EuGH: Sprache, Inhalt und Nutzer von Online-Informationen sind Anhaltspunkte für Ausrichtung auf anderen Mitgliedsstaat


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Vor kurzem hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein neues Urteil zum Schutz von Datenbanken gefällt. Es stellte sich konkret die Frage, ob das Senden von Informationen aus einer geschützten Datenbank über einen Server eine schutzrechtsverletzende «Weiterverwendung» darstellt. Ausgehend von einer weiten Interpretation des Begriffs hat der EuGH dies bejaht. Das Urteil behandelt sodann die praktisch wichtige Frage, wann der Onlinedienstleister, der die Informationen auf diese Weise weiterverwendet, vor ausländischen Gerichten nach ausländischem Recht eingeklagt werden kann. Der Gerichtshof bestätigt dabei im Wesentlichen, dass dies der Fall ist, wenn der Website-Betreiber sein Angebot auf den betreffenden Staat ausrichtet. Die Abrufbarkeit der Daten allein reicht dafür jedoch nicht aus. Es müssen Anhaltspunkte für eine gezielte Ansprache von Personen in dem betroffenen Mitgliedstaat erkennbar sein. Anhaltspunkte für eine solche Ausrichtung sah der EuGH im vorliegenden Fall namentlich in der verwendeten Sprache, dem Inhalt der Informationen und der Weitergabe der Daten an Empfänger, die sich an Kunden im betroffenen Mitgliedstaat richten.

Rechtliche Ausgangslage

Datenbanken können in der EU in zweierlei Hinsicht geschützt sein. Möglich ist einerseits ein urheberrechtlicher Schutz von Datenbanken, die aufgrund der Auswahl oder Anordnung der Daten eine eigene geistige Schöpfung darstellen. Andererseits besteht für Datenbanken ein besonderer Schutz in Form eines so genannten „Schutzrechts sui generis“. Ein solches Schutzrecht geniessen Datenbanken, bei welchen für die Beschaffung, die Überprüfung oder die Darstellung ihres Inhalts eine in qualitativer oder quantitativer Hinsicht wesentliche Investition erforderlich ist. Dies sieht die so genannte Datenbankenrichtlinie (Richtlinie 96/9/EG) vor.

Im aktuellen Urteil hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) nicht wie in früheren Fällen die Frage zu beantworten, ob einer Datenbank Urheberrechtsschutz zukommt (vgl. BR-News vom 12. März 2012). Vielmehr befasst er sich mit dem genannten besonderen Schutzrecht der Datenbankrichtlinie. Es war zu beurteilen, ob im konkreten Fall eine „Weiterverwendung“ im Sinne der Richtlinie vorliegt und in welchem Land eine solche Verletzungshandlung gegebenenfalls stattfindet.

Hintergrund des EuGH-Entscheids

Der Hintergrund des Rechtsstreits lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Football Dataco Ltd (nachfolgend: Dataco) vermarktet das geistige Eigentum der englischen und schottischen Fussballligen (u.a. die englische Premier League) und betreibt zu diesem Zweck namentlich das Portal „Football Live“. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Daten über laufende Fussballspiele. Die Datenbank enthält unter anderem Angaben über den Spielstand, die Namen der Torschützen, gelbe und rote Karten sowie Auswechslungen. Diese Daten werden hauptsächlich von ehemaligen Fussballprofis gesammelt, die bei Dataco auf freiberuflicher Basis angestellt sind und zu diesem Zweck Fussballspiele besuchen. Für die Beschaffung der Daten ist gemäss Dataco deshalb eine wesentliche Investition erforderlich und die Erstellung der Datenbank verlange darüber hinaus in beträchtlichem Umfang Know-how, Arbeitsaufwand, Urteilsvermögen und geistige Leistungen, womit sie nach der Datenbankenrichtlinie geschützt sei.

Die als Tochtergesellschaft der schweizerischen Sportradar AG gegründete deutsche Sportradar GmbH (nachfolgend: Sportradar) stellt ihren Kunden die Ergebnisse und Statistiken von Fussballspielen der englischen Liga live auf ihrem Webserver zur Verfügung. Diese Informationen verkauft sie insbesondere an Anbieter von Sportwetten, die in Grossbritannien tätig sind. Sie verwendet für ihren Service – angeblich – die von Dataco erstellten Statistiken. Dataco erhob deshalb vor den britischen Gerichten Klage gegen Sportradar wegen Verletzung ihrer sui-generis-Schutzrechte an den Datenbanken.

Die Fragen: Weiterverwendung gegeben? Wenn ja, in welchem Mitgliedstaat?

Der mit diesem Rechtsstreit befasste britische Court of Appeal legte dem EuGH in der Folge Fragen zur Interpretation der EU-rechtlichen Vorgaben vor. Erstens wollte er vom Gerichtshof wissen, ob die Entnahme von Daten aus einer geschützten Datenbank und deren Zugänglichmachen für Nutzer in einem anderen Mitgliedstaat eine gemäss Richtlinie verbotene „Weiterverwendung“ darstellt. Zweitens forderte er den EuGH auf, zu klären, in welchem Mitgliedstaat diese Handlung stattfindet.

Die zweite Frage ist sowohl für die Zuständigkeit der Gerichte als auch für die Frage des anwendbaren Rechts relevant. Denn die Gerichte Grossbritanniens sind grundsätzlich nur dann zuständig, wenn die Handlung der (mutmasslich) unzulässigen „Weiterverwendung“ durch Sportradar in diesem Mitgliedstaat stattgefunden hat oder der dadurch bewirkte Schaden dort eintritt. Da ferner für Datenbanken – anders als bspw. für Marken – kein einheitliches Schutzrecht auf Unionsebene besteht, ist die Verletzung des Schutzrechts immer nach dem nationalen Recht desjenigen Mitgliedstaats zu beurteilen, in welchem der Schutz beantragt wird. Der Schutz des nationalen Rechts erstreckt sich jedoch grundsätzlich nur auf Handlungen, die im Gebiet dieses Staates stattgefunden haben. Dementsprechend ist auch für die Frage des anwendbaren Rechts entscheidend, ob die Handlungen, mit welchen Sportradar die Schutzrechte von Dataco angeblich verletzt hat, in Grossbritannien stattgefunden haben.

„Weiterverwendung“ liegt vor

In seinem Urteil vom 18. Oktober (C-173/11) erläutert der EuGH deshalb als erstes, wie der Ausdruck „Weiterverwendung“ interpretiert werden muss. Dabei betont er zunächst, dass der Begriff weit zu verstehen sei. Er erstrecke sich auf jede vom Hersteller der Datenbank nicht erlaubte Handlung, die darin besteht, den Inhalt der Datenbank ganz oder teilweise in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Art und Form des angewandten Verfahrens seien insoweit irrelevant.

Gestützt darauf gelangte der EuGH zum Schluss, dass auch die von Sportradar vorgenommene Handlung, mit welcher der Webserver von Sportradar die Daten auf Abruf an den Computer ihrer Kunden sendet, eine Weiterverwendung darstellt. Durch dieses Senden werde sie nämlich einem Mitglied der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Somit liegt nach Ansicht des Gerichtshofs bereits dann eine Verletzung der Rechte eines Datenbankinhabers vor, wenn Informationen aus der Datenbank einer einzelnen Person zugänglich gemacht werden.

Ort der Weiterverwendung

Als zweites hatte sich der EuGH damit zu befassen, in welchem Mitgliedstaat diese „Weiterverwendung“ stattgefunden hat. Ähnlich wie in anderen Fällen im Online-Kontext (vgl. BR-News vom 15. Dezember 2010) entschied der Gerichtshof, dass eine Weiterverwendung nicht schon deshalb in einem Mitgliedstaat stattfindet, weil die Informationen aus der geschützten Datenbank auf einer Website zur Verfügung gestellt werden, die in diesem Staat abgerufen werden kann. Die blosse Abrufbarkeit der Daten auf dem Webserver von Sportradar durch Personen aus Grossbritannien genügt somit nicht, um von einer Handlung in diesem Mitgliedstaat auszugehen.

Vielmehr müssen gemäss EuGH aus der Handlung Anhaltspunkte abgeleitet werden können, die die Absicht erkennen lassen, Personen in einem Mitgliedstaat gezielt anzusprechen. Im vorliegenden Fall braucht es mit anderen Worten Anhaltspunkte dafür, dass die Handlung auf Personen in Grossbritannien ausgerichtet ist.

Anhaltspunkte für Ausrichtung auf anderen Mitgliedstaat

Es stellte sich deshalb die Frage, ob solche Anhaltspunkte vorliegen. Diese Beurteilung obliegt grundsätzlich dem nationalen Gericht. Der EuGH bejahte die Frage deshalb nicht direkt, gab dem britischen Gericht aber Hinweise, welche Tatsachen solche Anhaltspunkte darstellen könnten. Im vorliegenden Fall sah der Gerichtshof Anhaltspunkte namentlich darin, dass

  • der Server von Sportradar Daten über die Spiele der englischen Fussballmeisterschaften enthält;
  • Anbieter von Wettdiensten, die sich an die britische Öffentlichkeit richten, vertraglich das Recht auf Zugang zum Server von Sportradar erhalten (sofern Sportradar der Verwendungszweck der Daten bekannt war oder hätte bekannt sein müssen); und
  • Sportradar die Daten in englischer Sprache und damit in einer anderen Sprache anbietet als in derjenigen, die in dem Mitgliedstaat, von welchem aus Sportradar tätig ist, üblicherweise gesprochen wird.

Sollte das Gericht feststellen, dass solche Anhaltspunkte vorliegen, sei es zur Annahme berechtigt, dass das „Weiterverbreiten“ in Grossbritannien stattfindet.

Viele offene Fragen

Nicht beantwortet hat der Gerichtshof die Frage, ob die Verletzungshandlung auch in demjenigen Mitgliedstaat stattgefunden hat, in dem sich der Serverstandort befindet. Da es im vorliegenden Fall nur darum ging, ob das britische Gericht zuständig ist, hatte der EuGH auch keinen Anlass, hierzu Stellung zu nehmen. Er hat jedoch festgehalten, dass der Ort der Weiterverwendung nicht stets nur im Land des Serverstandorts liegen kann. Denn wenn dem so wäre, dann könnte ein Website-Betreiber der Anwendung eines nationalen Rechts einfach dadurch entgehen, dass er seinen Server in einen anderen Staat verlegt.

Ebenfalls nicht beurteilt hat der EuGH im Übrigen die Fragen, ob die Datenbank „Football Live“ von Dataco überhaupt durch das Schutzrecht sui generis geschützt ist und ob die Informationen, die Sportradar verbreitet, tatsächlich zuvor aus der Datenbank von Dataco entnommen wurden. Die Beurteilung dieser Fragen unterliegt – wie auch die Beurteilung von Anhaltspunkten für eine Ausrichtung auf einen anderen Mitgliedstaat – ausschliesslich dem britischen Gericht.

Kommentar

Das Urteil bestätigt zunächst die bereits bekannte Rechtsprechung des EuGH, wonach die Abrufbarkeit einer Website allein noch kein Ausrichten auf einen anderen Mitgliedstaat darstellt (vgl. BR-News vom 15. Dezember 2010). Im aktuellen Urteil hat der Gerichtshof jedoch aufgezeigt, dass dieser Grundsatz nicht nur bei vertragsrechtlichen Streitigkeiten mit Verbrauchern gilt, sondern auch wenn es um eine Verletzung von Schutzrechten geht. Der Entscheid bezieht sich zwar nur auf den besonderen Schutz von Datenbanken. Eine vergleichbare Beurteilung scheint jedoch auch bei Verletzungen von Urheberrechten durch Website-Betreiber möglich zu sein.

Für Anbieter mit Servern in der Schweiz wird somit noch einmal bestätigt, dass ausländische Vorschriften und Schutzrechte eingehalten werden müssen und dass mit Verfahren vor ausländischen Gerichten zu rechnen ist, wenn ein Online-Angebot auf das EU-Ausland ausgerichtet ist. Die Anhaltspunkte, die für eine solche Ausrichtung sprechen, wurden mit dem aktuellen Urteil noch einmal verdeutlicht.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Michael Schüepp


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