EuGH: Kartellabsprachen sind auch dann unzulässig, wenn sie sich gegen einen Konkurrenten richten, der illegal auf dem Markt tätig ist


Ihr Kontakt

Eine Vereinbarung, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, stellt in der EU auch dann einen Wettbewerbsverstoss dar, wenn sie zum Ziel hat, einen Konkurrenten aus dem Markt zu drängen, der illegal tätig war. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor kurzem entscheiden. Es obliege nicht privaten Unternehmen, sondern den Behörden, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sicherzustellen. Darüber hinaus hat der EuGH festgehalten, dass für das Vorliegen einer Wettbewerbsabrede nicht relevant sei, ob ein Vertretungsberechtigter oder ein unbevollmächtigter Mitarbeiter die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung geschlossen habe. Das Unternehmen könne sich nur dann einer Verantwortlichkeit entziehen, wenn es sich klar vom Handeln des Mitarbeiters distanziert oder die anderen Teilnehmer bei den Behörden angezeigt habe.

Slowakische Banken drängen tschechischen Devisengeschäftedienstleister aus dem Markt

Das slowakische Kartellamt stellte im Jahr 2009 fest, dass drei wichtige slowakische Banken gegen die EU-Wettbewerbsregeln verstossen hatten. Sie hatten beschlossen, Verträge über die Kontokorrentkonten eines tschechischen Unternehmens aufzulösen und mit diesem keine neuen Verträge abzuschliessen. Das tschechische Unternehmen war ein Dienstleister für Devisengeschäfte. Für diese Tätigkeit, namentlich für den Transfer von Devisen in das und aus dem Ausland, benötigte das Unternehmen Kontokorrentkonten bei Banken, unter anderem bei solchen in der Slowakei.

Nach den Feststellungen des slowakischen Kartellamts sprachen sich die drei Banken ab und beschlossen ihr Vorgehen gemeinsam. Sie taten dies deshalb, weil sie unzufrieden damit waren, dass sich ihre Gewinne aufgrund der Tätigkeit des tschechischen Unternehmens verringerten. Sie betrachteten dieses als Konkurrenzunternehmen, das ihren Kunden gegenüber Dienstleistungen erbrachte.

Beweise für koordiniertes Vorgehen lagen vor

Dem Kartellamt lagen diverse Beweise für Kontakte zwischen den drei Banken vor, unter anderem für ein Treffen und einen anschliessenden E-Mail-Austausch. Aus diesen Unterlagen ergab sich, dass jede der drei Banken der Auflösung ihres Vertrags mit dem tschechischem Unternehmen nur unter der Bedingung zugestimmt hatte, dass die anderen Banken genauso handelten. Dadurch wollten sie verhindern, dass ein Teil ihrer Kunden zu der Bank wechselt, die weiterhin Kontokorrentkonten des tschechischen Unternehmens hält. Das slowakische Kartellamt erblickte darin eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem slowakischen Markt für Dienstleistungen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und verhängte gegen die drei Banken je eine Geldbusse zwischen drei und vier Millionen Euro.

Klage gegen Bussgeldentscheidung – Vorabentscheidung durch den EuGH

Eine der Banken erhob Klage gegen diese Entscheidung. Als Begründung brachte sie vor, dass sie nicht gegen die Wettbewerbsregeln verstossen habe, da das tschechische Unternehmen nicht als Konkurrent angesehen werden könne. Dieses sei illegal auf dem slowakischen Markt tätig gewesen, da es nicht über die nach slowakischem Recht erforderliche Genehmigung verfügt habe, die sie zur Ausübung ihrer Tätigkeit berechtigt hätte.

Das Gericht, das den Rechtsstreit zu entscheiden hat, gelangte deshalb an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und legte diesem mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Etwaige illegale Tätigkeit auf dem Markt lässt Wettbewerbsverstoss nicht entfallen

Als erstes wollte das slowakische Gericht wissen, ob es für die Beurteilung einer Kartellabsprache rechtlich erheblich sei, dass der durch die Absprache benachteiligte Wettbewerber illegal auf dem betroffenen Markt tätig war.

In seinem Urteil (C-68/12) wies der EuGH als erstes allgemein darauf hin, dass die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung auf den Wettbewerb nicht berücksichtigt werden müssen, wenn mit der Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt werde. Darüber hinaus sollen die EU-Wettbewerbsregeln nicht nur die Interessen einzelner Wettbewerber und der Verbraucher schützen, sondern auch die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen.

In Bezug auf den vorliegenden Fall sei es erwiesen, dass die Vereinbarung zwischen den Banken eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt habe. Für die Frage, ob gegen die Wettbewerbsregeln verstossen wurde, sei daher unerheblich, ob das tschechische Unternehmen möglicherweise illegal auf dem slowakischen Markt tätig war.

Ergänzend wies der Gerichtshof darauf hin, dass es den Behörden und nicht privaten Unternehmen obliege, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sicherzustellen. Laut EuGH steht es privaten Unternehmen nicht zu, Konkurrenzunternehmen aus dem Markt auszuschliessen, selbst wenn diese illegal im Markt tätig sind. In solchen Fällen hätten sie die Behörden zu informieren. Vor diesem Hintergrund sei auch eine sog. Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV ausgeschlossen.

Vertretungsberechtigung nicht relevant

Als nächstes hatte der EuGH die Frage zu beantworten, ob das persönliche Handeln eines Vertretungsberechtigten oder eine Vollmacht an einen Mitarbeiter erforderlich ist, um eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zu bejahen, wenn sich das Unternehmen nicht vom Handeln des Mitarbeiters distanziert bzw. die geschlossene Vereinbarung sogar umgesetzt habe.

Dazu hielt der EuGH vorerst fest, dass die massgeblichen Normen des EU-Wettbewerbsrechts nicht voraussetzen, dass der Geschäftsführer oder Inhaber eines Unternehmens Kenntnisse über eine Wettbewerbsabsprache haben oder diese gar selbst abschliesst. Erforderlich sei einzig, dass eine Person handelt, die berechtigt ist, für das Unternehmen tätig zu werden.

Die Beteiligung an rechtswidrigen Kartellen finde meistens im Verborgenen statt und unterliege keinen Formvorschriften. Es komme deshalb selten vor, dass Vertreter eines Unternehmens, die an einem Treffen teilnehmen, über eine Vollmacht für die Begehung einer Zuwiderhandlung verfügen. Ein an einer Wettbewerbsabrede beteiligtes Unternehmen werde deshalb nicht dadurch von seiner Verantwortlichkeit befreit, wenn derjenige Mitarbeiter, der die wettbewerbswidrige Vereinbarung getroffen hat, nicht dazu bevollmächtigt war. Darüber hinaus verwies der EuGH auf seine Rechtsprechung, wonach die Teilnahme eines Unternehmens an einem Treffen, an dem eine Wettbewerbsvereinbarung geschlossen wurde, nur dann weder als stillschweigende Billigung noch als Gutheissen des Ergebnisses gewertet werden kann, wenn sich das Unternehmen offen davon distanziert oder die anderen Unternehmen bei den zuständigen Behörden anzeigt.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Michael Schüepp


Artikel teilen



meistgelesen


Highlights

MLL Legal

MLL Legal ist eine der führenden Anwaltskanzleien in der Schweiz mit Büros in Zürich, Genf, Zug, Lausanne, London und Madrid. Wir beraten unsere Klienten in allen Bereichen des Wirtschaftsrechts und zeichnen uns insbesondere durch unsere erstklassige Branchenexpertise in technisch-innovativen Spezialgebieten, aber auch in regulierten Branchen aus.

MLL Legal

 

Newsletter

MLL-News 03/22 mit Beiträgen zum Digital Markets Act, Digital Services Act, PBV-Revision, Abmahnungen zu Google Fonts, Inbox-Adverting und vieles mehr.

Zugang MLL-News 03/22

Jetzt anmelden!

Unsere Geschichte

MLL Legal ist eine führende Schweizer Anwaltskanzlei, deren Geschichte bis ins Jahr 1885 zurückreicht. Die Kanzlei ist sowohl organisch als auch durch strategische Fusionen gewachsen, von denen die Jüngste am 1. Juli 2021 zwischen Meyerlustenberger Lachenal und FRORIEP vollzogen wurde.

Durch diesen Zusammenschluss hat sich MLL Legal zu einer der grössten Wirtschaftskanzleien der Schweiz mit über 150 Anwältinnen und Anwälten in vier Büros in der Schweiz entwickelt. Auch zwei Büros im Ausland, in London und Madrid, bieten Anlaufstellen vor Ort für Klientinnen und Klienten, die Beratung im Schweizer Wirtschaftsrecht suchen.

Die Kanzlei verfügt heutzutage über ein starkes internationales Profil und ein langjährig aufgebautes globales Netzwerk. MLL Legal vereint anerkannte Führungsqualitäten und Fachwissen in allen Bereichen des Schweizer und internationalen Wirtschaftsrechts.

Über uns

Publikationen

Hier geht’s zu unseren neuesten Publikationen

COVID-19

Lesen Sie alle unsere rechtlichen Updates zu den Auswirkungen von COVID-19 für Unternehmen.

COVID-19 Information

Offene Stellen

Sind Sie auf der Suche nach einer neuen Herausforderung?

Unsere talentierten und ambitionierten Teams sind von einer gemeinsamen Vision motiviert, erfolgreich zu sein. Wir schätzen eine offene und unkomplizierte Kommunikation über alle Ebenen der Organisation hinweg in einem unterstützenden Arbeitsumfeld.

Offene Stellen

Real Estate Legal Update

Hier gehts zum Real Estate Legal Update 01/24. Unser Real Estate Team hat wiederum Artikel in verschiedenen Gebieten verfasst, so dass hoffentlich für alle etwas Interessantes dabei ist. Wir wünschen viel Spass bei der Lektüre.

Registrieren Sie sich hier, um unser 2 x jährlich erscheinendes Real Estate Legal Update zu erhalten.

Unser Team

Unsere über 150 Anwältinnen und Anwälte unterstützen Sie dabei, den regulatorischen und technologischen Anforderungen im modernen globalen Wirtschaftsleben erfolgreich zu begegnen und ihre wirtschaftlichen Chancen zu nutzen.

Unser Team

Revision DSG

Auf unserer Themenseite rund um die Revision des Schweizerischen Datenschutzgesetzes finden Sie regelmässig aktualisierte und umfassende Informationen und Hilfsmittel. Es ist uns ein Anliegen, Sie bei der Implementierung der neuen Vorgaben zu unterstützen.

Revision DSG Themenseite

MLL Legal on Social Media

Folgen Sie uns auf LinkedIn.