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Der EuGH-Generalanwalt hat sich letzten Sommer in seinen Schlussanträgen ausführlich zu Fragen der Anwendbarkeit der Datenschutzrichtlinie (46/95/EG) auf die Tätigkeiten von Suchmaschinenbetreiberinnen geäussert. Wir berichteten an dieser Stelle ausführlich darüber. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend, jedoch ist in vielen Fällen zu erwarten, dass den Anträgen gefolgt wird. Nicht so dieses Mal. Wie aus dem Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014 hervorgeht, kann eine Person aus datenschutzrechtlichen Gründen die Löschung von Google-Links direkt von Google verlangen.
Sachverhalt
Eine spanische Tageszeitung veröffentlichte im Jahr 1998 einen Artikel über die Zwangsversteigerung einer Immobilie. Zur Versteigerung ist es gekommen, nachdem der Eigentümer, ein im Bericht mit vollem Namen erwähnten Spanier, seine Schulden bei der Sozialversicherung nicht beglichen hatte. Dieser wandte sich mit dem Begehren, der Eintrag sei zu löschen, da das Pfändungsverfahren schon seit Jahren abgeschlossen sei, zuerst an die spanische Zeitung und später an Google (Google Spain). Nachdem weder der Verleger der Zeitung noch die Betreiberin der Suchmaschine seinem Antrag nach der Löschung der Inhalte bzw. der Verlinkung zu diesen, Folge leisteten, gelangte er mit einer Beschwerde an die spanische Datenschutzagentur (AEPD). Diese wies die Beschwerde gegen den Zeitungsverleger ab, da der Inhalt rechtmässig veröffentlicht wurde. Insoweit sich die Löschung der Inhalte auf den Index von Google bezog, wurde die Beschwerde aber gutgeheissen. Google liess dies nicht auf sich sitzen und wandte sich an das spanische Berufungsgericht (Audiencia National), welches die Rechtssache (C-131/21) wiederum zur Vorabentscheidung dem EuGH vorlegte.
Ausgangslage
Der europäische Gerichtshof hatte aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des spanischen Berufungsgerichts zu entscheiden,
- ob die Datenschutzrichtlinie (46/95/EG) anwendbar ist, also das Kriterium der räumlichen Niederlassung (Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) erfüllt ist, wenn eine Suchmaschinenbetreiberin zwar über eine Tochtergesellschaft in Europa verfügt, die Daten aber bei der Muttergesellschaft in einem Drittstaat verarbeitet werden,
- ob die Tätigkeit einer Suchmaschinenbetreiberin als «Verarbeiten von personenbezogenen Daten» im Sinne der Richtlinie (Art. 2 Buchst. b) zu verstehen ist,
- ob die Suchmaschinenbetreiberin verantwortlich im Sinne der Richtlinie (Art. 2 Buchst. b) für die Verarbeitung der von ihr indexierten Daten auf Webseiten Dritter ist,
- ob, falls die vorhergehenden Fragen zu bejahen sind, die Suchmaschinenbetreiberin angewiesen werden kann, die von Dritten veröffentlichten Daten von ihren Indexen zu entfernen
- und ob die Pflicht zur Entfernung der Daten entfällt, wenn die Daten auf den Webseiten Dritter rechtmässig veröffentlicht wurden.
Erwägungen
Nachdem der EuGH-Generalanwalt mit seinen Schlussanträgen seinen Vorschlag zur Beurteilung der vorliegenden Rechtssache vorgelegt hat, den wir hier schon besprochen haben, war abzuwarten, ob sich der EuGH den Erwägungen des Generalanwalts anschliesst. Zunächst schien dem so zu sein, denn der EuGH beurteilt die Frage des räumlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie entsprechend dem Antrag des Generalanwalts.
Das Gericht führt aus, dass die Richtlinie anzuwenden ist, wenn eine Suchmaschinenbetreiberin in einem Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft für den Verkauf und die Verkaufsförderung der Werbeflächen der Suchmaschine gründet und die Tätigkeit der Tochtergesellschaft auf die Einwohner des Mitgliedstaates gerichtet ist. Damit ist Google Spain als Niederlassung im Sinne der Datenschutzrichtlinie zu betrachten. Das Argument von Google, wonach die personenbezogenen Daten bei der Muttergesellschaft in den USA verarbeitet werden, liess der Gerichtshof nicht gelten, was grundsätzlich nicht überraschen kann. Anders als der Generalanwalt, stuft der EuGH – was ebenfalls nicht erstaunen kann – die Tätigkeit von Google als eigenständiges Verarbeiten von personenbezogenen Daten ein, weil die Suchmaschinenbetreiberin mit ihrer Suchmaschine das Internet automatisch, kontinuierlich und systematisch auf im Internet veröffentlichte Informationen durchsucht und somit auch personenbezogene Daten erhebt. Danach werden die Daten ausgelesen, gespeichert, organisiert und auf einem Server aufbewahrt, um sie später einem Nutzer, in Form einer Ergebnisliste, bereitzustellen und weiterzugeben. Alle diese Vorgänge werden in der Richtlinie ausdrücklich erwähnt. Daher sind sie als «Verarbeitungen» zu betrachten, auch wenn unter den Daten auch andere, nicht personenbezogene Daten vorhanden sind. Dass die Daten zumeist aus Informationen bestehen, die vorher schon einmal veröffentlicht wurden, müsse unbeachtlich bleiben, da in diesem Fall die Richtlinie ihres Sinns entleert würde.
Nachdem die Anwendbarkeit der Datenschutzrichtlinie feststeht, stellt sich die Frage der Verantwortung. Der Generalanwalt hat die Verantwortung von Google als Suchmaschinenbetreiberin für die von ihr verarbeiteten auf Webseiten Dritter veröffentlichten Daten verneint. Würde man Google für die Veröffentlichungen Dritter verantwortlich machen, wäre der Betrieb einer Suchmaschine kaum mehr aufrechtzuerhalten. Der EuGH hat diese Problematik erkannt und gleichzeitig festgestellt, dass die Frage der Verantwortung nicht medienrechtlich zu beantworten ist, denn die Suchmaschinenbetreiberin entscheide über die Zwecke und Mittel ihrer eigenen Datenverarbeitung und soll dafür auch als Verantwortliche im Sinne der Richtlinie gelten. Entscheidend dabei ist, dass zwischen der Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Rahmen der Tätigkeit der Suchmaschine und den Herausgebern von Daten auf Webseiten verbunden mit einer eigenen medienrechtlichen Verantwortung unterschieden wird. Die Tätigkeit der Suchmaschine erfolgt zusätzlich zu derjenigen des Herausgebers von Inhalten. Erst mittels der von der Suchmaschine bereitgestellten Ergebnislisten kann ein Nutzer einen strukturierten Überblick über eine beliebige Person erhalten – durch die Tätigkeit der Suchmaschine wird es also möglich, ein detailliertes Profil einer Person zu erstellen, hierauf bezieht sich die Verantwortung von Google und nicht auf die Inhalte der aufgelisteten Webseiten. Diese Tätigkeit der Suchmaschine belastet aus Sicht des EuGH, neben der Veröffentlichung von personenbezogenen Daten auf Webseiten Dritter, das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten zusätzlich und erheblich und fällt klar in den Verantwortungsbereich der Suchmaschinenbetreiberin. Da diese über die Zwecke und Mittel ihrer Tätigkeit entscheidet, muss sie im Rahmen ihrer Befugnisse und Möglichkeiten dafür sorgen, dass bei personenbezogenen Daten den Anforderungen der Datenschutzrichtlinie Folge geleistet wird. Auch dies kann nicht wirklich erstaunen. Der EuGH zieht Google damit als Suchmaschinenbetreiberin in die volle datenschutzrechtliche Verantwortung für die durch ihre Ergebnislisten verfügbar gemachten Personenprofile und die daraus möglicherweise resultierende erhebliche Beeinträchtigung des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens und des Schutzes personenbezogener Daten.
Der EuGH hält sodann fest, dass Links zu von Dritten veröffentlichten Internetseiten mit Informationen zu einer Person, als Bestandteile solcher Ergebnislisten, von der Suchmaschinenbetreiberin entfernt werden müssen, wenn die betroffene Person dies verlangt. Die Tatsache, dass die Inhalte zu einem früheren Zeitpunkt rechtmässig veröffentlicht wurden, solle nichts an dieser Pflicht ändern. Entscheidend soll sein, dass die von Google der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Informationen im Verlaufe der Zeit ihren ursprünglichen Zweck verlieren oder darüber hinausgehen und so ein nachteiliges oder sogar falsches Bild der betroffenen Person vermitteln. Eine solche Verarbeitung von Daten widerspricht den Bestimmungen der Richtlinie (Art. 6 Abs. 1 Buchst. c bis e). Eine Löschung soll in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls erfolgen, wenn ein Link
- im Anschluss einer Suche nach dem Namen einer Person in der Ergebnisliste angezeigt wird und auf von Dritten veröffentlichte Informationen verweist,
- die dort ersichtlichen Informationen jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr die Zwecke der Verarbeitung durch die Suchmaschine erfüllen,
- weil sie dafür nicht oder nicht mehr erheblich sind oder darüber hinausgehen.
Die betroffene Person kann die Löschung direkt von Verantwortlichen verlangen (Art. 10 Richtlinie) und allenfalls ihr Begehren an eine öffentliche Stelle (Kontrollinstanz) weiterziehen. Die Mitgliedstaaten bezeichnen diese Kontrollstellen und statten sie mit den notwendigen Untersuchungs- und Einwirkungsbefugnissen aus. Die betroffene Person kann im Einzelfall verlangen, dass die sie betreffenden Informationen der breiten Öffentlichkeit nicht mehr über die Einbeziehung eines Links in einer Ergebnisliste zugänglich gemacht werden. Einen Schaden muss der Person durch die Einbeziehung des Links nicht entstanden sein. Schliesslich führt der EuGH aus, dass die Interessen eines Individuums am Schutz des Privaten und seinen Daten (Art. 7 und 8 Grundrechtscharta) grundsätzlich den wirtschaftlichen Interessen der Suchmaschinenbetreiberin und dem Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, durch die Namenssuche alle Informationen zur betroffenen Person zu finden, überwiegen. Allerdings räumt er auch ein, dass, in besonderen Fällen, ein Eingriff gegen eine betroffene Person durch ein überwiegendes Interesse der breiten Öffentlichkeit am Zugang zu den fraglichen Informationen, legitimiert sein kann. Klar ist, dass die Verfügbarkeit der verlinkten Inhalte an sich durch entsprechende Löschungsbegehren unberührt bleibt. Gelöscht werden muss lediglich aber immerhin die Verlinkung der Inhalte in den Suchergebnissen von Suchmaschinenbetreibern.
Fazit
Der Entscheid des EuGH löste ein grosses mediales Echo aus und die Meinungen sind gespalten. Die Datenschützer begrüssen das Urteil und freuen sich, dass angeblich ein Recht auf Vergessen nun vom Gerichtshof in Luxemburg anerkannt und bestätigt wurde. Auf der anderen Seite monieren die Verteidiger der Informationsfreiheit fehlende Übersicht in der Urteilsfindung und sehen die Informationsgesellschaft in ihren Freiheiten bedroht.
Eine unaufgeregte Analyse des Urteils zeigt aber, dass lediglich entschieden wurde, dass jemand, über den mittlerweile nachteilig gewordene Informationen im Internet zu finden sind, u. U. ein Recht hat, die Verlinkung auf diese Daten löschen zu lassen und somit deren Auffindbarkeit zu erschweren. Eine Löschung solcher Links von den Ergebnislisten erfolgt erst dann, wenn die sich entgegenstehenden Interessen abgewogen wurden und das Schutzbedürfnis des Individuums an seinen persönlichen Daten grösser ist, als dasjenige der Öffentlichkeit am Zugang freier Information. Der mit dieser Interessenabwägung im Einzelfall verbundenen Verantwortung müssen sich Google und Co. jetzt bei entsprechenden Löschungsbegehren stellen. Von einem eigentlichen Recht auf Vergessen kann somit nicht die Rede sein, da die verlinkten Informationen und Inhalte bestehen bleiben.
Google und andere Suchmaschinenbetreiber verlangen regelmässig, nicht als Medienunternehmen behandelt zu werden. Es ist demnach konsequent, diese auch im vorliegend interessierenden Zusammenhang nicht als solche zu behandeln. Der EuGH hat klargestellt, dass ein entsprechender datenschutzrechtlicher Löschungsanspruch bei Medienunternehmen mit eigener redaktioneller Verantwortung nicht besteht.
Dass die Möglichkeit dieser Löschungsbegehren den Betrieb von Suchmaschinen grundsätzlich in Frage stellen soll, kann nicht überzeugen. Geht es beispielsweise um Urheberrechts- oder Markenrechtsverletzungen ist Google schon seit Jahren entsprechenden Löschungsbegehren ausgesetzt. Gerade in Anbetracht der Praxis von Google bei diesen schon lange bestehenden Lösungsmöglichkeiten ist nicht davon auszugehen, dass das Urteil dazu führen wird, dass Google einfach sofort und im Zweifel sowieso löschen wird. Google hat ein ureigenes, kommerzielles Interesse nur so wenig wie notwendig zu löschen. Schon aus diesem Grund wird Google sich der Aufgabe der nun vom EuGH geforderten Interessenabwägung stellen müssen. Das Urteil kommt überraschend und unerwartet, wird aber weder zu einer Verdunkelung des Informationszeitalters führen, noch bringt es ein eigentliches Recht auf Vergessen. Die konkreten Auswirkungen gilt es abzuwarten.
Weitere Informationen:
- EuGH Urteil in der Rechtssache C-131/12
- Schlussanträge Generalanwalt in der Rechtssache C-131/12
- Datenschutzrichtlinie (46/95/EG)
- Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann