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Das EU-Recht gewährt Handelsvertretern (nach Schweizer Terminologie: Agenten) für den Fall der Beendigung durch den Vertragspartner Ausgleichs- und Schadenersatzansprüche. In einem aktuellen Urteil stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest, dass Handelsvertretern diese Ansprüche auch dann zustehen, wenn der Vertrag während der Probezeit beendet wird.
Beendigung eines Handelsvertretervertrages
DTT und CMR schlossen einen Handelsvertretervertrag ab. Der Vertrag sah eine Probezeit von zwölf Monaten vor, innerhalb deren beide Parteien das Recht hatten, ihn mit einer bestimmten Frist zu kündigen. Einige Monate nach Vertragsabschluss kündigte DTT den Vertrag. CMR verlangte von DTT daraufhin die Zahlung eines Ausgleichs zum Ersatz des mit der Beendigung des Handelsvertrages verbundenen Schadens.
Die Handelsvertreter-Richtlinie (86/653/EWG) sieht vor, dass ein Handelsvertreter (CMR) gegenüber dem Unternehmer (DTT) Anspruch auf einen Ausgleich oder auf Schadenersatz nach Beendigung des Vertragsverhältnisses hat. Anspruch auf Schadenersatz besteht, wenn der Handelsvertreter
- Provisionsansprüche verliert, die ihm bei normaler Fortsetzung des Vertrages zugestanden hätten und/oder
- Kosten und Aufwendungen nicht amortisieren kann, die er in Ausführung des Vertrages gemacht hätte.
Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn
- er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindung mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und
- die Zahlung eines solchen Ausgleichs der Billigkeit entspricht.
Der mit dem Rechtsstreit zwischen CMR und DTT befasste Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) verlangte vom EuGH eine Klärung der Frage, ob diese Ansprüche auch dann bestehen können, wenn der Handelsvertretervertrag während der Probezeit beendet wird.
Richtlinie steht der Vereinbarung einer Probezeit nicht entgegen
In seinem Urteil vom 19. April 2018 (C‑645/16) stellt der EuGH zunächst fest, dass die Richtlinie der Vereinbarung einer Probezeit in einem Handelsvertretervertrag nicht entgegensteht. Da die Vereinbarung einer Probezeit in keiner Bestimmung der Richtlinie geregelt ist, sei davon auszugehen, dass eine solche Vereinbarung, die unter die Vertragsfreiheit fällt, nach der Richtlinie nicht per se verboten sei.
Ausgleich oder Schadenersatz auch bei Beendigung während Probezeit
Der Gerichtshof erachtete gestützt auf die Auslegung des Wortlauts der Richtlinie die vorgesehenen Ausgleichs- und Schadenersatzregelung nicht als Sanktion für die Vertragsauflösung, sondern als Entschädigung des Handelsvertreters für erbrachte Leistungen oder Kosten und Aufwendungen. Der Ausgleich oder Schadenersatz darf dem Handelsvertreter daher nicht alleine deshalb verweigert werden, weil die Beendigung des Vertrages während der Probezeit eingetreten sei. Dies wird auch durch das Ziel der Richtlinie, das u.a. im Schutz des Handelsvertreters liegt, bestätigt. Im Ergebnis kann deshalb auch dann ein Anspruch auf Ausgleich oder Schadenersatz bestehen, wenn der Handelsvertretervertrag während der Probezeit aufgelöst wird.
Schweiz: Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Agenturvertrags?
Das Schweizer Recht gewährt Agenten einen unabdingbaren Anspruch auf angemessene Entschädigung, wenn der Agent durch seine Tätigkeit den Kundenkreis des Auftraggebers wesentlich erweitert hat und diesem aus der Geschäftsverbindung mit der geworbenen Kundschaft auch nach Auflösung des Agenturverhältnisses erhebliche Vorteile erwachsen (Art. 418u OR; vgl. dazu auch MLL-News vom 22.11.2010) . Zudem wird festgelegt, dass mit Beendigung des Agenturverhältnisses sämtliche Ansprüche des Agenten auf Provision oder Ersatz fällig werden (Art. 418t Abs. 2 OR).
Die Vorgaben des Schweizer Rechts sind vergleichbar mit der Richtlinie, sodass es nicht ausgeschlossen erscheint, dass auch Schweizer Gerichte zum gleichen Schluss gelangen werden, wie der EuGH zum EU-Recht. Zu beachten ist allerdings, dass die „Kundschaftsenschädigung“ nach Schweizer Recht wie auch der Ausgleichsanspruch im EU-Recht nur gewährt werden kann, soweit dies nicht „unbillig“ erscheint. Den Gerichten wird daher ein weites Ermessen eingeräumt, weshalb von Fall zu Fall unterschiedliche Ergebnisse möglich sind. Ob dem Handelsvertreter im aktuellen Fall tatsächlich Ansprüche zustehen, werden ohnehin auch die nationalen Gerichte zu entscheiden haben.
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