Betreiber von Websites sind nach der E-Commerce-Richtlinie (Art. 5 Abs. 1 lit. c) hierzu verpflichtet.
b) Relevanz von bereits früher abgeschlossenen Geschäften: Der Umstand, dass bereits in der Vergangenheit über die Website Geschäfte mit Verbrauchern aus dem Ausland abgeschlossen wurden, spricht für eine Ausrichtung. Dabei soll jedoch ein einzelnes Geschäft noch nicht für sich dafür sprechen. Zudem komme es darauf an, dass bereits Geschäfte mit Kunden in dem betreffenden Mitgliedstaat getätigt worden seien, auf welches die Ausrichtung zu prüfen sei. Je grösser die Anzahl bereits getätigter Geschäfte, je deutlicher die Ausrichtung.
c) Relevanz der verwendeten Sprache: Die verwendete Sprache sei grundsätzlich – in Übereinstimmung mit Erwägungsgrund 24 der Rom-I-Verordnung – kein Indiz für die Ausrichtung, könne aber in Einzelfällen relevant werden. Beispielsweise sei es möglich, dass sich eine Website in spanisch an Kunden in Spanien, aber auch an Spanier in einem beliebigen anderen Land richtet. Interessanterweise soll jedoch die Möglichkeit, die Sprache auf der Website zu ändern, ein relevanteres Kriterium sein. Dies deute auf eine bewusste Ausrichtung auf das Ausland hin.
d) Relevanz der verwendeten Top-Level-Domain: Im Gegensatz zur Sprache soll nun aber die verwendete Top-Level-Domain (z.B. „.de“) ein relevantes Kriterium sein. Die Verwendung einer bestimmten anderen Top-Level-Domain (TLD) sei ein klares Zeichen der Ausrichtung. Hingegen schliesse die Verwendung der eigenen nationalen TLD die Ausrichtung auf das Ausland nicht aus. Zudem lasse auch die Verwendung von staatsunabhängigen TLD (z.B. „.net“ oder „.com“) für sich noch keine Schlüsse auf die Ausrichtung zu.
e) Relevanz der angebotenen Tätigkeiten: Nach der Ansicht der Europäischen Kommission kann die Art der angebotenen Tätigkeit gegen die Ausrichtung sprechen, wenn diese typischerweise in einem lokalen Umfeld erbracht wird (z.B. gewisse handwerkliche Tätigkeiten). Nach der Generalanwältin soll dies jedoch kein relevantes Kriterium darstellen.
f) Relevanz der Werbung: Werbung im Land des jeweiligen Verbrauchers soll ein klares Indiz für die Ausrichtung der Website sein. Somit spreche z.B. ein Pop-up-Fenster, das beim Öffnen einer Website in einem bestimmten Staat angezeigt wird, für die Ausrichtung auf diesen Staat. Entsprechendes gelte auch für die unaufgeforderte Versendung von E-Mails mit Links zur Website oder Werbelinks auf Websites, die in der Trefferliste einer Suchmaschine in einem Staat angezeigt werden. Hier rechtfertige es sich, dass der Unternehmer das Risiko der Anwendbarkeit fremden Rechts ohne weiteres zu tragen habe.
Trotz dieser relativ detaillierten Ausführungen der Generalanwältin, wird die von ihr vorgeschlagene und letztendlich entscheidende Antwort auf die Vorlagefrage keine Klarheit in Bezug auf die relevanten Kriterien bringen. Obwohl die Beurteilung der Ausrichtung natürlich immer vor den Gesamtumständen zu erfolgen hat, enthält die Antwort weder eine klare Gewichtung gewisser Kriterien noch eine Aussage darüber, welche Kriterien nicht relevant sein sollen. Die erwähnten Faktoren sind für sich so breit gefasst, dass jeder für sich einen immensen Interpretationsbedarf beinhaltet.
Es bleibt nun abzuwarten, inwiefern der EuGH diesen Anträgen der Generalanwältin folgen wird. In der Zwischenzeit und vor diesem Hintergrund ist international und national tätigen Internet-Unternehmen weiterhin zu empfehlen, sich an folgendem Kriterienkatalog zu orientieren:
Evident ist die Ausrichtung auch auf das Nachbarland, wenn
- besondere Rubriken oder Buchungsmöglichkeiten bestehen, die etwa durch Fähnchen etc. kenntlich gemacht sind;
- ausdrückliche Hinweise gegeben werden, dass auch die Schweiz bzw. Deutschland beliefert werde;
- explizit Versandkosten in das jeweilige Nachbarland angegeben werden;
- gezielt Kunden im jeweiligen Staat angesprochen werden;
- Preise in der jeweils anderen Währung genannt werden, wobei die Angabe von Euro-Preisen auf Schweizer Websites wohl lediglich ein Indiz bildet;
Daneben können folgende Kriterien für eine Ausrichtung auf das Nachbarland sprechen:
- Die verwendete Sprache; Dieses Element bringt jedoch im Verkehr zwischen der Schweiz und Deutschland keine sinnvollen Ergebnisse. Außerdem ist bei der Verwendung der englischen Sprache nicht schon per se von einer nicht gewollten Ausrichtung auf Deutschland bzw. die Schweiz auszugehen.
- Die Verwendung von Bankverbindungen in dem jeweiligen Land;
- Die Verwendung von länderspezifischen Top-Level-Domains;
- Der Zuschnitt des Anbieters (lokaler Händler vs. internationales Unternehmen);
- Das Angebot von After-Sales-Leistungen im jeweiligen Ausland;
- Die Platzierung von Werbung auf ausländischen Websites oder in Print-Publikationen;
- Auch wer Werbung auf google.de bzw. google.ch bucht, gibt seine Ausrichtung klar zu erkennen;
- Die Zahl der Nutzer der Websites aus dem betreffenden land, die allerdings dem Gegner nur bekannt sein dürfte, wenn der Betreiber dies vorher öffentlich gemacht hat;
- Der Verweis auf Rechtsvorschriften des jeweiligen Landes;
- Eine Auflistung in Verzeichnissen von Diensteanbietern im Ausland.
Gegen eine Ausrichtung auf den Nachbarstaat spricht es demgegenüber, wenn
- eine klare lokale Ausrichtung eines Dienstleistungsangebotes besteht, deren Nutzung im Ausland nicht möglich ist;
- Werbung ausschließlich im Lokalteil eines ausländischen Internetangebotes geschaltet wird;
- die Website für das Ausland ungewöhnlich ausgestaltet ist;
- ein ernst zu nehmender Disclaimer verwendet wird, der eine Lieferung ins Ausland ausschließt und keine Anhaltspunkte vorliegen, dass das betreffende Unternehmen entgegen des Ausschlusses dennoch ins Ausland liefert.
Die einzelnen Kriterien müssen im jeweiligen Kontext betrachtet und in einer Gesamtabwägung gewürdigt werden.
Sobald der EuGH eine Entscheidung getroffen hat, werden wir dies auf unseren Websites bekannt geben und kommentieren.
Update:
EuGH: Abrufbarkeit einer Website bedeutet noch kein Ausrichten
Weitere Informationen zum Thema der Ausrichtung:
- Schlussanträge der Generalanwältin
- Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO)
- Lugano-Übereinkommen (LugÜ)
- BR-News: «Der Cross-Border-Onlineshop«
- BR-News: «Leitfaden zur Preiswerbung im E-Commerce«
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann, Bühlmann Rechtsanwälte, Zürich