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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich kürzlich einmal mehr mit der Frage beschäftigt, ob die Nutzung einer fremden Marke als Keyword bei Google-AdWords eine Markenverletzung darstellt. Das Urteil bestätigt einerseits die bisherige Rechtsprechung des EuGH. Es wird jedoch präzisiert, dass in bestimmten Konstellationen eine Markenrechtsverletzung vorliegen kann, wenn der Werbende in der Google-Anzeige nicht auf die fehlende Zugehörigkeit zum Konzern bzw. zum Vertriebsnetz des Markeninhabers hinweist. Andererseits wird erstmals aufgezeigt, dass die AdWords-Werbung – unter relativ strengen Bedingungen – auch zu einer Beeinträchtigung der Investitionsfunktion einer Marke führen kann.
Das Urteil des EuGH vom 22. September (Rs. C-323/09) betraf einen Rechtstreit zwischen Interflora, einem internationalen Lieferservice für Blumen, und Marks & Spencer (M & S), einer Einzelhandelskette, die ebenfalls Blumenlieferservice anbietet. Interflora verfügt über ein Vertriebsnetz mit unabhängigen Blumenhändlern, dem M & S nicht angehört. M & S buchte bei Google-AdWords Anzeigen, die bei einer Suche auf der Google-Suchseite nach dem Keyword „Interflora“ oder verschiedenen Abwandlungen davon („Interflora Delivery“, „Interflora Flowers“ etc.) auf der Suchergebnisseite in der Rubrik „Anzeigen“ aufgeführt wurden. Darin sah Interflora eine Verletzung ihrer Rechte an dem Zeichen INTERFLORA, welches als EU-Gemeinschaftsmarke und auch als nationale Marke im Vereinigten Königreich eingetragen ist. In der Folge verlangte der High Court vom EuGH Klarstellung und legte verschieden Fragen zur Auslegung der EU-Rechtlichen Vorgaben (Markenrichtlinie RL 89/104 und Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke) vor.
Beeinträchtigung einer Markenfunktion erforderlich
In seinem Urteil bestätigt der EuGH einleitend, dass die Schaltung von Anzeigen unter einem fremden Markennamen auch dann eine Markennutzung darstellt, wenn die Marke nicht in der Anzeige erwähnt wird und somit für den Kunden nicht sichtbar ist (vgl. dazu bereits unser Beitrag zum EuGH-Urteil vom 23.3.2010).
Auch wenn wie im vorliegenden Fall ein mit einer Marke identisches Zeichen (Interflora) für identische Dienstleistungen (Blumenlieferservice) benutzt wird (sog. „doppelte Identität“), darf dies auch nach dem aktuellen Urteil des EuGH nur verboten werden, wenn dadurch eine der Markenfunktionen beeinträchtigt werden kann. Neben der vom Gerichtshof als Hauptfunktion bezeichneten Herkunftsfunktion können auch die Werbe- und die Investitionsfunktion relevant sein.
Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion
Der EuGH bestätigt in der Folge seine Rechtsprechung zur Frage der Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion (vgl. dazu auch unsere Beiträge vom 23.3.2010, vom 26.3.2010, vom 26.5.2011 und vom 4.8.2011). Dementsprechend liegt eine Beeinträchtigung vor, „wenn aus der Anzeige für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die in der Anzeige beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Inhaber der Marke oder einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen“. Die Anzeige darf dementsprechend nicht den Eindruck erwecken, dass eine wirtschaftliche Verbindung des Werbenden mit dem Markeninhaber bestehe.
In der Folge stellt der Gerichtshof klar, dass bei der konkreten Prüfung, die der High Court durchzuführen hat, auch Marktmerkmale zu berücksichtigen sind. Es müsse geprüft werden, ob dem normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer bekannt ist, dass der Blumenlieferdienst von M & S nicht zum Interflora-Netz gehört, sondern vielmehr mit diesem in Wettbewerb steht. Andernfalls müsse dieser Umstand für den Internetnutzer aus der Werbeanzeige von M & S erkennbar sein. Berücksichtigt werden müsse dabei, dass das Interflora-Netz aus zahlreichen Einzelhändlern mit sehr unterschiedlichen Grössen und Geschäftsprofilen zusammengesetzt sei. Unter solchen Bedingungen könne es ohne Hinweis in der Anzeige besonders schwer sein, die fehlende Zugehörigkeit zu einem Vertriebsnetz zu erkennen.
Beeinträchtigung der Werbefunktion
Wie bereits in seinem Urteil vom 23.3.2010 (Google vs. Louis Vuitton) entschied der EuGH, dass die Werbefunktion einer Marke durch die Benutzung eines mit dieser identischen Zeichens im Rahmen von Google-AdWords nicht beeinträchtigt wird. Eine solche Benutzung könne zwar Auswirkungen auf die Werbung mit dieser Marke entfalten (u.U. höherer Preis-pro-Klick und somit höherer Werbeaufwand). Eine Marke solle den Inhaber jedoch nicht vor Praktiken schützen, die zum Wettbewerb gehören. Hierzu zähle auch die Werbung im Internet mit Schlüsselwörtern, die Marken entsprechen, da den Internetnutzern dadurch im Allgemeinen lediglich Alternativen zu den Produkten des Markeninhabers vorgeschlagen werden. Dem Markeninhaber werde so nicht verwehrt, seine Marke wirkungsvoll einzusetzen.
Beeinträchtigung der Investitionsfunktion
Im aktuellen Urteil setzt sich der Gerichtshof erstmals mit dem Schutz der Investitionsfunktion der Marke auseinander. Diese Funktion sichert dem Urteil zufolge insbesondere den durch Werbung und andere Geschäftspraktiken erworbenen „guten Ruf“ einer Marke, der geeignet ist, Verbraucher anzuziehen und zu binden. Sofern jemand, wie im vorliegenden Fall M & S, eine fremde Marke für identische Produkte benutzt, liegt gemäss dem EuGH eine Beeinträchtigung der Investitionsfunktion vor, wenn es dem Markeninhaber dadurch wesentlich erschwert wird, seine Marke zum Erwerb oder zur Wahrung seines Rufs einzusetzen.
Demgegenüber kann der Markeninhaber einem Konkurrenten nicht verbieten, die Marke für identische Produkte im Rahmen des „fairen Wettbewerbs“ zu benutzen, sofern diese Benutzung lediglich zur Folge habe, dass der Markeninhaber seine Anstrengungen zum Erwerb oder zur Wahrung des Rufs anpassen muss. Dies gilt auch dann, wenn diese Benutzung der Marke Kunden veranlasst, das Produkt eines Wettbewerbers zu kaufen.
Besonderheiten bei bekannten Marken
Abschliessend setzt sich der EuGH mit Besonderheiten bekannter Marken auseinander, welche dem jeweiligen Inhaber weitere Verteidigungsmöglichkeiten bieten (vgl. Art. 5 Abs. 2 der Markenrichtlinie und Art. 9 Abs. 1 lit. c der Gemeinschaftsmarken-Verordnung). Interflora war der Ansicht, dass das Vorgehen von M & S zu einer „Verwässerung“ ihrer Marken führt, d.h. dass die Fähigkeit der Marken, die Produkte von Interflora von denjenigen der Konkurrenz zu unterscheiden, beeinträchtigt wird. Interflora brachte vor, dass die Internetnutzer dadurch allmählich zur Annahme verleitet werden, dass Interflora ein Gattungsbegriff für jeglichen Blumenlieferdienst sei.
Der EuGH bestätigt zwar, dass eine Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft z.B. dann vorliege, wenn die Ad-Words Werbung zu einer Abschwächung einer bekannten Marke zu einem Gattungsbegriff beitrage. Allerdings schliesst er eine solche Abschwächung auch bei einer bekannten Marke aus, wenn aus der Anzeige erkennbar ist, dass die angebotenen Produkte nicht vom Inhaber der bekannten Marke stammen, sondern von einem Konkurrenten.
Der EuGH räumt in der Folge ein, dass die Buchung eines Schlüsselworts in Form einer bekannten Marke eines Konkurrenten bei Google-AdWords dazu diene, die Unterscheidungskraft und Wertschätzung dieser Marke auszunutzen, und der Werbende daraus – ohne dem Markeninhaber eine Vergütung zu zahlen –einen „echten Vorteil“ ziehen könne. Dieses „Trittbrettfahren“ kann nach dem EuGH unlauter sein, wenn hierfür kein „rechtfertigender Grund“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Markenrichtlinie bzw. Art. 9 Abs. 1 lit. c der Gemeinschaftsmarken-Verordnung vorliegt. Insbesondere wenn Nachahmungen von Produkten der bekannten Marke beworben werden, könne eine Unlauterkeit gegeben sein.
Sofern jedoch mit der Google-AdWords –Werbung, die für Schlüsselwörter bekannter Marken eines Konkurrenten gebucht wurde, eine Alternative zu den Produkten des Inhabers der bekannten Marke vorgeschlagen werde, ohne blosse Nachahmungen anzubieten, ohne eine Verwässerung oder Verunglimpfung herbeizuführen und ohne die Funktionen einer bekannten Marke zu beeinträchtigen, sei davon auszugehen, dass es sich um einen gesunden und lauteren Wettbewerb handle und ein rechtfertigender Grund vorliege.
Anmerkungen
Auch wenn der EuGH seine Grundsätze weiter präzisiert und insbesondere eine Grundlage für den Schutz vor Beeinträchtigungen der Investitionsfunktion einer Marke geschaffen hat, sind die einzelnen Kriterien noch immer sehr allgemein gehalten. Mehr Klarheit darf man sich von den Urteilen der nationalen Gerichte erhoffen. Die Umstände, in denen Markeninhaber gegen die Buchung ihrer Marken als Schlüsselwörter vorgehen können, bleiben weiterhin beschränkt (v.a. beim Angebot von Nachahmungen). Der EuGH betont denn auch verschiedentlich, dass das Keyword-Advertising mit fremden Marken bei Fehlen von spezifischen Umständen ein gesunder und lauterer Teil des Wettbewerbs darstelle. Die Markeninhaber müssen sich somit mit einer gewissen Erhöhung bzw. Anpassung der Werbeanstrengungen als Folge der Werbung von Konkurrenten auf Google-AdWords abfinden. Allerdings ist weiterhin zu empfehlen, die Verwendung eigener Marken als Schlüsselwort zu überwachen und jeweils vor allem zu prüfen, ob die Anzeige zu einer Irreführung der Internet-Nutzer führen kann. Hierzu geht aus dem Urteil immerhin hervor, dass bei speziellen Konstellationen wie im vorliegenden Fall, bereits eine Irreführung vorliegen kann, wenn in der Anzeige nicht auf die fehlende Zugehörigkeit zum Konzern bzw. Vertriebsnetz des Markeninhabers hingewiesen wird.
Weitere Informationen
- Urteil des EuGH vom 22. September 2011; Rs. C-323/09
- BR-News: «EuGH: Google darf fremde Marken in AdWords zulassen – Werbetreibende in der Pflicht»
- BR-News: «Weiteres EuGH-Urteil zu AdWords – aber keine Neuigkeiten»
- BR-News: «Frankreich: Anwendung der EuGH-Rechtsprechung zu Google-AdWords»
- BR-News: «EuGH: Urteil zur Haftung von eBay im Markenrecht»
- Richtlinie 89/104/EWG
- Verordnung (EG) 40/94
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann