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Am 16. Juli hatte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens den Fall einer Markenrechtsverletzung zu beurteilen, in dem sich die Auskunftsinteressen des geschädigten Rechteinhabers und das Interesse eines Geldinstituts an der Geheimhaltung ihrer Kundendaten gegenüberstanden. Dabei hat der Gerichtshof entschieden, dass die deutsche Regelung der Zeugnisverweigerung im Zivilprozess nicht mit der EU-Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vereinbar sei, da durch sie der Auskunftsanspruch vorbehaltlos und bedingungslos vereitelt werde. Die notwendige Interessenabwägung könne so nicht stattfinden. Dieser Entscheid hat zur Folge, dass sich Banken nicht mehr per se auf das Bankgeheimnis berufen können.
Auskunftsanspruch vs. Zeugnisverweigerungsrecht bei Markenrechtsverletzung
Allen Schutzmassnahmen zum Trotz werden Kunden von Internetplattformen wie Ebay, Amazon oder Ricardo immer wieder Opfer von Betrügern. So geschehen im Fall, den der EuGH am 16. Juli zu beurteilen hatte. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin hält die Vermarktungsrechte eines Parfums. Als sie einen Testkauf durchführte, wurde ihr ein Plagiat ihres Produkts angeboten und verkauft. Um gegen den Anbieter vorgehen und markenrechtliche Ansprüche geltend machen zu können, ersuchte die Klägerin die Bank, zu der sie den Kaufbetrag überwiesen hatte, um die Preisgabe der Identität des Anbieters. Sie berief sich dabei auf § 19 Abs. 2 S. 1 MarkenG. Die Bank wiederum verweigerte die Erteilung der Auskunft gestützt auf denselben § 19 Abs. 2 S. 1 MarkenG, wonach der Bank aufgrund von § 383 ZPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zukommt. Obwohl es an sich nicht unmittelbar gesetzlich geregelt ist (im Gegensatz zum Bankgeheimnis, wie es die Schweiz kennt, vgl. Art. 47 des Bankengesetzes, BankG), spricht man in diesem Zusammenhang auch in Deutschland von einem (mittelbaren) Bankgeheimnis.
Bundesgerichtshof übt Kritik am Bankgeheimnis
Bevor der Fall an den EuGH gelangte, hatte sich der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) damit auseinandergesetzt und seinerseits Zweifel an der Vereinbarkeit von § 19 Abs. 2 S. 1 MarkenG mit der EU-Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums geäussert. Auf den vorliegenden Fall bezogen lautete die Frage, ob vor dem Hintergrund der Richtlinie der beklagten Bank im Ergebnis ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht. Der BGH setzte das Verfahren aus und fragte den EuGH um eine Vorabentscheidung an.
EuGH: Ungleichgewicht zwischen den kollidierenden Grundrechten
Der EuGH teilte nun die Einschätzung des BGH. Er entschied, dass ein derart umfassendes nationales Zeugnisverweigerungsrecht, welches den Auskunftsanspruch vorbehaltlos und bedingungslos vereitelt, nicht richtlinienkonform sei und dem Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs zuwiderlaufe. So werde auch den in der EU-Grundrechtecharta (GRC) geregelten Grundrechten des geistigen Eigentums und des wirksamen Rechtsbehelfes nicht genüge getan. Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten könne dies nicht rechtfertigen, womit das Gleichgewicht zwischen den kollidierenden Grundrechten gestört sei. Dies bedeutet nicht, dass fortan jedem markenrechtlichen Auskunftsanspruch stattgegeben werden muss. Vielmehr solle der BGH nun die deutschen Regelungen zum Zeugnisverweigerungsrecht überprüfen und einerseits abklären, ob diese genügend Raum für eine Interessenabwägung lassen und andererseits, ob dem Markeninhaber andere Mittel (wie beispielsweise eine Strafanzeige) zur Verfügung stehen, die gewünschten Auskünfte zu erlangen. Das Bestimmen der Voraussetzungen einer solchen Einzelfallprüfung überlassen die Richter aus Luxemburg dem BGH.
Was bedeutet dies für das Schweizer Bankgeheimnis?
Auch in der Schweiz liefert das Bankgeheimnis immer wieder Diskussionsstoff. Direkte Auswirkungen diesbezüglich wird der Entscheid des EuGH allerdings nicht zeitigen. Da zwischen der Schweiz und der EU keine entsprechenden Staatsverträge existieren, finden Entscheide des EuGH in der Schweiz nicht automatisch Anwendung. Die erwähnte EU-Grundrechtecharta hat sodann keine rechtliche Bindungswirkung in der Schweiz und ist für ein Interessenabwägung vor einem Schweizer Gericht nicht relevant. Jedoch wird die Abwägung von kollidierenden Grundrechten auch in der Schweiz vorgenommen, wie das beispielsweise das Bundesgericht in seinem Logistep-Urteil getan hat (Vgl. BR-News vom 8. September 2010: Bundesgericht beurteilt Vorgehen von Logistep gegen “Internet-Piraten” als unzulässig). Allerdings mit der Tendenz, den Datenschutz über wirtschaftliche Interessen zu stellen. So vermochte das Interesse der Bekämpfung illegaler Downloads die Missachtung des individuellen Datenschutzes überwachter Internet-Anschlussinhaber nicht zu rechtfertigen.
Allerdings gilt das Bankgeheimnis auch in der Schweiz nicht uneingeschränkt. Dient es der Aufklärung eines Vergehens oder Verbrechens, können Banken gemäss Art. 284 f. StPO im Rahmen von Strafverfahren gegen ihre Kunden beispielsweise verpflichtet werden, Informationen und Dokumente herauszugeben.
Weitere Informationen:
- Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vom 16. Juli 2015 – C‑580/13
- EU-Richtlinie 2004/48 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums
- EU-Grundrechtecharta (GRC)
- Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (MarkenG)
- Zivilprozessordnung (ZPO)
- Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen (Bankengesetz, BankG)
- Schweizerische Strafprozessordnung (Strafprozessordnung, StPO)
- BR-News vom 8. September 2010: Bundesgericht beurteilt Vorgehen von Logistep gegen “Internet-Piraten” als unzulässig